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(Halb-)Legale Räusche: Scharfe Gewürze

Früher habe ich mit einem Freund so viel Hot-Sauce-Pulver gegessen, dass Kirchtürme bunt leuchteten.

Einer meiner ältesten Freunde ist ein vehementer Abstinenzler. Er führt seine Abneigung gegen jede Form klassischer Suchtmittel darauf zurück, dass er mit 12 nach einem ausgeuferten Silvester-Apero seinen Magen auspumpen lassen musste. Und deshalb versuchte er seine ganzen Teenie-Jahre lang zu beweisen, wie gemütlich man seine Samstagabende auch mit einer Flasche „Flauder" zwischen einem Pulk aus trinkenden Jazz-Jammern verbringen kann.

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Aber komplette Abstinenz wäre komplette Bedürfnislosigkeit. Und mein Freund ist nicht bedürfnislos. Er liebt die Selbstverausgabung: Uns verbinden exzessive Aare-Joggingrouten, selbstmörderische Brachialabfahrten auf dem Titlis (schon ein paar Jahre her) und „scharfe" Gewürze.

Foto: Gustavo da Cunha Pimenta | flickr | cc by 2.0

Eigentlich mag ich es nicht besonders scharf. Der „Hot Chili Pie" in der Viadukt-Markthalle Zürich trifft grade noch meine Geschmacksnerven, aber „echte" Thai-Gerichte haben mich auch schon zum Weinen gebracht. (Ein genussvolles Weinen.) Dabei ist jedes Gewürz, das üblicherweise dort drin landet zehn bis hundert Mal schwächer als, was mein „vehementer Abstinenzler" und ich uns früher zugeführt haben.

Mehrere Jahre lang war er immer ausstaffiert mit mindestens einem Pülverchen, das er sich aus kleinen Kräuterläden zusammengesammelt hat. Meistens mit einer Schärfe zwischen 500.000 und 1.000.000 Scoville (mein gegenüber naturwissenschaftlichen Ordnungsprinzipien ignorantes Ich hat das meist zu „1.000 Mal schärfer als Tabasco" gemacht).

Wir haben das Pulver überall und zu allen möglichen Anlässen mitgenommen. Manchmal stand die Mutprobe im Vordergrund. Manchmal war es jugendliche Sucht nach Schmerz. (Immerhin, besser als Ritzen!) Manchmal sollte uns das Pulver wecken. Manchmal sollte es Conversation-Starter sein. Manchmal sollte es Frauen mit Quiek-Stimmen vom Reden abhalten.

Foto: John Kim | flickr | cc by 2.0

Immer dabei war das Pulver an unseren Freitagabenden auf dem Kirchenplatz in Aarau. Und mehr als einmal begann der weisse Kirchenturm zu fluoreszieren. Grün. Purpur. Grün. Purpur. Wie das Komplementärfarben-Spiel in den „Bildnerischen Gestalten"-Lektionen an der Kantonsschule.

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Natürlich kann das eigentlich kein echter psychoaktiver Effekt gewesen sein. Wir hatten wohl einfach zu viel Milligramm Scoville-TNT erwischt und das war die Art, wie unser Körper mit dem Schmerz umgegangen ist. Unser Verstand wollte uns sagen: „Hey Dude, ich kann den Schmerzregler nicht noch weiter hochfahren. Aber du tust etwas, das deinem Körper nicht guttut." Schon, aber so weit ist das Ganze auch nicht entfernt von all den Substanzwirkungen vom Nikotin-Flash bis zum Aga-Kröten lecken.

Gefährlich mit den scharfen Gewürzen wurde es ein einziges Mal: Vierzig Leute bei mir zu Hause. Mehr Scherben von Weingläsern als Dünger zwischen den Salatköpfen meiner Mutter.

Gefährlich mit den scharfen Gewürzen wurde es ein einziges Mal: Vierzig Leute bei mir zu Hause. Mehr Scherben von Weingläsern als Dünger zwischen den Salatköpfen meiner Mutter. Ein Amokspurt von zwei Wahnsinnigen riss eine Schneise durch das Maisfeld unter das Haus meiner Mutter.

Der Motor vom Cocktailmixer war schon ausgestiegen. Und „Mola" (der sich schon in meinem Kratom-Rausch daneben benommen hatte), führte einem Betrunkenen ein Pulver mit 1.000.000 Scoville löffelweise zum Mund. Der wand sich erst in Schmerzen, weinte und blieb dann liegen. Das fand niemand mehr lustig.

Dass diese Gewürze real gefährlich werden könnten, wurde mir ein paar Wochen später an der Abschlussparty meines liebsten Abstinenzlers klar: Ich deponierte eine Pulverprise für vielleicht fünf Minuten auf meiner Handfläche. Am nächsten Morgen war die Stelle rot und entzündet. An diesem Abend war ein Mädchen da, das einen ganzen Kaffeelöffel von dem Zeug ohne Schmerzen im Gaumen und Hals gegessen hatte. Am nächsten Morgen war ich in sie verliebt.


Titelbild: Quadell | Wikimedia Commons | cc by 2.0