Halte deine Freunde nahe bei dir, aber deine Ängste noch näher

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Halte deine Freunde nahe bei dir, aber deine Ängste noch näher

Es ist seltsam zu hören, dass jemand bei einem psychischen Leiden gute Besserung wünscht wie bei einem körperlichen. Aber warum?

So Sad Today ist eine niemals endende existentielle Krise, die sich in 140 Zeichen oder weniger abspielt. Die anonyme Autorin begann ihren Kampf mit dem Bewusstsein bereits lange vor dem Start des Twitter-Accounts 2012 und hat sich nun endlich dazu entschieden, ihre Ängste auch für uns aufzuschreiben.

Etwas Seltsames ist passiert. Ich fragte meinen Redakteur, ob es in Ordnung wäre, eine Kolumne über Panikattacken zu schreiben, denn ich weiß nicht, ob man Kolumnen über Panikattacken schreiben kann. Als ich zuvor über das Thema schrieb, litt ich nicht an richtigen, ausgewachsenen Attacken. Aber jetzt wo das vorbei ist, geht der Spießrutenlauf von vorne los. Ich schätze, ich bin noch nicht fertig mit dem Thema. Vielleicht muss ich für immer über Angstzustände schreiben.

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Mein Redakteur sagte, das ginge in Ordnung. Er sagte auch, es tue im Leid, dass ich noch immer Attacken habe. Er wünsche mir gute Besserung.

Es war seltsam zu hören, wie jemand Anteilnahme für geistige Krankheit ausdrückt, so wie es normalerweise bei körperlichen Krankheiten getan wird. Ich meine, ich weiß, dass meine Panikstörung eine Krankheit ist. Ich nehme Medizin dagegen (ein SSRI). Ich gehe zu Ärzten: jeden Monat zum Psychiater und jede Woche zur Therapie. Die Symptome sind spürbar. Wie ein Mensch, der mit chronischen Schmerzen lebt, sehe ich jeden Bereich meines Lebens durch einen Filter tiefsitzender Angst. Vom Gefühl des Erstickens über Schwindel bis Dissoziation, mein ganzes Nervensystem ist beteiligt—inklusive der Adrenaldrüsen. Wissenschaftlich gesehen ist dieser Scheiß so real, wie es nur geht.

Aber irgendetwas an der Einstufung einer Panikstörung als geistige Krankheit und nicht als rein körperliche hindert mich daran, mir selbst Mitgefühl zuzugestehen. Wenn das Problem rein physisch wäre, dann wäre ich vielleicht netter zu mir selbst. Ich hätte vielleicht ein wenig Selbstliebe.

Stattdessen spule ich das Band ab, auf dem „Du bist so fertig" zu hören ist, ich gehe sogar einigen der veralteten Einstellungen auf den Leim, laut denen es „alles nur in meinem Kopf" oder „Einbildung" ist.

Und wenn es alles nur in meinem Kopf wäre, was dann? Ich würde immer noch leiden. Hätte ich kein Mitgefühl und keine Selbstliebe verdient? Mein Geist sagt, ja klar. Aber meine Gefühle sagen, vergiss es. Reiß dich zusammen, Mädel.

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Ich komme mir schon blöd vor, wenn ich „Selbstliebe" auch nur tippe. Gibt es etwas, das mehr in unsere heutige Grünkohl knuspernde Saftkur-Gesellschaft passt als der Begriff der Selbstliebe? „Sei lieb zu dir selbst, du hast es verdient." Hab ich das wirklich?

Meine Schamgefühle im Zusammenhang mit der Krankheit erzeugen in mir einen Drang nach Überkompensation, nach mehr und mehr Leistung und danach, niemals verletzlich zu erscheinen. All das fungiert dann als Katalysator für die Krankheit. Ich setze mich selbst unter Druck, zu funktionieren wie eine gesunde Person, sodass auch ja niemand herausfindet, dass ich „nicht OK" bin. Ich lasse mich nie krankschreiben. Ich habe Angst vor meiner Krankheit und ihren Auswirkungen auf mein Leben. Ich denke: „Etwas ist mit mir ganz und gar nicht in Ordnung." Und dann: „Was zur Hölle stimmt nicht mit mir, dass ich mich so fühle, als sei etwas mit mir nicht in Ordnung?" Nichts von all dem ist gut fürs Nervensystem.

Zum Beispiel jetzt gerade. In diesem Moment habe ich Angst, dass ich in dieser Kolumne nicht witzig bin. Ich trage meine Maske nicht, jene, die dir sagt, dass die Dinge zwar scheiße sind, aber eben auch unter Kontrolle. Die Maske sagt: Du musst dir keine Sorgen um mich machen. Ich habe mich noch genug im Griff, um aus der Angst herauszukommen und witzig zu sein. Ich bin sicher.

Vor kurzem sagte mir eine Frau, sie möge meine Arbeit, weil ich keine weinerliche Pussy sei. Ich glaube, sie meinte damit, dass sie meine witzige Maske mag. Aber jetzt nehmen mir die Panikattacken die Fähigkeit, keine weinerliche Pussy zu sein. Ich will meinen Weinerliche-Pussy-Pegel kontrollieren können! Wenn ich dich schon vergraule, dann will ich dieses Vergraulen selbst kultivieren. Ich will die Rolle erschaffen, die dich abtörnt. Ich will nicht, dass mein wahres Ich, meine Verletzlichkeit und Menschlichkeit, hervortreten und du davonläufst. Ich will keine Bedürfnisse haben.

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Was, wenn du zum Beispiel herausfinden würdest, dass ich in Wirklichkeit nicht OK bin? Was, wenn du wüsstest, dass ich jetzt in diesem Moment sehr leide und große Angst habe. Würdest du fliehen? Ich will es nicht herausfinden. Also verlagere ich meine Verletzlichkeit in Humor oder „Binsenweisheiten".

Das war es, was ich tat, als mein Redakteur mir seine freundlichen Worte schickte. Ich antwortete: „Ach na ja, unsere Flüche sind unsere Segen. Wenn ich keine Panikstörung hätte, dann gäbe es kein So Sad Today."

Das stimmt irgendwie. Ich meine, So Sad Today gäbe es nicht, wenn ich nie gelitten hätte. Und ich mag, dass es So Sad Today gibt. Aber es ist auch traurig, dass ich Angst habe, einfach nur danke zu sagen, von Mensch zu Mensch, wenn jemand mir Mitgefühl zeigt. Es ist so: Mitgefühl zu bekommen, das bedeutet, dass ich schwach bin. Und ich habe unaussprechliche Angst davor, schwach zu sein.

Ich habe auch furchtbare Angst vor den Sichtweisen anderer Menschen. Ich will nicht als jemand gesehen wird, der auseinanderbricht. Ich meine, es ist in Ordnung, dass ich Angst vor mir habe. Aber wenn du Angst vor mir hast, dann ist das Problem realer. Ich weiß nicht, wie weit ich eigentlich auseinander brechen darf. Ich glaube nicht, dass ich es herausfinden will.

Andererseits will ich es irgendwie schon herausfinden. Nach all diesen Jahren, in denen ich im Alltag meine Fassade aufrechterhalten habe, bin ich verflucht müde. Es wäre wahrscheinlich eine echte Erleichterung, einfach zusammenzuklappen. Ich wünschte, ich könnte darauf vertrauen, dass das Universum mich hat und ich einfach loslassen könnte. Oder, selbst wenn ich nicht darauf vertraue, dass das Universum mich hat (und das tue ich nicht), es wäre dennoch eine Erleichterung, mich einfach zu ergeben. Ich glaube, meine größte Angst und mein tiefster Wunsch ist es, mich zu ergeben.

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Zum Beispiel würde ich liebend gerne mitten in einer Arbeitsbesprechung aufstehen und sagen: „Hi, tut mir Leid, ich kann das hier nicht. Ich rede vielleicht gerade über ‚unsere Marke', aber ich sterbe definitiv. Ihr auch. Wir alle. Aber ich glaube, ich sterbe jetzt in diesem Moment. Mein Rachen schließt sich und meine Brust ist zusammengeschnürt. Ich muss gehen. Ich will nicht hier sterben."

Ich würde so gerne sagen: „Hey, ich weiß, dass du über den Erzählbogen reden willst. Aber ich bin gerade nicht mehr in meinem Körper. Wusstest du, dass in meinem Kopf du der Feind bist? Du bist der Feind geworden, denn du hältst mich hier in diesem Starbucks gefangen."

Ich würde gerne einer Freundin sagen: „Ich habe in deiner Gegenwart mehr Panikattacken als bei irgendjemand anderem. Ich soll mich in deiner Gegenwart wohlfühlen, und die Tatsache, dass ich mich wohlfühlen soll, trägt zu der Scham bei, die ich empfinde, weil ich mich nicht wohlfühle. Das macht mir Angst. Ich finde, wir sollten für den Rest der Freundschaft per SMS kommunizieren. Danke."

Ich würde gerne Geliebten sagen: „Die Panikattacken, die ich bei dir habe, sind schmerzhafter als die, die ich in Gegenwart von anderen kriege. Das liegt daran, dass ich mit dir Intimität spüren soll. Der Druck, mich dir nahe zu fühlen, während ich eine Panikattacke habe, führt dazu, dass ich mich mutterseelenallein fühle."

Es ist vermutlich gut, dass ich diese Dinge nicht sage. Es ist vermutlich gut, dass ich mich selbst immer wieder dazu zwinge, das Haus zu verlassen, und meine sozialen Masken der Kompetenz, des Austauschs und des Behagens aufrechterhalte. Doch was wäre, wenn ich den Leuten wirklich sagen würde, was genau in mir vorgeht? Was, wenn ich meinen eigenen Seelenfrieden höher schätzen würde als die Meinung, die andere von mir haben? Würde ich arbeitslos, einsam und ohne Liebe enden? Würde ich vollständig verschwinden?

Ein Mal sah ich ein Interview mit einer Musikerin, die ich sehr bewundere, einer Person, von der bekannt ist, dass sie geistig krank ist. Sie ist unglaublich talentiert und hat im Laufe der Jahre hier und da exzentrisches Verhalten an den Tag gelegt, darunter ein paar recht öffentliche Zusammenbrüche. In ihr treffen Wahnsinn und Talent aufeinander.

Der Interviewer fragte sie nach ihrem typischen Tag: „Wachst du auf und machst dir Frühstück? Machst du dir ein paar Eier?" Sie sah ihn kalt an und antwortete: „Ich esse keine Eier."

In diesem Augenblick wurde mir klar, dass die eine Frage, die ich ihr gerne stellen würde, folgende ist: „Ist das Talent den Wahnsinn wert?"

Doch ich weiß nicht, ob sie überhaupt antworten würde. Was, wenn sie gerne Talent besitzen und auch frei von seelischer Folter sein will. Was, wenn sie nicht wählen müssen will. Ich denke, es ist OK, wenn wir uns wünschen, dass unsere Segen einfach nur Segen sind. Es ist OK, für unsere Flüche nicht dankbar zu sein.