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Drogen

Hanf-Christian Ströbele ist für einen Coffeeshop

Anlässlich der Hanfparade interviewten wir Hans-Christian Ströbele über die Situation der asylsuchenden Dealer im Görlitzer Park. Außerdem wollten wir wissen, ob Kiffen ein bisschen dumm macht.

Weil sich mittlerweile keiner mehr in den Görli traut, wird dieser Tage heftig debattiert, wie man den Dealerhorden dort Einhalt gebieten kann. Im Rahmen der Hanfparade interviewten wir Hans-Christian Ströbele, der dort mit seinem Fahrrad auftauchte. Politiker zu interviewen, ist im Allgemeinen ein merkwürdiges Unterfangen, aber das war eins der merkwürdigsten Interviews, die ich je geführt habe.

Früher hielt ich Ströbele für einen linksradikalen Betonkopp und war immer ein bisschen genervt von dem Alternativ-Kuschelbärstatus, den ihm die Kreuzberger verliehen haben. Inzwischen bin ich ein wenig milder geworden, weil er mit seinem störrischen Abweichlertum inmitten dieser religiösen, grünen Veggie-Day-Spießer fast schon wieder erfrischend ist. Er ließ uns über eine Stunde warten, und als wir ihn gefunden hatten, rannte er nach fünf Minuten Gespräch weg, um mit irgendjemanden zu telefonieren. Auf seinem Gepäckträger war ein Blumenstrauß befestigt, Marihuana-Dunst zog schwallweise durch die Sommerluft. Fünf Meter von der Ecke, in die er sich zum Telefonieren verzog, dealte eine Gruppe Minderjähriger Gras. Die Sonne schien, der telefonierende Ströbele und die jugendlichen Dealer koexistierten friedlich zwei Meter voneinander und bemerkten sich gegenseitig nicht, in der Ferne ertönte Techno.

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Als er nach 10 Minuten zurückkehrte, um sein Politikergerede fortzusetzen, hätte mich nicht einmal mehr gewundert, wenn die Grünen ihren Coffeeshop tatsächlich durchgesetzt bekämen. Dabei hasse ich Gras. VICE: Wie ist Ihre Meinung zu der aktuellen Debatte um die geplanten Coffeeshops im Görlitzer Park?
Hans-Christian Ströbele: Ich sehe natürlich Probleme. Viele Leute mittleren Alters und mit Kindern haben sich bei mir beschwert, weil sie dort von Marihuana-Dealern angemacht und wohl auch manchmal begrapscht werden. Deswegen haben wir vorgeschlagen, dass man dort Coffeeshops einrichten könnte. So würde man die Drogen auch so bekommen und die Szene wäre nicht mehr vorhanden. Wäre das dann eine Art Pilotprojekt?
Ja, man kann ja nicht einfach morgen so einen Laden hier eröffnen oder Marihuana legalisieren. Man könnte das aber zur Probe etablieren, um zu sehen, welche Auswirkungen das denn haben könnte. Man müsste versuchen, es genehmigt zu bekommen, dort Gras in beschränktem Maße, zu vernünftigen Preisen und besteuert verkaufen zu dürfen. Die Asylanten im Görlitzer Park verkaufen ja nicht unbedingt Gras, weil sie das wollen, sondern weil sie oft keine anderen Optionen haben. Wäre das nicht eher ein Punkt, bei dem man ansetzen sollte?
Absolut richtig. Ich setze mich auch dafür ein, dass in vielen Fällen das Arbeitsverbot der Dealer in anderen Berufen aufgehoben wird. Momentan gibt es ja schon eine große öffentliche Diskussion über das Thema, bei der man auch weitermachen sollte. Wie kann man konkrete Probleme mit so einem Coffeeshop verhindern, zum Beispiel, dass sich die Polizei davor stellt und sich die Leute aufschreibt, die dort hineingehen?
Natürlich muss das alles legal sein—mit entsprechender begründeter Genehmigung. Ich hoffe, das funktioniert und dass man das machen kann. Es gibt gerade in diesem Bereich auch andere Versuche, die völlig zu Recht gemacht werden. Man könnte dann rund um den Görlitzer Park zwei oder drei Abgabestellen für Marihuana aufbauen, zu denen man hingeht, um das Zeug zu kaufen. Ein riesiges Problem ist aber nach wie vor, wo man die Pflanzen dafür hernimmt. Die man ja nicht anbauen darf. Läuft es dann nicht doch auf eine Legalisierung hinaus?
Ja, natürlich. Es wäre ja eine Art legale Abgabe. Aber wissen Sie, wir haben ja auch in anderen Bezirken Berlins Fixerstuben und Ähnliches. Dort wird der Konsum von Heroin und anderen schrecklichen Drogen geduldet und insofern unterstützt, dass das Konsumieren in einer sauberen Umgebung hilft, Krankheiten vorzubeugen. Außerdem kommt man dort an die Leute heran, kann mit ihnen sprechen und die so vielleicht auch auf einen anderen Weg bringen. Einen Coffeeshop stelle ich mir so ähnlich vor; als eine Begegnungsstätte, eine Art Café. Also wie in Amsterdam?
Ja, wie es vorher in Amsterdam war oder wie es momentan eben in den Fixerstuben ist. Das ist ja nicht nur eine Ecke, wo sich die Leute Drogen spritzen. Waren Sie selbst schon mal da?
Ja ja. Bei mir um die Ecke, drei Häuser weiter, wo mein Wahlkreisbüro ist, in der Lessingstraße, war so eine Fixerstube. Ich war da mehrfach und hab mir das angekuckt. Das ist ja offenbar ein sehr erfolgreiches Modell, weil man damit in der Tat auch Recht hatte, dass es weniger Drogentote gibt. Wobei, bei Cannabis oder Hanf geht es ja, Gott sei Dank, nicht um Tote. Da geht es um etwas völlig Anderes. Und ich hoffe natürlich nicht nur, dass der ein oder andere das jetzt legal erwerben kann, sondern auch, dass man dann sieht, dass das nicht unvernünftig ist. Dass es jedenfalls nicht unvernünftiger ist, als wenn man sich irgendwo um die Ecke bei Kaiser‘s ein Sixpack oder eine Flasche Schnaps kauft.

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Kennen Sie sich mit Gras aus? Wissen Sie mehr darüber?
Ich hab da seit 1967 mit zu tun. Könnten Sie mir erklären, was der Unterschied zwischen Dope und Haschisch ist?
Zwischen Dope und Haschisch? Nee, ich weiß nur, dass es Gras aus den verschiedenen Gegenden der Welt gibt, was man dann am besten raucht oder in Kekse backt oder in anderer Form zu sich nimmt. Ich selber habe das nie gemacht, aber ich habe selber viele Leute grasrechtlich begleitet als Rechtsanwalt und habe viele solcher Karrieren gesehen, die häufig nicht sehr positiv waren, sondern zum Teil auch schlimm. Ich weiß eben, dass Alkohol und Zigaretten schlimm sein können. Da sterben jedes Jahr Hunderttausende in Deutschland an den Folgen dieses legalen Genusses. An Hanf oder Cannabis ist noch keiner gestorben. Aber Kiffen macht schon ein bisschen dumm, oder?
Ich sag ja nicht, dass das positiv ist. Ich rate allen Menschen ab, Drogen zu sich zu nehmen. Ich sage, die sollen aufhören, dauernd die Bierflaschen in der Hand zu haben und schon gar die Schnapsflasche und sie sollen auch kein Hanf zu sich nehmen. Aber ich sage, das ist eine der größten Ungerechtigkeiten unserer Zeit, dass das so unterschiedlich behandelt wird. Es ist auch dumm und schafft Kriminalität. Ich kann ihnen viele Karrieren sagen, wo die Leute damit in die Kriminalität und zum ersten Mal ins Gefängnis kamen und dann immer wieder ins Gefängnis kamen, weil das so ist. Es war ja auch in den USA so, als dort der Alkohol verboten war. Da lebte Al Capone mit all seinen Verbrechen, Raubüberfällen, Mord und Todschlag. Er lebte von dieser Szene und so ist das jetzt genauso. Man muss lernen, dass man die Drogen nach ihrer Gefährlichkeit behandelt und da ist Hanf und Cannabis eben weniger gefährlich. Immer noch gefährlich, aber eben weniger. Und deshalb sage ich, gerade in Kreuzberg, könnte man zeigen, dass man damit auch vernünftig umgehen kann. Und natürlich auch mit der Polizei vernünftig umgehen kann oder auch mit mir. Das müsste man da zeigen. Was wäre die Alternative, wenn das mit dem Coffeeshop nicht möglich wäre? Was würden Sie dann mit dem Görlitzer Park machen?
Das Problem des Görlitzer Parks ist ja nicht nur, dass dort gedealt wird. Da gibt’s viele andere Probleme: Übernutzung, Falschnutzung, dass Rasenflächen im Sommer überhaupt nicht mehr zu erkennen sind. Also da muss man vieles machen und dazu gehört natürlich auch, dass man für die Menschen, die sich da als Dealer betätigen, jetzt Alternativen schafft. Das ist sicherlich mindestens genau so wichtig wie diese Coffeeshops. Ob wir das erreichen, weiß ich nicht. Aber vielleicht erreichen wir, dass dieses Arbeitsverbot wenigstens nicht so lange ist. Da gibt es ja schon Diskussionen, wo selbst CDUler hin und wieder mitdiskutieren. Wir haben jetzt die Bundestagswahlen. Ich hoffe, dass dort mit neuen Mehrheiten noch was Anderes gemacht werden kann, aber natürlich können wir überhaupt nichts versprechen. Mögen Sie Demonstrationen?
Ja, deshalb möchte ich da jetzt wieder hin.
 
Auf wie vielen Demonstrationen waren Sie in Ihrem Leben schon? Können Sie das schätzen?
Es gab mal eine Zeit, da war ich richtig oft. Gerade hier in Berlin können Sie ja auf drei oder fünf gehen, jeden Tag. Ich war auch manchmal auf mehreren an guten Tagen. Aber auf die Hanfparade gehe ich jedes Jahr. Aus persönlichen Gründen?
Ja, gerade aus diesen Gründen und das sag ich auch im Bundestag laut. Dort, wo andere Abgeordnete, von denen übrigens viele meiner Meinung sind, sich nicht trauen, sich dazu zu bekennen.

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Fotos von Pascal Flamme

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