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Sex

Warum wir immer Sex wollen, wenn wir verkatert sind

Dein Schädel implodiert, jede Bewegung schmerz und genau jetzt, wo du einfach nur sterben möchtest, fühlst du dich plötzlich so sexuell.
Foto: Sarina | Flickr | CC BY-ND 2.0 (cropped)

Es ist der Grund, warum Tinder immer wieder sonntags heiß läuft und die wöchentliche Erinnerung daran, was für ein hinterfotziges Arschloch Bruder Alkohol in Wahrheit doch ist: Der widerwärtige Kater, der jede noch so kleine Bewegung zur Höllentortur macht, der dich dazu bringt, deine eigene Mündigkeit ernsthaft infrage zu stellen, der aber gleichzeitig auf eine ziemlich absurde Art und Weise alles irgendwie wahnsinnig sexuell erscheinen lässt.

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Im Englischen gibt es dafür eine Bezeichnung, die eigentlich auch auf Deutsch ganz gut funktioniert: Das Hangover-Horn. (Alternativ: "Feiertagsfickrig" oder "Bumsschädel", in Anlehnung an den allseits bekannten Brummschädel.)

Das Weiße in den Augen in zartes Rosa getüncht, mit einem Schädel wie ein Luftballon und in der Pappn die Sahara. Alles stinkt erbärmlich, pickt wie Baumharz und/oder tut weh (oh, so verdammt weh). Die einzige Nachricht, die man noch irgendwie zu versenden schafft, ist "Sterben" oder "Bitte, Erbarmen", gefolgt von einem Sarg-Emoji, als wären es die letzten Worte—und sagt meiner Mama, dass ich sie lieb habe. Dass genau dann, wenn du gerade halb verreckst, deine Libido verrückt zu spielen scheint, ist dabei nichts Ungewöhnliches. Du bist nicht allein.

Trotzdem klingt das alles zunächst nicht gerade logisch. Immerhin fühlt man sich ja eher nach Sterbebett als nach Matratzensport. Alle anderen Körperfunktionen geben nach, schalten teilweise sogar komplett aus, nur eine einzige Funktion läuft plötzlich auf Hochtouren und besteht knüppelhart auf Erleichterung. Das gilt übrigens entgegen anfänglicher Erwartungen sowohl für Männer als auch für Frauen. Aber warum nur, Hangover? Warum musst du mich so hörnen?

Schmerzen, aber Ständer; grausig, aber geil; heißhungrig aber, naja, auch heiß. Gefühlte 1.000 Grad Libido-Hölle. Wie zu jedem Phänomen, das wir uns nicht sofort erklären können, schwirren auch zum Hangover-Horn ziemlich viele Theorien herum, die allesamt glauben, der Kater-Geilheit auf die Schliche gekommen zu sein. Und wahrscheinlich stimmen sie eh alle ein bisschen. Trotzdem haben wir uns von Hormon-Flüsterern erleuchten lassen—aber der Reihe nach. Zuerst mal zu den gängigsten Erklärungsversuchen.

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Wie sich ein Kater üblicherweise anfühlt. Foto: CC0 Public Domain

Man ist generell reizempfindlicher

Verkatert kommt ein klingelndes Handy schon mal einem EDM-Rave nahe, ein schmaler Tageslichtstrahl durch die Jalousien fühlt sich an wie 10.000 Leuchtröhren auf der Netzhaut, die labbrigste Pizza der Welt schmeckt irgendwie italienisch und beim Musikhören bekommt man dieses seltsame Gefühl, als wären die Songs plötzlich viel schneller als sonst. Ganz zu schweigen von dem Mini-Kreislaufzusammenbruch, den man bei jeder zu schnellen Bewegung immer wieder aufs Neue durchleiden muss.

Munchies: Rezepte aus dem Mittelalter gegen Kater

"Reizüberflutung" wäre wahrscheinlich noch untertrieben. Ein richtig schlimmer Kater lässt uns unsere Umwelt in ihrer tausendfachen Intensität erleben—demnach reagiert man also auch auf sexuelle Reize empfindlicher als sonst. Ein kurzes, versehentliches Ankommen an der Oberschenkelinnenseite ist da schon ein halber Handjob. Das Schlimme daran—oder das Gute, je nachdem—ist, dass es abgesehen von Ausnüchtern rein gar nichts gibt, was man dagegen tun kann. Was uns zum nächsten Punkt bringt.

Kontrollverlust

Grundsätzlich macht ein Kater alles im Leben schwieriger. Unter "alles" fällt auch die Bewahrung der Kontrolle über die eigene Sexualität. Eine Studie der University of Washington belegt, dass Männer unter Alkoholeinfluss weniger Kontrolle über ihren Penis haben als nüchterne Männer. Eine bahnbrechende Erkenntnis, werdet ihr jetzt denken. Wenn man also verkatert aufwacht, und von nüchtern ungefähr so weit entfernt ist wie Rihanna von rauchfrei, ist Wollust-Widerstand ziemlich zwecklos.

Emily Dickinson, Woody Allen und Selena Gomez haben es allesamt schon mal gesagt: "The heart wants what it wants." Und mit einem Bumsschädel gilt das eben auch für den männlichen Penis—wahrscheinlich auch für die Vagina, sonst würden mir nicht auch so viele Frauen von ihren Hangover-Hörnern berichten. Die Theorie von der unkontrollierbaren Lust greift in der Regel aber auch nur dann, wenn der Vorabend nicht ganz so verlaufen ist, wie man es vielleicht gerne gehabt hätte.

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Die Lust ist einfach noch vom Vorabend übrig

Meine Oma hat immer gesagt, man soll das Kind beim Namen nennen: Es gibt Leute, die saufen einfach nur, um ihre Hemmungen loszuwerden. Um sich die Eier anzutrinken, die nötig sind, um jemanden anzusprechen und letztendlich für Sex aufzureißen. Fair enough. Nur erweist sich ein Suff nun mal nicht immer als Unterstützung, und mit der Zeit kommen die Shots und mit den Shots vergeht die Zeit und mit der Zeit kommt der Frust und mit dem Frust kommt letztendlich niemand und von da an weiß man eigentlich fast nichts mehr. Und dann ist man (bestenfalls) im Bett. Allein.

Die Lust, die man am Vorabend also unter Beihilfe von Alkohol zu stillen versucht hatte, ist jetzt, am Tag danach, natürlich nicht von alleine weggegangen. Daher auch das Hangover-Horn—es ist einfach nur die angestaute Geilheit, die man bisher nicht losgeworden ist. Aber das ist auch nur eine Theorie, die eben nicht auf jeden zutrifft. Die nächste klingt da schon schlüssiger.

Sex lindert den Kater-Schmerz

Also, vorübergehend. Wenn man den ganzen Tag so vor sich hin katert wie ein kleines Häufchen Elend, scheint Sex irgendwann die einzig mögliche Schmerzbefreiung zu sein, die einen vergessen lässt, dass man sich eigentlich gerade fühlt wie ein Stück Scheiße. Diese Lösung ist zwar nur für den Moment—oder mehrere, potentiell großartige Momente—, aber immerhin. Besser als Leiden ist es allemal.

Der Ausblick auf Linderung treibt so manchen Hangover-Gehörnten schließlich auf die üblichen Ficki-Apps. Zu wirklichen Hook-ups kommt es dabei aber in den seltensten Fällen—niemand hat zu diesem Zeitpunkt noch die Kraft, die Couch, geschweige denn die Wohnung zu verlassen. Außerdem ist Hangover-Sex ja nicht mal besonders guter Sex—wozu sich also überhaupt die Mühe machen?

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Fazit

Rein hormonell gesehen macht das Hangover-Horn eigentlich gar keinen Sinn, zumindest bei Männern. Alkohol ist im Hinblick auf Sex sogar eher kontraproduktiv—Männer neigen im Rausch zu Erektionsproblemen und generell kommt man unter Alkoholeinfluss schwerer zum Orgasmus als sonst. Aber wem erzähl ich das, davon könnt ihr ganze Opern singen.

Frauen hingegen weisen unter Alkoholeinfluss einen erhöhten Testosteronspiegel, was sich positiv auf die sexuelle Erregung auswirkt—bei Männern wiederum steigt das Östrogen, was zur erektilen Dysfunktion beitragen kann. Weil der Hormonspiegel von Männern durch den Alkohol also voll mit Östrogen ist und damit den Sexualtrieb hindert, kennt der Körper sich am nächsten Tag nicht aus und fängt in der Folge damit an, massenhaft Testosteron zu produzieren, um wieder auf das normale Level zu kommen. Dieser kurzfristige Überschuss ist wohl die beste Erklärung für die überdurchschnittliche Erregtheit eines verkaterten Mannes.

Bei Frauen hingegen müsste das Gegenteil der Fall sein—da ließe sich das Horn vielleicht noch mit dem restlichen Testosteron, das am Tag nach exzessivem Alkoholkonsum übriggeblieben ist, erklären. Aber wirklich viel Sinn ergibt das Ganze halt trotzdem nicht—nicht mal für Experten.

Dr. Michaela Bayerle-Eder von der Universitätsklinik für Innere Medizin III der MedUni Wien ist nicht nur in der Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel tätig, sondern hat darüberhinaus eine "Zusatzfacharztprüfung" für Sexualmedizin abgelegt—eine bessere Ansprechperson lässt sich demnach wohl kaum auftreiben. Dr. Bayerle-Eder findet jedoch auch keine Evidenz für das Phänomen und beruft sich letztendlich auf die Restfettn: "Alkohol ist nicht potenzfördernd—im Gegenteil. Er hemmt die Vollzugsfähigkeit für den sexuellen Akt und führt bei höherer Dosis zu Erektionsschwäche. Eine mögliche Ursache für erhöhte sexuelle Bereitschaft am Morgen nach 'Binge-Drinking' wäre der Restalkohol, der noch weiter zentral dämpfend wirkt und damit enthemmt."

So viel dazu. Die einzig sinnvolle Abhilfe gegen ein Hangover-Horn, bei der man sich im Nachhinein nur halb so viel schämen muss wie bei einem lieblosen Booty-Call, schafft am Ende des Tages aber wohl noch immer die Hand. Und damit wäre der Kater dann wohl aus dem Sack. Wortwörtlich.

Franz twittert hier, manchmal auch sonntags: @FranzLicht


Header: Sarina | Flickr | CC BY-ND 2.0 (cropped)