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Menschen auf der Flucht

Dumme Idioten gegen das Asylheim in Hellersdorf

Die öffentliche Debatte um die Notunterkunft macht Hellersdorf gerade bundesweit unrühmlich bekannt. Wir waren in den vergangenen Tagen vor Ort und haben die angespannte Lage beobachtet.

Was passiert eigentlich gerade in Hellersdorf? Björn Kietzmann war dort:

Es gibt eigentlich kaum gute Gründe dafür, seine Zeit freiwillig in Berlin-Hellersdorf zu verbringen. Wenn man durch die tristen Hochhausschluchten rennt, fragt man sich vor allem, wie man hier schnell wieder rauskommt. An fast jeder Laterne hängen Wahlplakate der NPD, aber auch einige der Linkspartei, vor allem welche mit der Aufschrift „Nazis raus aus den Köpfen“.

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Auf der Suche nach einem Café oder meinetwegen auch einer Bar wird mir von einem rund 50-jährigen Hellersdorfer erklärt, dass es so etwas hier nicht gibt. Zweifelnd ziehe ich zwei Straßenecken weiter und werde fündig. Am Nebentisch gibt es gerade nur ein Gesprächsthema. Aufgeregt wird über die neue Notunterkunft für Flüchtlinge hergezogen. Man empört sich darüber, von der Politik übergangen worden zu sein und in den Medien als Rassisten dargestellt zu werden—bloß weil man sagt, dass die Ausländer verschwinden sollen. Gefolgt von ein paar zum Teil recht widersprüchlichen Klischees geht die Hetze weiter.

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es den Wutbürgern am Nebentisch vor allem wichtig ist, dagegen zu sein: Einerseits sei es schlimm, dass die Flüchtlinge unter so schlechten Bedingungen ohne viel Platz leben müssen, andererseits würde angeblich viel zu viel Geld für die neuen ungewollten Nachbarn ausgegeben. Das sollte besser für Deutsche ausgegeben werden, da ist man sich einig. Ich stürze meinen Kaffee herunter, um nicht länger als nötig das Gejammer ertragen zu müssen.

Die öffentliche Debatte um die Notunterkunft machte Hellersdorf gerade bundesweit unrühmlich bekannt. Als am Montag die ersten Flüchtlinge einzogen, standen pöbelnde Nachbarn auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ein unansehnlicher Typ mit Glatze und Bierbauch stimmte immer mal wieder „Wir sind das Volk!“ an, gelegentlich ergänzte er „Und ihr nicht!“, während er sich mit einer Hand auf einer Krücke abstützte und mit der anderen den ausgestrecktem Mittelfinger Richtung Unterkunft hielt.

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Etwa 20 Meter entfernt führen Polizisten einen Nazi in froschgrüner Trainingshose und pink-gestreiftem T-Shirt ab, nachdem dieser einen Hitlergruß gezeigt hat, es ist die erste Festnahme an diesem Tag. Ronny, der Festgenommene erklärte zuvor gegenüber Journalisten, dass er heute gesetzestreu seinen Unmut über die Flüchtlingsunterkunft kundtun werde, denn er sei auf Bewährung draußen.

Glücklicherweise sind nicht alle hier so. Auch Menschen, die ihre Solidarität mit den Flüchtlingen zum Ausdruck bringen wollen, haben sich eingefunden. Schützend stehen sie vor der Unterkunft und halten Schilder mit Willkommensgrüßen hoch.

Das schien nötig, da bereits seit Wochen eine anonym agierende rechte Bürgerinitiative Stimmung gegen das Heim macht, und einige Hellersdorfer auf Facebook sogar eher wohlwollend darüber spekulieren, wann denn wohl die ehemalige Schule brennen wird.

Am Montagabend errichteten Unterstützer der Flüchtlinge deshalb wenige Meter vom Heim entfernt eine Dauermahnwache. Hierdurch möchte man einerseits die Situation rund um die Uhr im Auge behalten, gleichzeitig aber auch ins Gespräch mit Anwohnern kommen. Letzteres scheint offenbar zu funktionieren, denn am Dienstag fanden zahlreiche angeregte Diskussionen rund um den kleinen Protest-Pavillon statt. Auch die Wachschutzmitarbeiter der Flüchtlingsunterkunft, die in den Tagen zuvor bedroht und beschimpft wurden, berichten nun von einer ruhigeren Zeit, einige Anwohner hätten sogar Spenden vorbeigebracht. Ein weiterer Lichtblick war der Dienstagabend. Eine Kundgebung der NPD gegen das Heim wurde lediglich von rund 30 Personen besucht—mehr als 600 Menschen kamen zum Gegenprotest.

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Doch auch trotz dieser ersten positiven Entwicklungen bleibt die Lage angespannt. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot vor Ort, Anwohner berichten im Gespräch nur hinter vorgehaltener Hand, dass sie keine Probleme mit den neuen Nachbarn haben, und auch bei Flüchtlingen herrscht Unsicherheit.

Aus Angst vor Übergriffen sind bereits sechs Menschen zurück ins Erstaufnahmeheim in Berlin-Spandau gefahren.

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