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​Hat Akif Pirincci wirklich KZs für Flüchtlinge gefordert?

Die Rede des Autors auf der Pegida war vulgär, rassistisch und fast schon krankhaft hasserfüllt. Aber war sie wirklich volksverhetzend?
Foto: imago/teutopress

Es ist im Moment bestimmt nicht einfach, Akif Pirincci zu sein. (Andererseits: Ist es je einfach, Akif Pirincci zu sein?) Seit seiner Rede auf der Pegida-Demo am Montag ist eine Welle aus Empörung, Distanzierungen und Strafanzeigen über den Hobby-Demagogen hereingebrochen, nicht mal sein Webmaster möchte weiter für ihn arbeiten. Schließlich entschuldigte sich sogar Pegida-Chef Lutz Bachmann, der ihn ursprünglich eingeladen hatte, für den „unmöglichen Auftritt"—erwähnte aber nicht, dass er den Autor gute 20 Minuten hatte reden lassen, bevor er ihm schließlich das Mikro wegnahm, und dass die Menge Pirincci immer wieder bejubelt und mit „Widerstand, Widerstand"-Rufen angefeuert hatte, bevor ein paar vereinzelte Buh-Rufe gehört wurden.

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Pirinccis Auftritt war auch wirklich absolut unmöglich. In seiner gewohnt derben Art, die er für subversiv hält, nannte der Autor die Grünen eine „Kinderfickerpartei", die Politiker im Allgemeinen „Gauleiter gegen das eigene Volk", die dessen „Umvolkung" planen würden. Flüchtlinge („Flüchtelanten") bezeichnete er als „Invasoren", die über Frauen „hergefallen" seien und „in sie ihren Moslemsaft hineingepumpt" hätten. Überhaupt frönten Moslems einer „höchst krankhaften Beschäftigung mit allem, was nach Fickerei und Gewalt riecht, wobei ihnen ein gewisser Allah den Weg weist". Die Rede war, das steht außer Zweifel, geradezu krankhaft hasserfüllt.

Am Tag direkt nach seiner Rede konzentrierte sich allerdings der Großteil der Medien auf ein Zitat aus Pirinccis Rede: „Eklat bei Pegida-Demo: 'Die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb'", titelte Spiegel Online. Tatsächlich hatten mehrere Beobachter diesen Satz direkt von der Demo berichtet. Wenig später war der „Eklat" dann perfekt, zahllose Medien griffen den Satz auf, und die wenigsten machten sich die Mühe, ihn in seinen Kontext zu stellen. So musste der Eindruck entstehen, Pirincci habe in seiner Hassrede zur Flüchtlingssituation schließlich noch für eine Wiedereröffnung der KZs plädiert.

Tatsächlich hatte Pirincci sich aber auf die Aussage eines CDU-Politikers bezogen, der bei einer Veranstaltung in Hessen einem „Asylkritiker" nahegelegt hatte, er könne ja ausreisen, wenn er mit der aktuellen Flüchtlingspolitik nicht einverstanden sei. Pirinccis Kommentar dazu:

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Offenkundig scheint man bei der Macht die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn er gefälligst nicht pariert. Es gäbe natürlich auch andere Alternativen. Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb.

Im Kontext wird ziemlich klar, dass der Autor hier nicht die Flüchtlinge ins KZ stecken will, sondern den Politikern unterstellt, das „eigene Volk" am liebsten ins KZ sperren zu wollen, wenn es „nicht pariert". Er sieht also sich und seine Freunde von Pegida in derselben Opferrolle, in der die Juden im Nazi-Deutschland waren. (Dasselbe hatte Lutz Bachmann übrigens kurz vorher gesagt: Justizminister Heiko Maas habe ihn als „Rattenfänger" und damit alle Pegida-Anhänger als „Ratten" bezeichnet, „so wie es in den 30ern geschehen ist, als die Juden als Ratten bezeichnet wurden vom Regime".)

Es ist ohne Zweifel widerlich, wenn Pegida-Redner und Gastredner den verdienten Gegenwind, den sie für ihre Hetze bekommen, mit der Judenverfolgung vergleichen, und es zeigt deutlich, wie vollkommen wahnsinnig die Rhetorik auf der Pegida-Bühne mittlerweile geworden ist.

Es ist aber gleichzeitig sehr gefährlich, dass Pirinccis Zitat derart aus dem Kontext gerissen und in gewisser Weise verkürzt wiedergegeben wurde, so dass man als Leser den Eindruck gewinnen muss, auf Pegida-Demos würde jetzt nach KZs für Flüchtlinge gerufen. Dieses Missverständnis hat ihm jetzt zahlreiche Anzeigen und auch die von der Dresdner Staatsanwaltschaft aufgenommenen Ermittlungen wegen Volksverhetzung eingebracht.

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Inzwischen hat (zum Beispiel) Spiegel Online das auch gemerkt und zumindest in den Artikeln den Kontext ergänzt, auch im auf SPON erschienen Kommentar zu Priniccis Rede wird das Missverständnis aufgeklärt. Andere Medien wie Focus Online wollen sich noch nicht so richtig vom Flüchtlings-Holocaust-Unterton trennen:

Screenshot: Focus

Dieses „Er legte nach" ist natürlich offiziell völlig unangreifbar, aber es teilt den Satz eben genau so, dass das mit den KZs wieder alleine steht. Eleganter gelöst haben das andere Medien wie Zeit Online und die Deutsche Welle, die in ihren Artikeln nun einfach berichten, die Staatsanwaltschaft würde wegen gegen Pirincci ermitteln, weil er „die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb" gesagt habe. Was faktisch stimmt, aber eben leichter falsch als richtig verstanden werden kann (bei der Zeit hat man noch hinzugefügt, er habe das „mit Blick auf deutsche Politiker gesagt"—das ist fast schon absichtlich missverständlich).

Warum so viel Sorge darüber, dass Pirincci bloß nicht falsch verstanden und zitiert wird? Hat er es nicht geradezu herausgefordert, mit seiner dämlich ironischen Formulierung, dass man den Satz falsch versteht? Absolut. Der Satz war dumm, KZs sollten in Reden über Flüchtlinge überhaupt nicht vorkommen, Pirincci hat bewusst mit dem Feuer gespielt und sich jetzt tüchtig verbrannt. Er hat so ziemlich alles verdient, was gerade über ihn hereinbricht, Mitleid muss man wirklich keins mit ihm haben.

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Allerdings geht es nicht mehr nur um Pirincci. Unter dem Eindruck der Reden vom letzten Montag ist nämlich auch die Empörung über die Pegida-Bewegung im Allgemeinen so groß geworden, dass jetzt mehrere Politiker offen fordern, man müsse die Demonstrationen der Bewegung verbieten. Und das kommt nicht von der Linken, sondern von Politkern aus allen Parteien, inklusive des Innenpolitik-Experten der CDU, Ansgar Heveling. Der Grünen-Abgeordnete Volker Beck hat Pirincci und Bachmann wegen des Zitats wegen Volksverhetzung angezeigt. Der SPD-Vize erklärte in der Welt, Pegida sei ein Fall für den Verfassungsschutz.

Das ist der heftigste Gegenwind, den Pegida seit der Entstehung bekommen hat. Und auch wenn die Politiker-Reaktionen sich nicht ausschließlich auf das KZ-Zitat beziehen (und teilweise, wie Stegners Forderung nach dem Verfassungsschutz, durchaus sinnvoll sind), liegt doch ziemlich nahe, dass es unter anderem dieses Zitat war, das die demokratischen Politiker zu solchen Reaktionen provoziert hat.

Ein Pegida-Verbot war noch nie und ist auch jetzt weder besonders sinnvoll noch wirklich durchsetzbar. Die Pegida-Anhänger werden nicht einfach verschwinden, sie werden sich nur anders organisieren, auf Arten und Weisen, die deutlich unangenehmer und schwerer zu kontrollieren sein werden als eine montägliche Demonstration.

Trotzdem steht das Verbot jetzt im Raum, und auch sonst ist einiges an Ärger über Pegida hereingebrochen—und das wahrscheinlich auch wegen eines Zitates, das aus dem Zusammenhang gerissen und ins Gegenteil verkehrt wurde. Pegida jetzt immer wieder dieses Zitat in die Schuhe zu schieben, wäre fatal. Jeder dieser „Lügenpresse"-Rufer würde sich in seinem Verfolgungswahn vollkommen bestätigt fühlen, man würde aus der ganzen Bewegung praktisch im Handumdrehen Märtyrer der „Systempresse-Propaganda" machen.

Es gibt es sowohl in Pirinccis als auch in den anderen Reden, die auf diesem Rassismus-Woodstock geschwungen werden, genug Material, um Pegida als rassistische und rechtsradikal geführte Veranstaltung zu entlarven. Man muss die Pegida-Redner also nicht verteufeln für Dinge, die sie nicht sagen. Das, was sie sagen, reicht völlig aus.