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Reisen

Hausbesetzer und Prügel in Amsterdam

Die Behörden in Amsterdam führen einen erbarmungslosen Krieg gegen die Hausbesetzerszene der Stadt.

So viel zu dem Ruf Amsterdams, ein Paradies für Exzesse zu sei, das von kraushaarigen Liberalen regiert wird. Zur Zeit ist der Anblick eines kreischenden Crusties, der an den Haaren in einen Lieferwagen gezogen wird, ungefähr genauso alltäglich, wir der von pilzefressenden Ausländern, die vor die Tram laufen. Letzte Woche hat die neueste Runde von Zwangsräumungen in der niederländischen Hauptstadt stattgefunden.

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Das bekannteste Objekt war ein besetztes Haus in Schijnheilig, das am Passeerders Kanal liegt. Das ist schade, weil es kein schlechter Ort zum Party machen war. Und wenn ich „Party" sage, dann meine ich nicht diesen acht Stunden Minimal Techno Marathon, der nur auszuhalten ist, wenn du bis obenhin mit schlechten Drogen vollgepumpt bist.

Gesetz ist trotzdem Gesetz und deshalb mussten die Besetzer abziehen. Die Räumung machte dabei den Kanal zu einem Schlachtfeld, 143 Leute wurden festgenommen - wir übrigens auch. So haben sich die Ereignisse des Tages zugetragen.

Wir sind am Montagabend rüber gegangen, der Nacht vor der geplanten Räumung, um zu sehen, was los ist. Wir wurden mehr als nur gastfreundlich behandelt, aber als wir den Gastgebern erzählt haben, dass wir Journalisten sind, nahmen sie das Angebot zurück, dass wir hier schlafen könnten, und sagten uns, dass wir am nächsten Morgen um Punkt 5:30 Uhr wieder auftauchen sollen. Also haben wir das gemacht.

Als wir angekommen sind saßen fünf schmollende Frauen in Hochzeitskleidern da und ein freundlicher Ire hat Geige gespielt, während ein Anarchist in einem schwarzen Hoodie sinnlos auf ein Schlagzeug eingetrommelt hat. Es war sehr rührend, aber andererseits war es 5:30 Uhr morgens. Selbst eine Tamponwerbung kann einen Mann um 5:30 Uhr morgens zu Tränen rühren.

Die üblichen düsteren Gestalten in Skimasken mit Hass auf alles Zivilgesellschaftliche waren da, aber auch viele fröhliche Unterstützer, die Make Up trugen und bunt angezogen waren. Hippies, um genau zu sein.

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Dieser maskierte Typ las Geschichten über maskierte Rächer. Um diese Zeit hat einer der Besetzer gefragt, warum die Bereitschaftspolizei sich so lange Zeit lässt. „Wir haben einen der Räume mit Seifenlauge gefüllt, sie fängt langsam an, zu verdunsten." Das hat ihn echt fertig gemacht.

Auf der anderen Seite des Kanals hat eine Band auf einem Dach gespielt. Es hat sich echt scheiße angehört, aber die Idee war schon irgendwie romantisch, denke ich. Ein Freund meinte, es war „wie eine Noise Band auf der Titanic". Ich habe ihm gesagt, er soll aufhören, so melodramatisch zu sein.

Zu diesem Zeitpunkt wurde es den Besetzern langweilig und sie dachten sich, sie treiben die Dinge mal voran, indem sie einen Mülleimer am Ende der Straße anzünden. Die Feuerwehr hat es schnell gelöscht, aber die Besetzer kriegten, was sie wollten und die Polizei traf schon bald darauf ein.

All Cops are Bastards: Das Akronym, das sich nicht um Sprachbarrieren oder internationale Grenzen schert. Wenn ich ein Brite wäre, dann würde mich der Anblick dieser Flagge mit einem gewaltigen Maß an patriotischem Stolz füllen.

Schließlich haben sich zwei Fronten gebildet. Kleine Leute in schwarzen Hoodies…

Gegen große Leute mit Schlagstöcken, Tränengas, Einsatzschildern, Schutzkleidung und gelben Westen.

Mein Freund Alejandro kletterte auf die Barrikaden, um Fotos zu machen, aber die meisten anderen Journalisten haben von der anderen Straßenseite aus gefilmt. Ein schlauer Schachzug. Sobald die Polizei anfing, anzurücken, mussten wir mehrere Straßensperren der Besetzer überwinden, um zu vermeiden, dass wir ins Niemandsland geprügelt werden. Wir verfingen uns zwischen den Schlagstöcken der Polizei und den Wurfgeschossen der Besetzer. Die Crusties hatten scheinbar ihre Küchen leergeräumt, um etwas zu haben, dass sie auf die Bullen werfen können. Was auch erklären würde, warum Alejandro den Rest des Tages mit Glassplittern in seiner Hand und Blut und Erdnußbutter auf seinem Arm verbrachte.

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Das war die vorderste Verteidigungsline: eine pinkfarbene Luftmatratze.

Die Nutzlosigkeit der Luftmatratze als Schutzschild hat die Leute nicht davon abgehalten, sie mitzunehmen, während sie geflohen sind. Weil Alejandros Faust zerfleischt war, musste er seine Kamera Ewout geben. Ewout lief schnell in eine Gasse, wo er auf ein weiteres Opfer stieß…

Eine nette Lady hat ihm Pflaster gegeben und ihm ein paar tröstende Worte ins Ohr geflüstert. Er hat diese Haltung eingenommen, um der Polizei zu zeigen, dass ihre Brutalität ihn nicht vom Besetzen abhält.

Weil es noch so früh war, sind hin und wieder Nachbarn schlaftrunken auf die Straße getaumelt. Ich bin mir nicht sicher, ob das Che Guevara T-Shirt dieses Mannes bedeutet, dass er ein Revolutionär ist, auf jeden Fall hat er sich dem Treiben nicht angeschlossen.

Polizeiwägen pflügten durch die Menge.

Dann haben sie angefangen, uns einzukesseln. Wir steckten ewig mit über einhundert Besetzern zwischen zwei Gruppen der Polizei fest. Sie liessen niemanden gehen, nicht mal diese alte Dame.

Dann sind zwei Fremde, die die Proteste beobachten hatten, in den Kanal gesprungen, um sich den Besetzern im Kessel anzuschließen. Ich würde sie Idioten nennen, aber ich denke, das würde mich zu einem Heuchler machen.

Ein Mädchen von den Besetzern ging dann auch schwimmen. Die Polizei hat danach das Ufer abgesperrt.

Und dann hat uns jemand über ein Megaphon mitgeteilt: „Hier ist die Polizei. Alle Besetzer und deren Sympathisanten sind hiermit festgenommen." Wir haben versucht, mit ihnen zu reden, weil wir ja von der Presse waren und nur unseren Job machten, aber das war ihnen wirklich egal.

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Diese Polizisten in Zivilklamotten haben sich über diese Neuigkeiten gefreut, weil das bedeutete, das sie endlich anfangen konnten, zu arbeiten…

Was soviel heißt, wie endlich damit anfangen konnten, gewaltsam Leute festzunehmen, von denen sie schon seit Stunden verspottet wurden.

Die meisten Leute haben sich einfach hingesetzt, damit sie einzeln zu den drei Bussen getragen werden mussten, die uns alle ins Gefängnis bringen würden. Klar hört sich das mutig an, aber es ist schwer zu vermitteln, wie demoralisierend es ist, rumzusitzen und den Leuten zuzusehen, wie sie noch etwas nichtigen Widerstand bieten, bevor sie letztendlich von Daddy in einen Van geschmissen werden.

Unsere Redaktionsleiterin Wiegertje hat sich aus dem Bett gequält, um eine VICE Ausgabe zu holen, um sie der Polizei zu zeigen, weil da unsere Namen drinstehen und wir gehofft haben, dass das Beweis genug wäre, dass wir von der Presse sind. Aber es hat nicht geklappt. Ich hab keine Ahnung, warum wir dachten, dass die Tatsache, dass wir für  VICE arbeiten uns da raushelfen würde.

Während Alejandro davongekommen ist, weil er seine verwundete Hand verbinden lassen musste, haben Jan und Ewout drei bzw. acht Stunden hinter Gittern verbracht (bringt immer einen Ausweis mit, wenn ihr zu einer Demo geht, Kinder!). Sie wurden in verschiedene Gefängnisse gesperrt, samt den Besetzern und deren Sympathisanten. Es hat gestunken (vorwiegend nach Schweiß und der Art von Fürzen, die Leute, die schon lange nichts mehr gegessen haben, ausstoßen). Aber sie sind mit einer Vorladung davongekommen.