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​Heidenau: Rechte greifen Polizei an, Polizei verprügelt Linke – was sonst?

Obwohl über 30 Polizisten von Neonazis verletzt wurden, gab es kaum Festnahmen. Stattdessen prügelte die Polizei auf die linke Gegendemo ein.
Heidenau. Foto: imago/epd

An drei Tagen wütete der rechte Mob im sächsischen Heidenau—mit dem erklärten Ziel zu verhindern, dass Flüchtlinge eine Notunterkunft in einem ehemaligen Baumarkt beziehen dürfen. Die Ausschreitungen bilden einen traurigen Höhepunkt der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, die in den letzten Monaten drastisch zugenommen haben.

Gleichzeitig zeichnen sie sich auch dadurch aus, dass rechte Randalierer immer wieder gezielt und mit aller Härte Polizisten und Polizistinnen angegriffen haben. Insgesamt wurden seit Freitag mehr als 30 Polizisten verletzt, einer davon schwer—er bekam einen Stein mitten ins Gesicht.

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Umso überraschender ist die sehr zurückhaltende Antwort der Polizei. Anfangs ertrugen die Beamten die Stein- und Böllerwürfe auf sie selbst und die anwesenden Journalisten geduldig, nicht einmal eine Lautsprecherdurchsage war zu hören.

Erst als eine große Gruppe Neonazis anfing, Barrikaden zu bauen und Dinge in Richtung Heim zu werfen, schossen die Beamten Tränengas über der Menge ab, die sich danach unbehelligt wieder zusammenrotten konnte.

Besorgte Bürger in Aktion. Foto: imago/epd

Am Samstag ein ähnliches Spiel. Wieder gab es regelrechte Straßenschlachten—aber anstatt die Randalierer festzunehmen oder sie einzukesseln, wie das zum Beispiel bei linken Demos Standard ist, lieferte sich die Polizei lieber ein Katz-und-Mausspiel mit etwas Tränengas dazwischen. In diesem Video—das der Originalposter bald wieder offline nahm, von dem aber eine Kopie gemacht wurde—kann man gut sehen, wie Neonazis johlend Jagd auf einzelne Polizisten machen, die sich immer mal wieder halbherzig zur Wehr setzen—aber nie einen Zugriff durchführen:

Am Sonntag hatte die Polizei aufgerüstet, sie errichtete einen Kontrollbereich um die Unterkunft, Wasserwerfer wurden aufgefahren. Mittlerweile hatten sich auch Antifas angekündigt, der Schwarze Block kam schließlich mit 250 Leuten in die Stadt. Und so viel Geduld sie mit den Neonazis gehabt hatten, die sie immer wieder tätlich angegriffen hatten, so rabiat gingen sie gegen die Demo der Antifaschisten vor, die bis auf einzelne Böllerwürfe größtenteils von Provokationen abgesehen hatten. Videos und Fotos zeigen, wie die Polizei massiv gegen sie vorgeht. Erst gab's Tränengas und Knüppel, dann wurden sie regelrecht zum Bahnhof gejagt. (Es soll sogar Anzeigen geben, weil Leute Halstücher dabei hatten).

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Wir wollten wissen, was genau da los war und haben mit Nico* gesprochen, der bei der Demo der Antifaschisten dabei war.

VICE: Hallo Nico, du warst am Sonntagabend in Heidenau. Was hattet ihr da vor?
Nico: Wir sind gemeinsam aus Dresden nach Heidenau gefahren. Zunächst haben wir uns am Bahnhof getroffen, um den Zugang der Nazis zur Asylunterkunft zu blockieren. So sind wir einer Gruppe zum Versammlungsort direkt vor den Praktiker-Baumarkt gelaufen, um uns dort mit weiteren Unterstützern zu treffen.

Das war am späten Nachmittag. Als wir ankamen, waren wir schockiert von dem, was wir sahen: Viel Polizei um uns herum, zwei Wasserwerfer und relativ wenig Gegendemonstranten auf unserer Seite. Auf dem Weg zum Kundgebungsplatz kamen dann immer wieder kleine Gruppen Nazis. Zu dem Zeitpunkt war es aber noch relativ ruhig.

Hat die Polizei dort die Lage im Griff?
Na ja, was ist denn die beiden Tage vorher passiert? 31 verletzte Polizisten am Freitag, zwei am Samstag—und von Festnahmen bei den rechten Schlägern war bislang noch gar keine große Rede. Von „im Griff haben" kann keine Rede sein. Die Nazis marschierten in etwa 20 Mann starken Gruppen durch Heidenau. Und abseits kam es immer wieder zu kleineren Rangeleien. Auf Facebook und Twitter haben sie dazu aufgerufen, die Unterkunft anzugreifen.

Passiert ist von polizeilicher Seite nichts. Im Gegenteil: Die gingen dann noch gegen uns vor. Wir haben versucht, den Zugang der Nazis zum Heim zu blockieren und das Gebäude zu schützen. Und als Dank werden wir zum Objekt der polizeilichen Gewaltmaßnahmen.

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Foto: imago/epd

Wie kam es zu den Zusammenstößen mit der Polizei?
Wir haben uns um das Heim versammelt, um den Zugang der Nazis zu blockieren. Es hieß, dass die Polizei eine Gruppe Rechter in einem nahegelegenen Wald aufgegriffen hat. Das sorgte zunächst bei uns für Erleichterung und ließ vermuten, dass sie tatsächlich besser organisiert sind als die Tage zuvor.

Wir beschränkten uns darauf, mit Sprechchören unseren Protest zu äußern. Als es dann vermehrt zu Böllerwürfen und Angriffsversuchen von Seiten der Nazis kam, haben wir versucht, uns zu schützen. Die Polizei hatte es augenscheinlich nicht hinbekommen.

Es kam am Rande erneut zu kleineren Auseinandersetzungen, bis die Polizei die Blockade und unseren Protest aufzulösen versuchte, obwohl noch zahlreiche Nazis in der Stadt unterwegs waren. Zu keinem Zeitpunkt sahen wir die Asylsuchenden in Sicherheit und weigerten, uns den Baumarkt den Nazis zu überlassen. Dann ging es los: Wir wurden mit Pfeffer und Schlagstöcken zum Bahnhof geprügelt. Von Verhältnismäßigkeit keine Spur. Die Nazis standen zum Teil an den Straßenrändern und lachten uns aus, provozierten, bewarfen uns mit Flaschen und Steinen. Wie gesagt—die Polizei hat uns nicht beschützt, sie hat uns vertrieben.

In einigen Medien ist von Verletzten an einer Tankstelle die Rede, es gab Fotos von einem blutenden Mann. Es heißt, ihr hättet „vermutlich Rechte" angegriffen. Was war da los?
Das mit dem Mann habe ich nicht mitbekommen. Ich war damit beschäftigt, einen meiner Freunde zu stützen, weil er nicht mehr laufen konnte. Aber ja, an der Tankstelle ging es dann richtig los. Flaschen, Steine, Feuerwerkskörper, Rauchbombem. Die ganze Palette. Ich habe keine Ahnung, ob es Verhaftungen auf der Seite der Nazis gab. Es war alles sehr unübersichtlich.

Es gab also Verletzte auf eurer Seite?
Und wie! Prellungen und Augenreizungen durch das Reizgas waren noch die harmlosesten Verletzungen. Einer der Unterstützer wurde am Boden liegend mehrfach von vorbeirennenden Polizeibeamten getreten. Mehrere Platzwunden durch den Einsatz von Schlagstöcken sowie ein Verdacht auf einen gebrochenen Arm zeigen das gewalttätige Vorgehen der Polizei uns gegenüber. Ich sehe dafür auch keine Rechtfertigung. Bis in die Nacht hinein haben wir zunächst im Zug, später in Dresden unsere Leute einigermaßen versorgen können.

Werdet ihr wieder nach Heidenau kommen, um zu demonstrieren?
Ich kann für mich sagen: Ja. Einige haben aber auch Angst, sich erneut zwischen die Fronten zu stellen und Opfer der rechten wie auch der polizeilichen Gewalt zu werden. Friedlicher Protest gegen Nazis und für den Schutz Asylsuchender muss legitim werden. Von daher: Ja. Wir kommen so lange nach Heidenau, nach Freital und wo auch immer der braune Mob sein Unwesen treibt, bis sich an der grundlegenden Situation etwas geändert hat.

*Name von der Redaktion geändert