FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

​Mit abgeklebten Brüsten wäre Thomas Gottschalks Geburtstagssendung zumindest offen sexistisch gewesen

‚Herbstblond – Gottschalks große Geburtstagsparty' war ein einziger, unerträglich fader Altherrenwitz. Auch ohne nackte Haut.
Foto: Gottschalk in Berlin 2012 via photopin

Es gibt Personen—auch des öffentlichen Lebens—, die altern in Würde. Und es gibt Leute, die feiern ihren 65. Geburtstag auf RTL. Ich meine, vielleicht tue ich Thomas Gottschalk auch ein bisschen Unrecht, vielleicht bin ich zu hart mit ihm. Wahrscheinlich ist es nicht so einfach, jahrzehntelang die größte Show Deutschlands zu moderieren ( Wetten, dass…?), ein gefragtes Werbegesicht zu sein (Haribo) und im Allgemeinen immer dann zur Stelle zu sein, wenn ein strahlender Riese mit güldenem Lockenschopf vonnöten ist—und dann plötzlich auf dem Abstellgleis des Showbiz als alter Mann, der immer ein bisschen komisch angezogen ist und dessen Frisur deutlich an Spannkraft und Farbe verloren hat, vor sich hin zu existieren.

Anzeige

Thomas Gottschalk ist sicherlich einer DER Entertainer der deutschen Film- und Fernsehgeschichte. Was er mittlerweile allerdings auch ist: Ein popkulturelles Überbleibsel aus einer Zeit, in der sich Shows fest in der Hand von Männern mittleren Alters befunden haben und Frauen als Showgäste vor allem dann gerne gesehen waren, wenn sie hübsche Kleidchen tragen und immer schön in die Kamera lächeln.

Schon im Vorfeld gab es diesbezüglich jede Menge schlechte Publicity für die knapp dreistündige Gala, die live aus dem Berliner Admiralspalast übertragen wurde. Es tauchte nämlich eine geleakte Jobanfrage auf, in der noch kurzfristig nach Hostessen für den Abend gesucht wurde, die bereit seien, „etwa 20 Minuten lang auf der Bühne zu stehen und hübsch auszusehen." Das sollte aber natürlich nicht alles sein. „Hugo Egon Balder wird eure BHs mit einer Schere zerschneiden", hieß es dann weiter, „auf euren Brüsten kleben Patches mit Fotos bzw. Filmszenen [sic!] die von Thomas Gottschalk erraten werden müssen."

In einer anderen TV-Ära wäre diese plump sexistische Wette womöglich anstandslos durchgewunken worden. Frauen, wir erinnern uns, sind schließlich dazu da, um schön auszusehen. Im Jahr 2015 folgt auf solche Einlagen allerdings in aller Regel ein Shitstorm, der die Verantwortlichen dazu zwang, zurückzurudern und den Programmpunkt kurzerhand zu streichen. Auch das Geburtstagskind selbst erklärte auf Nachfrage von Spiegel Online: „Ich habe diese Bikini-Wette auf den Proben nie gesehen, aber jetzt im Vorfeld mitbekommen, womit ich überrascht werden sollte. Das war sicher nett gemeint, ich verzichte aber dankend: An meinem Geburtstag soll kein Bikini zu Schaden kommen."

Anzeige

Lassen sich von niemandem den BH aufschneiden: Chinas Elite-Leibwächterinnen

Es ist überaus löblich, dass sich Gottschalk offen gegen eine Showeinlage stellt, die so offensichtlich aus einer anderen TV-Ära stammt, dass sie die junge Generation in ihrem plumpen Sexismus eigentlich nur auf die Barrikaden bringen kann. Andererseits spielt sie aber auf eine Art von Wette an, wie sie bei Wetten, dass…? jahrelang zum guten Ton gehört hat. Fast wünscht man sich also, es wäre wirklich zu abgeklebten Brüsten und halbnackten Frauen in High-Heels gekommen—das wäre nämlich zumindest offen sexistisch gewesen. Stattdessen geriet die Geburtstagssendung zu einem einzigen Altherrenwitz, der klar machte, warum diese Art von Galasendung endlich ausgedient haben sollte.

In den Einspielern aus seiner Supernasen-Zeit mit Mike Krüger gab es Witze über sexuellen Missbrauch, Mario Barth durfte per Telefon gratulieren (obwohl der Admiralspalast sicher ganz gut mit den Öffentlichen hätte erreicht werden können) und ankündigen, dass Goldbären-Tommy für seine Art von Humor überhaupt erst den Weg geebnet hätte und Barbara Schöneberger war einmal mehr die einzig autark wirkende Frau auf weiter Flur—auch wenn ihr das alles andere als leicht gemacht wurde. Besonders bezeichnend: Die Szene, in der sie Gottschalk mit seiner Eigenart, den weiblichen Wetten, dass…?-Gästen im intimen Couch-Talk das mal mehr, mal wenige bekleidete Knie zu tätscheln, konfrontieren wollte. „Die wollen das", so der Grundtenor des selbstgefälligen Erklärungsversuchs.

Anzeige

Andererseits: Bei der Aussicht auf Sex „Jippiiieh" rufend aus dem Club zu galoppieren, ist ein ziemlich guter Move.

Es war wahrlich auch kein großer Moment für die Frauenwelt, als Günther Jauch, normalerweise zahnloser Polit-Talker oder sympathischer Wettonkel, die blonde Allzweck-Moderationswaffe überaus uncharmant als Frau mittleren Alters bezeichnete, bei der er sich eher weniger darüber freuen würde, dass sie ihn bereits zu Schulzeiten gerne im Radio gehört hätte. Vielleicht umgeben sich TV-Zampanos wie Gottschalk deswegen so gerne mit jungen, vom Leben noch nicht so sehr gezeichneten Frauen—sie lassen einen das eigene Alter vergessen.

Das mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass Lena Gercke, die mit dem 65-Jährigen nur die Haarfarbe und die Tatsache gemein hat, dass beide mal (unabhängig voneinander) in der Supertalent-Jury saßen, so unfassbar lange durchs Bild tänzeln durfte. Der Höhepunkt ihres Gastauftritts: Sie schminkte Gottschalk mit Lippenstift und grellbuntem Lidschatten (denn ist es nicht das, was Frauen so den ganzen Tag tun? Hihi) und steckte ihm eine Art Federgesteck in die ergraute Mähne.

Noisey: Kay Ones Dating-Show ist das Frauenfeindlichste, was seit Langem im Fernsehen gelaufen ist

Anschließend durfte der Entertainer derart großmütterlich zurechtgemacht zusammen mit Star-Fiedler David Garrett die Papageno-Arie performen, irgendwann wurden auch noch Arnold Schwarzenegger und Celiné Dion zugeschaltet und wer dieses Show-Disaster aus Kleidungs-Witzen und gähnender Tristesse lange genug aushielt, durfte dann auch noch Til Schweiger und das Geburtstagskind dabei beobachten, wie sie ein Fake-Vorsprechen für den Alzheimer-FilmHonig im Kopf nachspielten. Haha, Alzheimer. Versteht ihr? Weil Thomas Gottschalk alt ist? Ach, egal.

Immerhin: Neben dem blondgelockten Zampano verblassten sie alle—egal ob Hollywood-Star, Beatles-Wegbegleiter oder Supermodel. Wenn es nämlich etwas gibt, was der legendäre Wetten, dass…?-Moderator kann, dann mit möglichst wenig Inhalt möglichst viel Zeit totzuschlagen und jeden im Umkreis von mehreren Kilometern einfach totzureden. Trotzdem ist es Zeit, den Show-Dinosaurier ins Museum zu schicken. Irgendwann passt auch das maßgeschneidertste Glitzerjackett einfach nicht mehr.

Wenn Lisa schlechte Witze macht, tut sie es auf Twitter.


Titelfoto: Thomas Gottschalk bei der Einweihung seines Sterns auf dem Boulevard der Stars in Berlin (2012) via photopin(license)