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Heulsuse der Woche: Tokio Hotel vs. rechte Burschenschaften

Tokio Hotel wollen Konzertlocations wegen ein paar Lampen boykottieren und eine Direktorin hat kein Problem damit, wenn rechte Burschenschaftler ihre Schüler unterrichten.
Foto: Aljoscha Redenius

Und wieder ist es an der Zeit, sich über ein paar Menschen zu wundern, die mit der Welt nicht fertigwerden.

Heulsuse #1: Tokio Hotel

Der Vorfall: Tokio Hotel treten in Berlin auf und müssen ihre Bühnenshow etwas an die räumlichen Umstände der Location anpassen.

Die angemessene Reaktion: Es tun. Sie dürften nach zehn Jahren im Showbiz schließlich Profis sein.

Die tatsächliche Reaktion: Öffentlich zum Boykott gegen die Veranstaltungshalle aufrufen.

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Es muss ziemlich hart sein, bereits im Teenager-Alter den Höhepunkt seiner Karriere erreicht zu haben—und danach trotzdem noch den Großteil seines Lebens rumbringen zu müssen. Immerhin hat man ordentlich Geld gemacht und irgendwo finden sich schon noch ein paar Fans, die schreiend vor der Bühne stehen. Genau wegen dieser unverwüstlichen Anhänger existieren Bands wie Tokio Hotel überhaupt noch und haben die Möglichkeit, Gigs in Locations wie dem Heimathafen Neukölln zu spielen.

Weil Tokio Hotel aber nicht so richtig verstanden haben, dass sie zehn Jahre nach „Durch den Monsun" nicht mehr so ganz der heiße Scheiß sind, kam es im Rahmen ihrer aktuellen Tour zu einem mittelgroßen Eklat. Nach ihrem Auftritt in der Berliner Location postete die Band auf Facebook nämlich folgendes Statement: „Super Show—schlimmste Location aller Zeiten! Der Heimathafen Neukölln ist scheiße! Christoph Wuest und Florian Kroeckel haben unsere kreative Freiheit beschnitten und versucht, unsere Show zu manipulieren. Fast hätten wir den Auftritt absagen müssen …Lasst uns den Heimathafen boykottieren und ihnen zeigen, was es heißt, sich mit den #aliens anzulegen!"

‚Was zur Hölle ist passiert?', fragen wir uns alle in atemloser Spannung. Musste Bill den Eyeliner zu Hause lassen? Durften bestimmte Songs nicht gespielt werden? Nein. Es ging lediglich um ein paar Lampen. Noch vor dem Auftritt moserte Bill Kaulitz im Gespräch mit dem Musikdienst Ampya darüber, dass eine Lichtinstallation, die bei allen anderen Gigs fester Bestandteil des Bühnenprogramms war, in der Location so nicht hätte aufgebaut werden können—aus Sicherheitsgründen. „Was total lächerlich ist, weil wir ja selber auf der Bühne stehen", kommentierte der Frontmann die Bedenken des Veranstalters.

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Der Heimathafen Neukölln hingegen erklärte seinerseits in einem Facebook-Post: „Beim gestrigen Konzert von Tokio Hotel war der Einsatz von Lichtequipment geplant, das für einen Ort unserer Größe nicht zulässig ist und damit ein Sicherheitsrisiko für Publikum, Künstler, Mitarbeiter und Gebäude darstellt." Der Produktion sei dies bereits frühzeitig mitgeteilt worden, damit „geeigneter Ersatz" gefunden werden könne. Da haben die #aliens wohl vergessen, ihre E-Mails zu checken.

Heulsuse #2: Eine burschenschaftsfreundliche Schuldirektorin

Der Vorfall: Ein Lehrer ist Mitglied einer rechtsgerichteten Burschenschaft. Ein Schüler informiert seine Mitschüler darüber im Rahmen einer Flugblattaktion.

Die angemessene Reaktion: Als Schulleitung seine Einstellungspolitik überdenken, Gespräche mit dem Lehrer führen.

Die tatsächliche Reaktion: Den Schüler abmahnen.

Grundlegend ist natürlich festzuhalten, dass eine deutliche Grenze zwischen Privatleben und Beruf zu ziehen ist. Nur weil der Musiklehrer in seiner Freizeit Taylor Swift hört, kann er seine Schüler natürlich trotzdem weiterhin über das Lebenswerk von Bach aufklären. Schwierig wird es allerdings dann, wenn jemand das Fach Politik unterrichtet und sich parallel in einer rechtsgerichteten Burschenschaft engagiert—so passiert in unserer ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn. Der Pädagoge „Herr K." ist Teil der Raczeks zu Bonn, einer alten Bruderschaft, die unter anderem 2011 zu unrühmlicher Bekanntheit gelangte, als sie sich in einem Manifesto zum Brudertag für rein deutsche Mitglieder aussprachen. Schließlich hätten Menschen mit „nicht europäische[r] Gesichts- und Körpermorphologie" nichts in einer Burschenschaft zu suchen.In Anbetracht dieser recht fragwürdigen Weltanschauung ihres Lehrers kam es bei einigen der Schüler zu durchaus verständlichen Ressentements. Nachdem ein offener Brief mit der Forderung, K. solle sich von den Raczeks distanzieren oder folgerichtig seiner Position enthoben werden, keinen Erfolg zeigte, ging einer der Aktivisten noch weiter. Der 19-Jährige suchte das persönliche Gespräch mit dem Pädagogen und verteilte außerdem Flugblätter in der Schule, um auf den Interessenskonflikt zwischen rechtsgerichteter Burschenschaft und angemessener Vermittlung von Themen wie dem Dritten Reich oder aktuellen Asyl-Debatten hinzuweisen.

Diese Vorwürfe scheinen insofern Hand und Fuß zu haben, als dass der Lehrer sich nach Informationen von Spiegel Online im Unterricht bereits positiv zur Pegida-Bewegung geäußert und burschenschaftsintern mit dem Rechtsextremen Norbert Weidner solidarisiert haben soll. Während K. weiterhin betont, seine Mitgliedschaft in der Burschenschaft „nie als politisches Tätigkeitsfeld empfunden" zu haben, rief die Aktion des Schülers indes die Direktorin der Schule auf den Plan.

Statt ernsthaft zu prüfen, inwiefern die Verbindung ihres Personals zur rechten Szene wirklich dem pädagogischen Auftrag ihrer Bildungsinstitution schaden könnte, ging sie den 19-Jährigen selbst an. Er solle „die Persönlichkeit des Lehrers angegriffen" haben, angeblich drohte sie dem jungen Mann sogar mit Rauswurf. Sie selbst bestritt, dem Schüler mit einem Schulverweis gedroht zu haben, gab aber offen zu, schon vorher von seinem Engagement bei den Raczeks gewusst zu haben und dies nicht als Problem zu empfinden.

Letzte Woche: Pegida hat sich ein neues Zählsystem ausgedacht, um der Lügenpresse ein Schnippchen zu schlagen, und die Philippinen haben keinen Bock auf die Kiffer von One Direction.

Der Gewinner: Pegida!