"Es ist ja nicht alles schlecht, was Hitler getan hat" – ein Besuch in Braunau am Inn

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"Es ist ja nicht alles schlecht, was Hitler getan hat" – ein Besuch in Braunau am Inn

Das Geburtshaus von Hitler soll zwar nicht abgerissen, aber "tiefgreifend architektonisch" umgestaltet werden. Die Stadt, die stärker als jede andere mit Hitler assoziiert wird, ist erleichtert und empört zugleich.

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Im "Tal" unterhalb der Braunauer Altstadt herrscht Volksfeststimmung. Ein idyllischer Fußweg führt über die Dr.-Kriechbaum-Stiege hinunter in die Braunauer Au, einem sattgrünen Naherholungspark mit Bächen, Teichen und Wiesen nahe am Inn. Dutzende Bierbänke und -tische stehen rund um ein nagelneues Gebäude aus Holz und Glas.

Da heute das schwarze Stadtoberhaupt, Hannes Waidbacher, zu spät kommt, übernimmt der blaue Vizebürgermeister, Christian Schilcher, die Rolle als offizieller Redner der Stadt: "Darauf können wir Braunauer alle stolz sein" und meint damit die Eröffnung eines neuen Gebäudes, dem mit 203.800 Euro aus der Gemeindekassa kräftig unter die Arme gegriffen wurde.

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Ein Schalk, wer jetzt an das Geburtshaus von Adolf Hitler denkt, das (noch) nicht dem Erdboden gleichgemacht wurde, wie von gewissen Herren, darunter Norbert Hofer, Wolfgang Sobotka und dem russischen Duma-Abgeordneten Franz Adamowitsch Klinzewitsch, unisono empfohlen. Vielmehr weiht der ASKÖ Minigolf Sportklub Braunau heute sein neues Klubheim ein, das mehr ein schickes Wirtshaus im Grünen mit öffentlicher Toilette als ein bescheidener Vereinssitz ist.

"In New York gibt es den Central Park, bei uns das Naherholungsgebiet", sagt Franz Lechner, Obmann des Minigolfvereins, über den "Englischen Garten von Braunau" und holt in seiner Eröffnungsrede weit aus, um wirklich die gesamte Geschichte seines Klubs zu erzählen: 1966 soll die Minigolfanlage von einem Salzburger Baumeister namens Karl Hitler erbaut worden sein. Hitler?! "Na, mit dem da oben hat der nichts zu tun", sagt Lechner, deutet Richtung Salzburger Vorstadt und schüttelt den Kopf.

Lest hier, warum Braunau immer noch ein Hitler-Problem hat

"Hiedler! Karl Hiedler heißt der." Bis heute bleiben die genauen Umstände im Dunkeln, warum Alois Hitler, Vater des NS-Diktators, seinen ursprünglichen Familiennamen Hiedler ändern ließ. Dennoch scheint es, als sei einer der größten Verbrecher der Menschheitsgeschichte omnipräsent in seiner Geburtsstadt, gerade auch an den Biertischen.

"San wir in Timbuktu oder was!", schreit ein älterer Herr genervt über die Theke, wenn man ihn zur geplanten Enteignung der Hitlerhaus-Besitzerin Gerlinde Pommer fragt. Der Mann heißt Timo und ist ganz nah am Geschehen, schließlich betreibt er den "Vorstadtimbiss" in Sichtweite zum wohl bekanntesten Haus von Braunau. "Der is jo gor ned dort geboren, sondern im Stall dahinter, wo jetzt die Parkplätze stehen", wirft ein Gast in die Runde, die sich mehrheitlich gegen die vom Innenministerium angekündigte Enteignung ereifert.

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Das wird die Stadt ewig verfolgen, das wird nie aufhören.

Einem Vertrauten zufolge soll Pommer alle juristischen Mittel gegen die Enteignung ausschöpfen wollen. "Recht hod's—i würd ma des a ned g'foin lossen", sagt Wirt Timo in breitem Innviertler Dialekt. "Der Oide is genau nur 36 Monate in Braunau gewesen", erzählt Klaus. Er ist wie die meisten im Lokal Pensionist. Wie die Jungfrau zum Kind sei Braunau dazu gekommen, weltweit mit nur einem bestimmten Mann verbunden zu werden.

"Das wird die Stadt ewig verfolgen, das wird nie aufhören", sagt der frühere Vermessungstechniker. Er schätzt, dass 90 Prozent der Braunauer "die Fresse voll" haben von dem Thema, er selbst gehört auch dazu: "Letztens fragt mich ein Japaner mit dem Rücken zum Geburtshaus, wo denn Hitler geboren wurde. Mir is es am Orsch gangen und da hab' ich ihn über die Grenzbrücke nach Simbach geschickt", lachen Klaus und die anderen am Biertisch.

Laut dem Grünen Stögmüller wurde die Entscheidung der Enteignung als große Erleichterung in Braunau aufgenommen. Glaubt man jedoch dem Blauen Schilcher, dann überwiege unter den Braunauern die Empörung darüber, dass die Hitlerhaus-Besitzerin enteignet werden soll. Vor eineinhalb Jahren hat der FPÖ-Vizebürgermeister in einem Interview eine mögliche Enteignung noch mit "Theaterdonner" und "Pointe" abgetan. Nun scheint das Innenministerium ernst zu machen.

Die Bundesregierung hat am 12. Juli eine Gesetzesvorlage zur Begutachtung in den Nationalrat geschickt, die noch dieses Jahr beschlossen werden soll. "Da habe ich mich offensichtlich getäuscht. Die Enteignung hat uns überrascht, das sage ich ganz ehrlich. Ich hätte nicht geglaubt, dass die Republik so weit geht", sagt Schilcher. Der Entscheidung, erstmalig einer Privatperson nicht aus baulichen, sondern historischen und sicherheitspolitischen Gründen den Besitz zu entziehen, ist ein jahrelanges Geplänkel vorangegangen.

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Ist eine Enteignung der Eigentümerin die Lösung für das Hitlerhaus?

Seit dem Auszug der Lebenshilfe vor mehr als fünf Jahren steht das symbolträchtige Geburtshaus von Hitler leer. Laut einem Vertrauten verweigert die Besitzerin alle Umbaumaßnahmen. Daraufhin hat das Innenministerium mehrere Kaufangebote gestellt, die aber von der Eigentümerin stets ignoriert wurden. Ein Bekannter von Pommer sagt, dass niemand mit einer Kaufabsicht an sie herangetreten sei. Sogar über die geplante Enteignung habe sie keinerlei Schriftverkehr erhalten und nur aus den Medien davon erfahren.

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Eigentümerin nie ein Kaufangebot bekommen hat", sagt die frühere SPÖ-Vizebürgermeisterin und aktuelle Stadträtin Ingrid Neulinger und schenkt hinter der brandneuen Bar des ASKÖ Minigolf Sportklub Braunau Bier aus. Auch der zur Einweihungsfeier geladene, aber aus Protest abwesende Gemeinde- und Bundesrat Stögmüller von den Grünen kann sich das beim besten Willen nicht vorstellen. "Sogar im Ministerialentwurf steht, dass mit Pommer Gespräche geführt wurden, zum Beispiel auf Raststätten. Es wurden ihr ganz sicher Kaufangebote für dieses Haus überbracht. Dann einfach zu sagen, mit mir hat nie jemand gesprochen, ist ein Abschotten von der Realität", findet der 29-jährige Parlamentarier.

Es würden sicher auch viele Besucher nach Braunau kommen, die eben keine Hitlertouristen sein wollen.

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Der schwarze Bürgermeister will sich in der Causa wie zu vielen anderen Dingen rund ums Hitlerhaus lieber nicht äußern. Es sei nicht leicht mit Frau Pommer in Kontakt zu kommen, sagt Waidbacher. So geht es auch den meisten Braunauern, nur wenige kennen die Grande Dame persönlich. Einer von ihnen ist der in der Linzer Gasse ansässige Trafikant Martin Simböck. Sein verstorbener Bruder Wolfgang, früher SPÖ-Gemeinderat, wollte anlässlich des 100. Hitler-Geburtstages gemeinsam mit dem damaligen Bürgermeister Gerhard Skiba eine Gedenktafel am Hitlerhaus anbringen, wogegen die Besitzerin Pommer mit Hilfe ihres damaligen Anwalts, ÖVP-Fraktionsobmann Florian Lackner, erfolgreich auf Unterlassung klagte.

Vor diesem Hintergrund blieb der Gemeinde 1989 nichts anderes übrig, als einen Mahnstein aus dem ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen auf dem Gehsteig vor dem Haus aufzustellen. Dagegen konnte Pommer nicht juristisch vorgehen, schließlich steht das Mahnmal auf öffentlichem Grund. Am Biertisch bemerkt ein Gast trocken: "Den Gedenkstein braucht kein Mensch in Braunau. Viel besser wäre ein Parkplatz."

Das Hitlerhaus abzureißen wäre eine Kapitulation vor den Nazis

Trafikant Simböck kennt Pommer persönlich: "Die Frau Pommer ist eine Kundschaft von mir. Ich erlebe sie als sehr nette und angenehme Person." Über das Reizthema Hitlerhaus hat Simböck noch nie mit Pommer gesprochen, der sich selbst für ein Haus der Verantwortung stark macht, in dem Historiker und junge Menschen aus der ganzen Welt zusammenkommen sollen. "Für das Image von Braunau wäre das sehr positiv—weltweit! Es würden sicher auch viele Besucher nach Braunau kommen, die sich bis jetzt nicht dazu entschließen können, weil sie eben keine Hitlertouristen sein wollen", sagt Simböck. Aber gibt es diese wirklich?

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Die Fragen nach dem Hitlerhaus seien weniger geworden, findet Alois Zagler. Das Gründungsmitglied der Braunauer Grünen betreibt vis-à-vis vom Geburtshaus seit vielen Jahren einen Bioladen. Eine weitere direkte Nachbarin des weltbekannten Gebäudes ist Christine Baccili, die mit ihrem italienischen Mann gleich nebenan seit 25 Jahren einen Eissalon führt. Laut der Tourismusobfrau und Eisdielenbetreiberin erkundigen sich offiziellen Aufzeichnungen der Tourismusinformation zufolge sechs Prozent der Braunau-Besucher nach dem Hitlerhaus.

"Also gegen früher hat das sehr abgenommen, 1991 waren das wesentlich mehr", erinnert sich die ÖVP-Ersatzgemeinderätin, die findet, dass man auch das Positive der NS-Zeit sehen müsse: "Wir haben ein Glück gehabt, dass Hitler damals das Aluminiumwerk in Ranshofen gemacht hat. Es ist ja nicht alles schlecht, was er getan hat. Natürlich, Menschenvernichtung und so, aber die passiert nach wie vor", sagt Baccili.

Obwohl das Interesse am Geburtshaus stark abgenommen haben soll, erkundigt sich schon nach wenigen Minuten ein Pensionistenpaar aus Bayern nach dem genauen Standort. Innerhalb einer halben Stunde bleiben zahlreiche Menschen und eine ganze Radfahrergruppe vor dem Hitlerhaus stehen, halten inne und nehmen einen Erinnerungsschnappschuss mit, darunter auch Andreas und Manuela, die sich gegenseitig mit dem berühmten Gebäude als Hintergrundmotiv fotografieren. Gefragt, was sie an dem Haus so fasziniert, antwortet Manuela wie aus der Pistole geschossen: "Hier wurde doch unser Führer geboren!"

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Passant in Braunau zu — Markus Sulzbacher (@msulzbacher)18. Oktober 2016

Das junge Pärchen aus Deutschland ist gerade auf Österreich-Urlaub und erzählt, dass sie unbedingt das Geburtshaus von Hitler noch einmal sehen wollten, bevor es abgerissen wird. "Bei uns wäre es schon längst dem Erdboden gleichgemacht worden. Ihr Österreicher geht da Gott sei Dank anders mit eurer Geschichte um", sagt Andreas, der in Stuttgart bei einem Versicherungsunternehmen arbeitet. Überhaupt würde in Deutschland die Geschichte völlig falsch erzählt, "schließlich habe Hitler auch gute Seiten gehabt, aber davon erfährt man ja nichts", sagt Manuela, die ursprünglich aus Sachsen stammt und jetzt in Stuttgart Post zustellt.

In ihrer Schule in Leipzig habe sie nichts über den Nationalsozialismus gelernt. "Alles was ich über diese Zeit weiß, habe ich von meinem Mann." Der erzählt von der "Wahrheit" im Internet und in Dokus, zum Beispiel, dass Hitler angeblich nur Frieden mit Polen wollte und den Russen mit seinem Angriff lediglich zuvorkam. Sollte das Hitlerhaus doch nicht abgerissen werden, dann wünschen sich Andreas und Manuela am liebsten ein Museum, das Hitlers Familienverhältnisse sowie die "wahre Geschichte" erzählt und in dem das Geburtszimmer bei freiem Eintritt zugänglich ist.

Der amtierende FPÖ-Vizebürgermeister Schilcher hat einmal vorgeschlagen, eine Geburtenstation im Hitlerhaus einzurichten. Wäre dies für das noch kinderlose Paar eine Option? "Die Entfernung von Stuttgart wäre machbar", überlegt Andreas. "Wenn die Ärzte gut sind, warum nicht?", findet Manuela. Beide wollen zwar nicht in einer NS-, aber dafür in einer FPÖ-Gesellschaft leben.

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"Ihr Österreicher seid da freier als wir Deutschen. Wenn man krone.at liest, dann erfährt man Dinge, die bei uns von der Lügenpresse verschwiegen werden", sagt das Paar, das sich in Deutschland am ehesten von der AfD politisch vertreten fühlt. Bei der Verabschiedung fragt er noch, ob wir Österreicher uns vorstellen könnten, wieder zu Deutschland zu gehören.

Lest hier über den Kampf um das Hitlerhaus in Braunau

Zurück am Biertisch sieht Alois, Wirt der Altdeutschen Weinstube in Braunau, das Hitlerhaus als Tourismusfaktor: "Wenn da etwas Gescheites rein kommt, dann habe ich jeden Tag drei Busse voll mit Touristen." Während die ÖVP und die SPÖ an der in die Jahre gekommenen Nutzungsidee Volkshochschule und Volkshilfe festhalten, spricht sich die FPÖ für ein Amtsgebäude im Geburtshaus aus: "Wenn es wirklich zur Enteignung kommt, was ich nicht hoffe, dann wäre ein Finanzamt oder eine Gemeindeeinrichtung am besten. Damit sind jegliche Umtriebe von vornherein ausgeschlossen", sagt Schilcher.

Die Grünen in Braunau können sich eine solche Nutzung nicht vorstellen, weil ein Amtsgebäude keine Entmystifizierung bewerkstellige. "Ganz ehrlich: Mit einem Finanzamt im Hitlerhaus machen wir uns lächerlich, auch international", sagt Stögmüller. Er spricht sich für einen Mix an verschiedenen Einrichtungen aus, zum Beispiel eine Exit-Ausstiegsstelle für Rechtsextremisten, ein Roma-und-Sinti-Verein oder einer Anlaufstelle für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender (LGBT).

Ganz ehrlich: Mit einem Finanzamt im Hitlerhaus machen wir uns lächerlich, auch international.

"Das wäre ein starkes Zeichen, weil es sich bei diesen Gruppen um Menschen handelt, die in der NS-Zeit vertrieben und vernichtet wurden", sagt der Bundesrat, der damit rechnet, dass das Enteignungsgesetz durch alle juristischen Instanzen bis zum Verfassungsgerichtshof gehen und nicht vor 2019 abgeschlossen sein wird.

Die tatsächliche Enteignung Gerlinde Pommers wird also voraussichtlich noch Jahre dauern. Doch schon heute steht fest, dass das Stigma, zufälliger Geburtsort von einem der größten Massenmörder der Geschichte zu sein, den Alltag der Braunauer weiter beeinflussen wird. Egal wer der neue Besitzer des ungeliebten Hauses sein wird und was auch immer er damit anstellen mag.

René J. Laglstorfer ist freischaffender Journalist aus Steyr.