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Sex

Hinter den Kulissen einer Sexhotline-TV-Show

Welche Eigenschaften muss man als Darstellerin mitbringen und wer ruft eigentlich noch bei solchen Diensten an, wenn es doch genügend Pornos im Internet gibt?

Es ist 18:30 Uhr an einem Wochentag und ich bin gerade dabei, meine Reise in die Welt von Babestation anzutreten—die beliebteste Anruf-Erotikshow im britischen Fernsehen. Viele meiner Freunde haben darauf gedrängt, dass ich sie mitnehme—ihre nichtexistenten Fähigkeiten als Fotografen als Belohnung für den Zugang zum Babestation-Büro seien doch ein faires Geschäft. Ich muss hier, glaube ich, kaum erwähnen, dass ich alle diese Angebote ausgeschlagen habe und sich die Fantasie doch immens von der Realität unterscheidet.

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Alle Fotos: Chika Nnaemeka

Das erste Anzeichen dafür, dass die Babestation-Erfahrung vielleicht nicht so ganz den hohen Erwartungen gerecht werden wird, ist der Anfahrtsweg: Inzwischen ist das Unternehmen nämlich in ein trostloses Industriegebiet eine Stunde außerhalb von London gezogen. Der genaue Standort bleibt ein Geheimnis, weil in der Vergangenheit einige hartnäckige Fans versucht haben, die Lücke zwischen Fantasie und Realität zu schließen, und mit verwelkenden Tankstellen-Blumensträußen vor dem Unternehmenssitz aufgetaucht sind. Der befindet sich jetzt allerdings zwischen einer Vielzahl von Lagerhallen, in denen Lebensmittel verpackt und Sandwiches produziert werden. Die beim Betreten des Geländes erklärten Grundregeln lassen sich eigentlich ziemlich einfach zusammenfassen: „Mit den Darstellerinnen werden keine Nummern ausgetauscht."

Babestation wurde im Jahr 2002 gegründet und ist zweifelsohne das Paradebeispiel für britische Late-Night-Softcore-Erotik. Das Format ist dabei denkbar einfach: Eine oder zwei Frauen sind im Fernsehen zu sehen und halten die Zuschauer mit verführerischem Gekicher und intimen Berührungen bei der Stange, während zwei andere Frauen in den Telefonkabinen Platz nehmen. In diesen Telefonkabinen kann dann mittels einer teuren 0900-Nummer angerufen werden. Trotz des relativ einfachen Produktionswerts nimmt man die ganze Sache bei Babestation doch ziemlich ernst: Die Shows gehen nahtlos ineinander über und erschaffen eine Fantasiewelt sowie einen Zufluchtsort, die beide die verschiedensten Männertypen ansprechen—von Einzelgängern über glückliche Ehemänner bis hin zu betrunkenen Kerlen, die einfach nur ein bisschen Spaß wollen. Die Frauen wechseln sich ab, die Anrufe hören nicht auf und Babestation macht ordentlich Gewinn.

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„Das ganze Format wurde von den Eignern kreiert, die aus der Telekommunikationsbranche kommen", erzählt Mo, der Geschäftsführer der Produktionsfirma Cellcast. Er ist auch derjenige, der sauer wird, wenn ich den Mädels meine Nummer gebe. „Es gibt verschiede Entstehungsgeschichten. Anscheinend begann alles mit einer Telefonnummer in diversen Revolverblättern. Wenn man dort anrief, wurde einem eine aufgenommene Sexgeschichte vorgespielt. Dann sind die Typen gekommen und meinten: ‚Hey, wir besitzen doch einen TV-Sender, warum kombinieren wir diese Dinge nicht einfach?' Und schon waren die Show und dieses Format geboren."

Das alles geschah so um 2002 herum. Damals boomte das Geschäft noch—jetzt nehmen kostenlose Porno-Websites natürlich ein großes Stück von Babestations Marktanteil weg. Wir sind beim 20:00-Uhr-Strategie-Meeting dabei, um uns ein Bild davon zu machen, wie sich Babestation von der Konkurrenz abheben will.

Das Strategie-Meeting könnte so auch in jedem anderen Büro stattfinden: Draußen bahnen wir uns unseren Weg durch die vielen weggeworfenen Zigarettenkippen und befinden uns schließlich in einem biederen Büro, das ohne das große Babestation-Logo über unseren Köpfen auch als Stockfoto-Motiv herhalten könnte. Ohne die Darstellerinnen macht es sich das Team bequem und diskutiert über die Themen, das Zielpublikum und den allgemeinen Ablauf der Nacht. Trotz alledem, was vor den Kameras abläuft, ist das Team überraschend klein: Ein Producer, ein Service Producer (der unter anderem auch dafür verantwortlich ist, dass alle Regeln und Vorgaben eingehalten werden—er ist quasi die Hand vor dem Schritt) und die Mitglieder der provisorischen Kamera-Crew, die oft zusätzlich noch als Licht-, Sound- und Musik-Techniker fungieren müssen.

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Fünf Darstellerinnen arbeiten die Nacht durch und wechseln sich dabei auf den Kanälen Babestation 1, Babestation Extra und Babestation Blue ab. Das Standardformat für jede Nacht ist immer gleich: Drei Frauen stehen vor der Kamera, während die anderen beiden in der Form von Foto-Shootings, Babestation-Webcams und Hintergrundkommentaren weitere Inhalte produzieren. Das alles ist Teil der einwandfrei laufenden Maschine, die im Grunde nur dazu da ist, eine Nachfrage nach Telefonsex zu schaffen—unter der Woche werden dabei ungefähr 1200 Anrufe erzielt, am Wochenende dann das Doppelte.

Ein Kameramann erzählt mir, dass die heutigen Darstellerinnen „richtig heiß" sind—das Team erwartet viele Anrufe. Preeti Young ist von den fünf anwesenden Damen schon am längsten dabei, nämlich fünf Jahre. „Ich habe es mit einem Studium versucht", meint sie zu mir, während sie sich ihr Make-up aufträgt. „Ich habe auch schon mal einen Vollzeitjob gehabt. Mir wurde jedoch klar, dass das nicht das war, was ich wollte—also mich von Gehalt zu Gehalt hangeln. Ich wollte unabhängig sein, das Leben genießen und mein verdientes Geld klug investieren." Sie trägt sich ihren Lippenstift auf und dreht sich zu mir. „Jetzt besitze ich ein wunderschönes Haus und bin bald als Geschäftsfrau tätig."

Hinter den Kulissen herrscht im Umkleidezimmer zwischen den Frauen eine ganz natürliche und normale Stimmung—die Gesprächsthemen reichen dabei vom Fernsehprogramm bis hin zu den schönsten Babynamen. Mo ist stolz auf die Dinge, die seine Angestellten nebenbei machen. „Eine von ihnen studiert und Katie Cole hat schon einen MA in der Tasche und will Anwältin werden. Alle Frauen hier haben einen guten Riecher fürs Geschäft und sind extrem klug." Delia Rose—eine der Darstellerinnen dieser Nacht—besitzt mit 20 Jahren schon ihr erstes Haus. Es hat den Anschein, als würde es sich ziemlich lohnen, bei Babestation zu arbeiten.

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Das Strategie-Meeting ist um 21:00 Uhr vorbei und die Atmosphäre vor der Übertragung verändert sich—an Anfang noch kaum spürbar, aber dann schon sehr deutlich. Die Mädels laufen halbnackt herum und geben ihren Babestation-Persönlichkeiten den letzten Schliff. Der Producer teilt den Darstellerinnen—heute sind Preeti Young, Maddy Rose, Beth, Dannii Harwood und Delia Rose anwesend—den Zeitplan mit und dann geht es los.

Der Anfang ist noch vergleichsweise zahm: Die Darstellerinnen gehen die Sache bis zur Zeitgrenze für das Erwachsenenprogramm noch langsam an und machen die Zuschauer vorerst nur heiß auf das, was dann ab 22:00 Uhr zu sehen sein wird („Bleibt dran, Freunde! Bald ist Preeti Young an der Reihe und sie ist heute ziemlich wild drauf" und so weiter). Dann ertönt der Gong und alle Dämme scheinen zu brechen: Die Telefonzentrale ist schwer beschäftigt, denn die Zuschauer rufen die Hotline an, um ein wenig Intimität mit der jeweiligen Lieblingsdarstellerin zu bekommen. Die Anrufer harren in der Warteschleife aus, um direkt mit den Mädels zu sprechen—während sie warten, können sie auch dabei zuhören, wie die Darstellerinnen mit anderen Zuschauern plaudern. Ich entschied mich dazu, im Backstage-Bereich mal reinzulauschen und es ist wirklich eine ziemlich komische Erfahrung, alles über die Fantasien der Anrufer zu erfahren—sowohl privat als auch nicht privat.

Das Kamera-Team und die Darstellerinnen arbeiten als perfekte (und dazu auch noch Spaß habende) Einheit zusammen und stellen sicher, immer wieder neue Reize für den Zuschauer zu schaffen und gleichzeitig die omnipräsenten Vorgaben von Ofcom, der britischen Medienaufsichtsbehörde, einzuhalten. Ein Mitglied des Kamera-Teams erzählt mir, dass das ein richtig gefährliches Minenfeld von Regeln ist—keine sexuell-aggressiven Bewegungen, keine geschlossene Hand vor dem Schritt (damit keine Selbstbefriedigung suggeriert werden könnte), keine Frontalaufnahmen und so weiter. Die ganze Nacht hindurch ist man ständig darauf bedacht, das zu vermeiden, was man in dieser Industrie als „Verschüttung" bezeichnet.

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„Es ist OK, sich zwei Finger anzuschauen und darüber zu reden, sie zu lutschen. Wirklich in dem Mund nehmen darf man sie dann aber nicht."

„Damals war alles noch viel entspannter", meint der Producer zu mir. „Jetzt darf man auf bestimmten Kanälen nicht mal mehr einen Blowjob nachahmen." Was ist denn dann erlaubt? „Es ist OK, sich zwei Finger anzuschauen und darüber zu reden, sie zu lutschen. Wirklich in dem Mund nehmen darf man sie dann aber nicht. Der Sex findet dann letztendlich auch mehr am Telefon statt, aber auch da müssen die Mädels vorsichtig sein, weil es in dem Bereich ebenfalls Vorgaben gibt."

Beim Mithören der Gespräche (die richtig versaut sind, Vorgaben hin oder her) bin ich richtig angeekelt davon, wie die Frauen die Anrufer in Ekstase reden. Hier einige Beispiele: „Richtig geil, wie du mich fickst", „Wow, 20 Zentimeter pure Lust" oder „Soll ich ihn in den Mund nehmen?" Die visuellen Anreize regen die Fantasie der Zuschauer nur noch weiter an und wummernde House-Musik dröhnt durch das Studio, um die Darstellerinnen, das Team, die beiden Außenstehenden und die Anrufer bis in die frühen Morgenstunden durchhalten zu lassen.

Im Laufe der Nacht reichen die Themen der Auftritte vom Cheerleader über eine Sekretärin bis hin zu einem außergewöhnlich kessen Mädchen in einer Seitengasse (bei den Fans extrem beliebt). Das Versprechen auf weitere anzügliche Bilder und verbales Vorspiel lässt die Anzahl der Anrufer nochmals steigen—währenddessen hat die Kamera-Crew die Echtzeit-Bildschirme fest im Blick, auf denen zu jeder Zeit die eben genannte Anzahl abzulesen ist. Und es hört nicht auf: Ab und an mischt sich zwar auch mal ein „Arschloch-Anrufer" (so sagt man das in der Branche) dazwischen, aber das Telefon steht niemals still und die 20-Zentimeter-Lobpreisungen und die gestöhnten „Oh Babys" scheinen kein Ende zu nehmen.

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Die Darstellerinnen arbeiten weiterhin hart vor der Kamera, bewegen sich dabei aufreizend und hören den Fantasien der Anrufer zu. Das Team kommt bei der Auswahl der richtigen Kameraeinstellungen gehörig ins Schwitzen: Ein angebrachtes Maß an Brust und absolut kein Schritt—die Interaktion mit den Zuschauern muss schließlich stundenlang aufrecht erhalten werden. Und genau hier liegt auch das Geld: Es ist diese süchtig machende Kontroll-Macht-Beziehung zwischen den Anrufern und den Darstellerinnen, die die Telefonleitungen weiter glühen lässt; die Kamera-Crew ist nur gesichtsloses Beiwerk zur Fantasieverwirklichung.

„Wow, 20 Zentimeter pure Lust!"

Für die TV-Psychologin Dr. Funke Baffour hat dieses vom Zuschauer kontrollierte Element von Babestation gewisse Ähnlichkeiten mit einem (sexy) Videospiel. „Man spielt quasi PlayStation und steuert die Darstellerinnen—das ist aufregend", erzählt sie mir. „Durch einen Anruf kann man ihnen die Anweisung geben, die Beine zu spreizen. Das ist doch viel erregender und stimulierender, als sich einen Porno anzuschauen. Diese Kontrolle macht schnell süchtig und die Zuschauer werden von den gezeigten Bildern magisch angezogen, denn sie sind ja quasi ihr Werk. Es gibt sogar fast so etwas wie ein Gefühl von ‚Stolz', denn die anderen Zuschauer können ja ebenfalls sehen, was man die Mädels machen lässt, und vielleicht genießen sie das Ganze dann genauso wie einer selbst."

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Für Dave, einen Babestation-Fan der ersten Stunde, ist vor allem diese Kontrolle über das Objekt der Begierde das, was ihn so fasziniert. „Ich finde, dass ich eine gewisse Kontrolle habe, und der Anrufer viel Macht besitzt, weil er alles steuert", erzählt er mir. Eigentlich zählt dann aber doch nur eins: „Letztendlich schalte ich den Fernseher ein, um ein paar sexy Frauen dabei zuzusehen, wie sie ihre Titten und Füße auspacken und das machen, was ich will."

Die Macht-Dynamik geht jedoch auch in die andere Richtung, denn die Darstellerinnen haben ebenfalls Trümpfe in der Hand: Sie erschaffen die Intimität, sie halten die Zuschauer so lange wie möglich in der Leitung und sie haben die wirkliche Kontrolle über das Geschehen. Im Grunde ist Babestation auch nur ein gutes altes Rollenspiel—alle Involvierten wissen (größtenteils), dass das hier nur eine Fantasie ist.

Aber trotz all der ergiebigen Synchronität, der psychologischen Interaktion und den cleveren, hausbesitzenden Darstellerinnen stehen Babestation und seine Position als interaktive Sex-Hotline Nummer Eins möglicherweise vor dem Abgrund. Mo bringt es auf den Punkt: „Telefonsex-Hotlines fristen inzwischen ein Nischendasein und bedienen nur noch eine … bestimmte Altersgruppe." Anders ausgedrückt: Interaktives Fernsehen kann mit dem Riesen in Form von Internet-Pornos nicht mehr mithalten—vor allem wenn die dort angebotenen Webcam-Shows den gleichen Service (Intimität, Kontrolle, direkten Kontakt mit der Darstellerin) wie Babestation anbieten, dafür aber nicht so viel Geld pro Minute verlangen.

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„Als ich noch jung war, hat sich alles um die berühmte ‚Page Three' gedreht", meint der Producer wehmütig zu mir. „Jetzt spielt sich alles im Internet ab und da wird auch ohne Zweifel der größte Umsatz erzielt. Unsere TV-Show hat zwar ein tolles Format, aber es wird dennoch immer schwieriger. Es gibt die eine Generation, die mit diesem Format in Berührung kam und inzwischen genügend Geld verdient, um sich den Anruf leisten zu können—und das ist auch der Kern unseres Geschäftsmodells. Die jetzt nachkommende Generation hört jedoch von Babestation und denkt sich dann: ‚Ich gebe jetzt doch nicht einen Haufen Geld für einen Anruf aus, wenn ich auch einfach ins Internet gehen kann.'"

„Letztendlich schalte ich den Fernseher ein, um ein paar sexy Frauen dabei zuzusehen, wie sie ihre Titten und Füße auspacken und das machen, was ich will."

Infolgedessen hat Babestation auch zwei reine Online-Ableger an den Start gebracht (Babestation Unleashed und Babestation Cams), um ein jüngeres und porno-erfahrenes Zielpublikum zu bedienen, das härteres Material gewohnt ist. Vor allem Babestation Cams hat der Marke einen ganz neuen Markt eröffnet—ohne dabei den Kostenrahmen zu sprengen. Deshalb sind jetzt auch Babestation Latina, South Africa und Germany einige Konzepte, über die nachgedacht wird. Babestation ist also noch nicht am Ende: Online und fernab der Vorgaben von Ofcom ist es den Darstellerinnen möglich, dem bereits vorhandenen Kernpublikum eine noch privatere (und lukrativere) Interaktion anzubieten.

Die Zukunft des TV-Formats liegt zwar vielleicht im Dunkeln, aber der Ruf der Marke als Anbieter von sexueller Realitätsflucht, die der Zuschauer steuert, wird offensichtlich dazu führen, dass es auch in dem kommenden Jahren auch weiterhin „Viva La Babestation" heißen wird. Wie lange sich das Telefonsex-in-einer-Lagerhalle-Format wirklich noch halten wird, ist jedoch reine Spekulationssache—das Zielpublikum von Männern, die viel Geld für ein nächtliches Telefongespräch mit einer Babestation-Darstellerin ausgeben, ist immerhin noch allemal vorhanden.

Gegen 5:30 Uhr neigt sich die Nacht dem Ende zu: Die Anrufe werden immer weniger und die Nachtschicht-Arbeiter werden von der Frühschicht abgelöst. Wir müssen jetzt nur noch im Dunkeln den trostlosen Rückweg nach London antreten. Als wir im Taxi die Autobahn entlang fahren, sehen wir die Lichter in den Häusern weit entfernter Städte aufleuchten. Handelt es sich dabei um die Wohnzimmer von Babestation-Zuschauern? Sind diese Menschen so lange aufgeblieben, um dabei zuzusehen, wie Dannii Harwood ihren BH auf- und wieder zumacht? Oder sind sie einfach nur auf Pornhub gegangen und haben sich dann einen runtergeholt? Wir werden es wohl nie erfahren.