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Hüttrauch—das Crystal Meth der steirischen Rossknechte

Arsen ist als schwer nachweisbares Mordgift aus der Hausapotheke gut verheirateter zukünftiger Witwen bekannt. Aber dass es von österreichischen Bauern, Knechten und ihren Pferden schon seit dem 17. Jahrhundert als leistungssteigerndes Hilfsmittel...

Foto aus dem Archiv der Familie Hofer

Arsen ist weitgehend als schwer nachweisbares Mordgift aus der Hausapotheke gut verheirateter zukünftiger Witwen bekannt. Meinetwegen auch als Insektenbekämpfungs- oder Färbemittel. Aber dass es von österreichischen Bauern und Knechten schon seit dem 17. Jahrhundert als leistungssteigerndes Hilfsmittel eingenommen wurde, wissen die Wenigsten. Und das in Mengen, die einen herkömmlichen Großstadt-Raver vor Ehrfurcht zum Lulumachen veranlassen würden: Die letale Dosis wurde pro Tagesration je nach Bedarf nämlich um ein Mehrfaches überschritten.

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Dieses als Droge konsumierbare Arsen wird Hüttrauch genannt. Im Bergbaujargon steht Hüttenrauch für bei Verhüttung produzierten Staub, der durch Abkühlung von Gasen entsteht. Mittels Abröstung von arsenhaltigen Erzen erhält man so zum Beispiel Arsenrauch, der durch lange, gemauerte Kanäle geleitet wird, in denen sich zunächst Arsentrioxyd ablagert, welches durch Sublimation gereinigt wird. Zum einen hat man damit giftigen, umweltschädlichen Rauch erzeugt, zum anderen essfertiges Arsenikum. Österreich galt bis ins 19. Jahrhundert als bedeutender Arsenerzeuger. Bekannt waren das Arsenbergwerk Rotgülden und das Bergwerk im kärntnerischen Pöllatal. Von dort aus wurde Arsen nicht nur europaweit als Handelsware exportiert, sondern auch die umliegenden Ortschaften auf illegalem Weg versorgt.

Besonders berüchtigt sind diesbezüglich die „Arsenikesser“ aus der Steiermark. Am Land ist Hüttrauch, auch Hirdrach oder Hidri genannt, den Meisten dort auch heute noch ein Begriff. Hüttrauch wurde nachgesagt, dass es potenzsteigernd und verschönernd wirke—es solle die Haare dicht, die Augen glänzend und den Busen groß machen. In erster Linie jedoch wurde es von körperlich hart arbeitenden Knechten und Bauern konsumiert. Es sorgte unter anderem für längeren Atem und höhere Kälte- und Schmerztoleranz. Dort, wo Hüttrauch eingesetzt wurde, hat es im Winter nächtens nämlich auch heute noch bis zu minus 20 Grad Celsius.

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Bis in die 50er Jahre waren Pferde unverzichtbare Hilfsmittel in der Landwirtschaft, dementsprechend genau wurden die Tiere auch untersucht.

Es ist nicht genau bekannt, woher die Idee kam, sich mit einem der stärksten aller Giftstoffe die Arbeit ein wenig zu erleichtern, aber grundsätzlich kann man von einem Zusammenhang mit den Rossknechten ausgehen. Dazu muss man wissen, dass es vor allem Pferden gefüttert wurde, die jeden Winter riesige Schlitten, voll beladen mit zirka vier Meter langen Holzstämmen, aus dem Gebirge gezogen haben. Meistens in der Nacht, damit das Holz tagsüber schon dort war, wo es gebraucht wurde. Es war also schweinekalt und ziemlich anstrengend. Weil die Sache mit der Dosierung recht happig war, ist es naheliegend, dass die Knechte, die es den Pferden gegeben haben, am ehesten damit umgehen konnten, einige also nicht gleich bei den ersten Versuchen draufgegangen sind und so ihre Erfahrungen weitergegeben haben.

Als Rechtfertigung für die Konsumation seitens der Knechte dürfte wohl das Gerücht gedient haben, wonach ein Arsenpferd sich nach damaliger Auffassung auf Grund des Körpergeruchs nur von jemandem halten ließ, der auch Arsen genommen hat. Zumindest von Erzählungen kennt in dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, Hüttrauch noch so gut wie jeder über 50. Fest dazu entschlossen, eventuell aus erster Hand noch Informationen zur Wirkungsweise von Hüttrauch zu erfahren, machte ich mich auf in die Obersteiermark, um Leute zu befragen, die schon seit ihrer Kindheit als Knechte gearbeitet haben. Allerdings war denen nur schwer etwas über Hüttrauch zu entlocken und von der Idee, namentlich genannt zu werden, war auch niemand allzu begeistert.

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Aber erfahren habe ich, dass es die Bauern den Knechten früher regelrecht verabreicht haben sollen, damit sie „gscheit buckeln“. Diese Knechte sind dann in der Regel auch nicht sonderlich alt geworden, und somit darf bezweifelt werden, dass tatsächliche Konsumenten heute noch am Leben sind. Aber man weiß auch, dass die Bauern selbst zumindest im 19. Jahrhundert noch hin und wieder gerne zum Arsendöschen gegriffen haben. Zumindest beschreibt Peter Rosegger in einer seiner typisch heimatsverherrlichenden und heute unter anderem deswegen unangenehm zu lesenden Erzählungen einen Arsenesser als recht alltägliches Phänomen.

Die über 100 Jahre alten Fotos zeigen das harte Leben der Bauern, denen kein Lächeln zu entringen war, und die wichtige Rolle der Pferde am Hof.

Als ich jedenfalls nach längerem Suchen im Dorf endlich den 92-jährigen ehemaligen Rossknecht ausfindig gemacht habe, den ich schon seit meiner Kindheit kenne, meinte er zunächst, dass er von Hüttrauch noch nie etwas gehört hätte. Nach einer kurzen Unterhaltung über die harten Arbeitsbedingungen damals räumte er allerdings ein, dass es in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg vor allem Tagelöhner, die er liebevoll „Zigeuner“ nannte, den Pferden ins Futter beigemengt hätten. Langfristig haben die Pferde davon allerdings schrecklichen Husten bekommen, den der ortsansässige Wunderarzt übrigens mit einer Ration Weißkraut heilte.

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Außerdem waren sowohl Pferde als auch Menschen (übrigens ziemlich sicher nicht ausschließlich Tagelöhner), die das geschluckt haben, nur für die Dauer der Arsenkur arbeitsfähig. Bei der Verabschiedung gab mir der pensionierte Rossknecht noch den Ratschlag mit, dass ich mir besser kein Arsenpferd zulegen sollte, weil ich damit auf lange Sicht nicht weit kommen würde. Die Verschwiegenheit der ehemaligen Knechte lässt sich wohl auch damit erklären, dass es weder besonders legal war, Hüttrauch zu konsumieren, noch als besonders chic galt. Schon um 1850 war es für den Naturforscher Johann Jakob von Tschudi nicht leicht, Leute aufzutreiben, die ihren Arsenkonsum vor einer breiten Öffentlichkeit zugeben hätten. Aber immerhin gelang es später einem gewissen Dr. Knapp, zwei Arsenesser dazu zu bringen, vor Zeugen Hüttrauch zu essen—und zwar 0,3 beziehungsweise 0,4 Gramm. Normalerweise gilt eine Dosis ab 0,06 Gramm als tödlich.

Daraufhin wurden die Arsenesser eine weltweite Sensation: Sogar in einer Ausgabe der New York Times aus dem Jahr 1885 findet sich ein längerer Bericht über die steirischen Arsenesser. Darin wurde als Grund, warum die nicht alle an Vergiftungserscheinungen gestorben sind, angegeben, dass die Steirer sich von Generation zu Generation an den Arsenikkonsum gewöhnt hätten. Außerdem soll eine generell überaus fettreiche Ernährung dazu geführt haben, dass die Aufnahme des Giftstoffes ins Blut erschwert wurde.

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Dagegen spricht, dass die österreichischen Knechte gerne mal nach einem Happen Arsen ein paar Stunden lang auf Essen und Wasser verzichtet haben—um eine stärkere Wirkung zu erzielen. Darüber hinaus waren Butter, Speck und dergleichen für Knechte nicht unbedingt Selbstverständlichkeiten am Tagesmenüplan, weil diese Speisen generell strenger rationiert wurden. Diese Nahrungsmittel wurden je nach Stellung und Tätigkeit ausgegeben, und wie wir bereits wissen, war Hüttrauch-Konsum nicht unbedingt mit Ansehen und Status verbunden.

Arsen war überdies nicht das einzige starke Gift, mit dem sich die hiesige Landbevölkerung bei Laune hielt. Ein Bauer verriet mir, dass er dabei war, als ein alter Senner ein paar Wurzeln vom Blauen Eisenhut ausgegraben hat. Natürlich gelten auch die als hochgiftig, aber der Senner meinte recht pragmatisch, eine Messerspitze davon reichte, damit man im Winter „keinen Pullover braucht“. Nicht umsonst hat Plinius der Ältere den Blauen Eisenhut als „pflanzliches Arsen“ bezeichnet. Arsenikum jedenfalls war nicht unbedingt das benutzerfreundlichste Aufputschmittel. Nach dem Absetzen ging es mit Pferd und Mensch schnell bergab und es kam zu heftigen Entzugserscheinungen wie Angstzuständen und Diarrhöen, bevor es zum Kollaps führte.

Jedenfalls kann man annehmen, dass heutzutage das Zeug niemand mehr nimmt. Dass Hüttrauch als Droge im Laufe des 20. Jahrhunderts an Relevanz verloren hat, hat vielleicht damit zu tun, dass es keine Rossknechte mehr gibt, auch damit, dass es in der Gegend keinen Bergbau mehr gibt, bei dem Arsen als Nebenprodukt gewonnen würde. Für Interessierte: Arsen kommt aber auch (mitunter in der Steiermark) in natürlicher, gediegener Form vor. Solche Arsenbrocken kann man sich übrigens für sagenhafte 39,98 Euro auf Amazon kaufen. Eure Urgroßeltern fänden das aber sicher nicht witzig.

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