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Ich habe den Thermomix in meiner WG getestet

Ein Küchengerät, das in Portugal öfter verkauft wird als das iPad; und um dessen Billig-Version sich bei Lidl Leute prügeln—das musste ich mir in die Küche stellen.

Ganz schön High Tech für eine Küche, deren bisheriges Highlight ein Milchschäumer war | Fotos: privat

Kartoffeln und Karotten schmeiße ich nach Rezept in groben Würfeln in den Thermomix, dann drehe ich den Regler auf. Es ist laut. Ich habe noch nicht entschieden, ob der Mixer wie ein Feuerwehrauto auf Speed klingt, oder wie ein Wiesel, in das man einen Motor eingebaut hat.

Nach einer Weile löst sich der Rühreinsatz und haut den Spritzschutz oben ab. Vielleicht habe ich ihn nicht richtig aufgesetzt, über die Küchenablage verteilen sich jedenfalls Kartoffel-Karotten-Spritzer. Für ein Wochenende steht diese Objekt in meiner WG-Küche: der Thermomix. Ein über 1000 Euro teures Küchengerät, das verspricht, alles auf einmal zu können, der feuchte Traum vieler Hausfrauen- und Männer und für mich vor allem ein völlig unverständliches Mysterium.

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Die Wired interviewte kürzlich den Designer des neuen Thermomixes, das Handelsblatt nennt das Gerät ein "Kultobjekt", die Hamburger Morgenpost warnt: 45 Menschen haben sich mit dem "Alleskönner" schon verletzt. Einer Frau in Australien etwa sei das Gerät explodiert, obwohl sie dasselbe Rezept für Nudeln mit Tomatensoße verwendete wie immer. Die heiße Soße sei auf ihren Körper gespritzt. Die Geschichte erinnert an Samsungs explodierende Handys, und der Vergleich ist tatsächlich gar nicht so weit hergeholt: In Portugal, wo der Thermomix Bimby heißt und in 40 Prozent aller Küchen steht, werden mehr von den Geräten verkauft als iPads.

1,4 Milliarden Euro nahm die Firma Vorwerk—die auch Staubsauger und Kosmetika verkauft—2015 mit dem Thermomix ein. Es ist das wichtigste Stück des deutschen Unternehmens geworden. Das Küchengerät gibt es seit den 60ern; dass Leute darauf abgehen, ist neu.

Seit 2015 gibt es das Thermomix-Magazin MIXX, das auf Facebook über 35.000 Fans hat und auch den Thermomix-Kalender zum Ausmalen mit Buntstiften (kein Scherz) herausbringt. In diesem Jahre kam ein weiteres hinzu: Das Magazin Essen & Trinkenmit Thermomix aus der Essen & Trinken-Reihe. Die erste Ausgabe des Magazins mit einer Druckauflage von 200.000 Exemplaren war nach ein paar Tagen schon fast vergriffen, deshalb druckte der Verlag Gruner + Jahr gleich noch mal zusätzliche 60.000 Exemplare. Um den günstigen Thermomix-Nachahmer von Lidl prügelten sich die Leute—wortwörtlich.

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An mir ist der Ruhm des Gerätes vorbeigegangen.

Die Allgegenwärtigkeit eines Geräts, mit dem weder ich noch irgendwer, den ich kenne, irgendetwas verbindet, drängte dazu, sich der Sache einmal anzunehmen.

Die Firma Vorwerk stellt für den Test einen Thermomix zur Verfügung, hat aber keinen Einfluss darauf, was ich darüber schreibe. Die Presseabteilung des Unternehmens liest diesen Text erst, wenn er schon veröffentlicht ist.

Die freundliche Thermomix-Gesandte, die das Gerät bringt, ist keine Pressefrau—die Firma mit Sitz in Wuppertal hat keine Presseleute in Berlin. Sie ist eine von 16.500 sogenannten Repräsentantinnen, die durch Wohnungen ziehen und den Thermomix vorstellen, "Erlebniskochen" nennt sich das. Diese "Thermomix-Partys" sind der einzige Weg, über den das Gerät vertrieben wird. Sie sind Teil des Erfolgs der Küchenmaschine: Oft sind es Kundinnen, die zu Verkäuferinnen werden. Sie drehen den Thermomix wiederum ihren Freunden und Bekannten an. "Top-Sellerinnen" räumen mehr als 100.000 Euro an Provisionen ab pro Jahr, heißt es in einem Handelsblatt-Artikel.

Ich stelle mir vor, dass die Küchen, in die meine Verkäuferin normalerweise kommt, nur auf den Thermomix zu warten scheinen: perfekt sauber und hergerichtet für den großen Tag. Bei uns müssen wir erst mal Nutella und Erdnussbutter vom Frühstück zur Seite schieben, um die Maschine auf die Küchenablage zu hieven. Das Ding wiegt alles in allem über acht Kilo, also etwa so viel wie eine Kiste mit 20 leeren Bierflaschen.

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Sie preist mir kurz das Gerät an—die tausenden Rezepte, die Temperaturen (bis 120 Grad), die Rezeptsuche von A bis Z (revolutionär!)—, dann sagt sie: "Falls Sie Interesse an einer Thermomix-Party mit Freunden haben, das machen wir immer gerne." Menschen, die zu solchen (übrigens kostenlosen) Tupper-, Putz- oder Thermomix-Partys gehen, haben meiner Meinung nach die Kontrolle über ihr Leben verloren, egal ob sie dabei Jogginghosen oder die neue Karl Lagerfeld-Kollektion tragen. Außerdem: Was erwartet sie denn? Wir sind junge Menschen, die ihr Geld wohl kaum für Küchengeräte ausgeben, die teurer sind als ein Milchschäumer. Hat sie denn keinen Blick durch die Küche geworfen?

Der Lachs bleibt ein Eisklotz. Genervt brate ich den Fisch in einer Pfanne an.

Zum Glück verabschiedet sich die freundliche Verkäuferin, ohne eine Antwort auf ihr "Party"-Angebot zu erwarten, vielleicht ist mein Gesichtsausdruck aber auch einfach so sehr entrückt, dass sie es schon verstanden hat.

Die letzten zwei Jahre liefen für mich kulinarisch nach dem Motto: Ich lebe von der Hand in den Mund, aber die Chips sind lecker. Seit ich arbeite, reicht es für Pringles. An diesem Freitagabend heißt es: Lachs mit Kartoffel-Gemüse-Püree aus dem Thermomix.

Nach der etwas missglückten Pürier-Aktion, die aber doch das richtige Ergebnis hervorbrachte—Püree—, versuche ich den Lachs dampfzugaren. Dass das ohne Wasser kaum funktionieren kann, hätte ich mir denken können. Da ich aber nicht denke, sondern nur den Anweisungen auf dem Touchpad des Thermomixes folge—und ich "Wasser einfüllen" wohl aus Versehen übersprungen habe—funktioniert auch das nicht, wie ich es mir vorgestellt habe.

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Der Lachs bleibt ein Eisklotz. Es sind Jobs wie das Umblättern von Klaviernoten bei einem klassischen Konzert. Wenn alles gut läuft, war dein Beitrag zum Wohlklang des Konzerts ziemlich klein. Wenn du aber einen Fehler gemacht hast, war dein Job zwar immer noch winzig, führte aber trotzdem dazu, dass alles schief ging. Genervt brate ich den Fisch in einer Pfanne an. Das Essen schmeckt nach Lachs mit Kartoffel-Gemüse-Püree.

Am nächsten Tag haben Freunde Lust auf Germknödel. Wir suchen das Rezept am Laptop im Thermomix-Rezepte-Archiv und ziehen es mit einem Klick auf den sogenannten "Cook Key", der am Thermomix klebt und mit dem WLAN verbunden ist. Ganz schön High Tech für eine WG-Küche ohne Platz für einen Geschirrspüler. Dann geht es los, der Thermomix zeigt Schritt für Schritt an, welche Zutaten wir reinwerfen und auf welche Stufen wir die Regler drehen sollen.

Während der Hefeteig geknetet wird, warten wir. Mehr muss man nicht machen: davor stehen und warten. Das Display zeigt an, wie viele Minuten oder Sekunden es noch dauert. 10..9…8…7…6…5…4…3…2…1… pling pling pling. Das Gerät schreit uns förmlich an, um zu sagen, dass es fertig ist. Würden wir den Teig selbst kneten, würden wir dabei reden. So stehen wir vor einer Maschine und starren darauf.

Von "absoluter Geling-Garantie" hat die Verkäuferin gesprochen, wenn man die richtigen Mengen reinwirft und den Regler auf die vorgegebenen Stufen stellt.

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Aber es ist wie bei Pop-Songs: Vier Akkorde und ein netter Text geben eine sichere Nummer, aber wer möchte schon sein Leben lang Radio Energy hören? Ich bin skeptisch bei der maschinellen Fertigung schöner Dinge. Außerdem: Der Thermomix sagt er kann dampfgaren, emulgieren, kneten, kochen, erhitzen, mahlen, mixen, rühren, schlagen, vermischen, wiegen und zerkleinern. Wer würde denn einen Künstler hören, der sagt, er kann HipHop, Reggae, Rock, Jazz, Klassik, Indie, House—ihr habt schon verstanden, was ich meine. Zweifel beiseite, der Teig für die Germknödel ist fertig aufgegangen.

Beim Dampfgaren vergesse ich das Wasser diesmal zum Glück nicht. Davor mussten wir die Rührschüssel, in der sich jetzt das Wasser erhitzt, vom Teig befreien. Die lästigste aller Kochetappen nimmt einem das Gerät nicht ab. Es ist sogar ein ganz schöner Aufwand, die Teigreste unter dem Schneidemesser des Mixers rauszukratzen. Die Zeit, die wir sparen, in dem wir nicht kneten und rühren müssen, geht durch den Mehraufwand beim Putzen wieder drauf.

Es ist neun Uhr abends, mein Mitbewohner ist nach einer langen Nacht am Freitag gerade aufgestanden und kommt in die Küche. Er schaut uns beim Putzen zu und lacht uns aus. Dann schiebt er sich eine Tiefkühlpizza in den Ofen.

Als wir endlich beim letzten Schritt angelangt sind und die Butter erwärmen, will er aber doch probieren. Wie lösen die Germknödel aus der Form, übergießen sie mit Butter, überstreuen sie mit Mohn. Alle nehmen den ersten Bissen und stellen fest: ziemlich trocken. Keiner isst auf. Auf dem Tisch stehen vier angegessene Germknödel, das Zucker-Mohn-Gemisch hat dieselbe Farbe und Konsistenz wie der Inhalt des vollen Aschenbechers.

Aschenbecherinhalt und Mohn-Zucker-Gemisch haben dieselbe Farbe und Konsistenz

Da wir hungrig sind, machen wir noch ein weiteres Gericht: Chili sin Carne. Der Ablauf ist etwa so: Schnippeln, Thermomix machen lassen und putzen, und das vier mal in Schleife. Wir weichen von der ursprünglichen Rezeptur ziemlich ab. 20 Gramm Schokolade standen wirklich im Rezept, machen uns aber in Kombination mit Tomatenmark etwas Angst.

Unerwarteter Weise schmeckt es am Ende trotzdem, jedenfalls besser als die Germknödel. Den hält einer der Anwesenden mittlerweile falsch herum auf dem Teller in die Luft, Germknödel gen Boden. Weder der Knödel noch der Mohn fallen ab. Wir haben keine Ahnung, wie es Germknödel und Mohn schaffen, der Schwerkraft zu trotzen. Wunder-Ding. Vielleicht fangen wir gerade erst an, den Kult und den Spaß mit dem Thermomix zu verstehen.

Wir lachen, bis wir nicht mehr können.