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Ich habe meine Depressionen mit Ketamin behandelt

Während viele Leute aus Spaß Ketamin nehmen, hat es mein Leben nachhaltig verändert und mich zu einem glücklicheren Menschen gemacht.
Foto: Pravoka | Wikimedia | Public Domain

Foto: Pravoka | Wikimedia | Public Domain

Ketamin, aka Special K oder einfach nur Keta, erfreut sich nicht nur unter Clubgängern aufgrund seines halluzinatorisch-dissoziativen Highs äußerster Beliebtheit, sondern hat in den letzten Monaten auch für einiges Aufsehen in den Medien gesorgt, da der Substanz Potenzial als effektives Antidepressivum zugeschrieben wird.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt Ketamin, dank seiner vielfältigen Einsatzmöglichkeiten als Analgetikum (Schmerzmittel), auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel. Das erlaubt es Ärzten, die Substanz „off-label", das heißt abseits ihres ursprünglichen Einsatzgebietes, zu verwenden und so auch zur Behandlung psychischer Störungen—wie einer behandlungsbedürftigen Depression—einzusetzen. Die bisherigen Resultate sind extrem vielversprechend.

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Schon wenige Stunden nach Verabreichung des Mittels zeigen sich erste Besserungen, anstatt erst Wochen später, wie bei anderen Medikamenten. Im Gegensatz zu herkömmlichen Antidepressiva wie Prozac, die auf die Serotoninrezeptoren einwirken, beeinflusst Ketamin die Menge des Neurotransmitters Glutamat im Gehirn. Es konnte beobachtet werden, wie intravenös verabreichtes Ketamin die Anzahl dieser synaptischen Proteine schnell ansteigen ließ. Nach gerade mal zwei Stunden waren schon signifikante Effekte zu verzeichnen.

Brent Miles, ein 41 Jahre alter Songwriter und Journalist aus Phoenix, Arizona, hatte sich 2013 in einer Klinik in North Scottsdale in regelmäßigen Abständen einer intravenösen Ketamintherapie unterzogen. Ich habe mich mit ihm zusammengesetzt, um aus erster Hand alles über seine Erfahrungen mit der Behandlung zu erfahren. Er hatte Folgendes zu berichten:

2013 hörte ich im Radio einen Bericht über diese Studien, bei denen Ketamin zur Behandlung von Depressionen eingesetzt worden war. Dort hieß es auch, dass diese Behandlung nur an wenigen Orten in den USA erlaubt ist, und einer davon befand sich in Arizona. Ich lebte in Arizona und hatte zuvor schon wirklich alles ausprobiert, also dachte ich mir, ‚OK, ich werde es mal versuchen.'

Als ich 21 oder 20 Jahre alt war, wurde bei mir eine bipolare Störung festgestellt und ich habe seitdem wirklich jedes Mittelchen ausprobiert, das es auf dieser Welt gibt. Davon funktionierten einige auch, aber die hatten dann furchtbare Nebenwirkungen. Andere wiederum funktionierten gar nicht. Ich bin jetzt kein Experte für Pharmazeutika, aber mir scheint es die Behandlungsstrategie vieler Ärzte zu sein, einfach alle möglichen Arzneimittel gegen die Wand zu schmeißen und dann zu schauen, welche hängen bleiben.

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Ich war schon auf Prozac, Wellbutrin, Zoloft, Paxil, Geodon, Zyprexa, Effexor—also fast allem, was auf dem Markt ist. In meinen 20ern behandelten die Ärzte meine Angstzustände mit Valium, Xanax und anderen süchtig machenden Benzodiazepinen. Ich bin in meinen ganzen College-Kursen durchgefallen, weil ich mich einfach nicht konzentrieren konnte, also diagnostizierte mein Arzt bei mir obendrein noch ADS und verschrieb mir Ritalin.

Ritalin ist, wie wir alle wissen, ein Amphetamin und macht dementsprechend süchtig. Einige Ärzte verschrieben mir verantwortungslos große Mengen an Benzos und Amphetaminen, die sich auch als unglaublich effektiv für die Behandlung meiner Störung herausstellten—aber eben auch fast zu gut. Solche Medikamente führen dazu, dass du dich unglaublich toll fühlst. Also begann ich, mehr und mehr davon zu nehmen—man baut ja über die Zeit auch eine Toleranz auf. Die Kehrseite davon war, dass ich, nachdem ich mir jahrelang dieses süchtig machende Zeug eingeworfen hatte, anfing, die Mittel zu nehmen, um einfach nur stumpf und high zu werden. Irgendwann merkst du dann, dass du ein waschechter Junkie geworden bist, was natürlich schwere Komplikationen und Rückschläge in der Behandlung deiner psychischen Krankheit mit sich bringt.

Ich weiß auch, dass das ein weit verbreitetes Problem ist. Ich habe schon andere Menschen kennengelernt, die genau die gleiche Erfahrung gemacht haben. Die Behandlung wird irgendwann zu einem Fluch.

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Ich hörte also von der Ketamintherapie und wollte es mal ausprobieren. Die Erfolgsrate bei den medizinischen Versuchen sah sehr vielversprechend aus und auch die wissenschaftliche Theorie dahinter erschien mir nachvollziehbar. Da ich ja schon jahrelang alles Mögliche erfolglos ausprobiert hatte, um meine bipolare Störung in den Griff zu bekommen, hatte ich auch nicht wirklich viel zu verlieren.

Da Ketamin als Anästhetikum normal zugelassen ist, musste ich im Vorfeld auch kein Auswahlverfahren der Klinik durchlaufen—es handelte sich bei dem Angebot ja nicht um einen Medikamentenversuch oder etwas in der Art. Ich machte einfach einen Termin und zahlte alles aus eigener Tasche. Ich glaube, sechs Behandlungen kosteten mich damals 1.500 Dollar, die ich in vier Raten abbezahlen konnte.

Zu allererst unterhalten sie sich dort einfach nur mit dir, um sicherzugehen, dass du nicht verrückt oder irgendwas in der Art bist. Du musst dann an einem Computer 300 Fragen zu deiner Stimmung, deiner Verfassung deinem Behandlungsstand und so weiter beantworten, um herauszufinden, ob die Ketaminbehandlung dir überhaupt helfen könnte.

Vor Ort haben sie auch einen Psychiater, der einen befragt. Sie lassen definitiv nicht jeden die Behandlung machen und schienen auch bedacht darauf, die Leute auszusieben, die wahrscheinlich nur gekommen waren, um an Ketamin zu kommen.

Die ganze Prozedur dauert zwei Stunden und danach darfst du dich natürlich nicht hinters Steuer setzen. Es gibt dort einen Krankenpfleger, der mit dir alles durchgeht, was mit dir passieren wird. „Wenn du etwas zu spüren beginnst, dann sag Bescheid. Manche Menschen kommen damit nämlich nicht klar." Der Pfleger misst dann deinen Blutdruck, deinen Puls und alles andere. Dann wirst du für die Infusion vorbereitet, sie stecken die Nadel rein und kleben sie fest, damit sie an das Infusionsgerät angeschlossen werden kann.

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In dem Raum gibt es riesige Plasma-Fernseher mit Netflix, damit man sich währenddessen Filme angucken kann, da man auch die ganze Behandlung hindurch wach bleiben muss. Der Krankenpfleger meinte noch zu mir, „Du darfst nicht einschlafen. Du kannst Musik hören, du kannst Filme gucken, aber hör dir vielleicht nicht unbedingt Slayer an, das würde für die Behandlung für dich wahrscheinlich nicht so angenehm machen." Es war ganz witzig, wie er das formuliert hatte. Mit wütender Metal-Musik würde es sich einfach nicht gleich anfühlen. Sie wollen, dass du dich richtig entspannst. Müde bin ich währenddessen nie geworden, einfach nur ruhig. Zwischendurch kommen dann immer die Assistenten des Krankenpflegers vorbei und sprechen dich kurz an, um zu checken, ob du noch bei Bewusstsein bist.

Ich freute mich geradezu auf die Behandlung. Das lag aber daran, dass ich hoffte, endlich die eine Sache gefunden zu haben, die mir hilft—es gab ja die ganzen vielversprechenden Studien und die theoretischen Arbeiten, die sie stützten. Vielleicht hatte ich hier ja endlich die Antwort auf meine Probleme gefunden.

Ich hatte aber auch etwas Angst, weil ich zuvor noch nie Ketamin genommen hatte. Man denkt sich dann schon schnell, dass die ganze Geschichte eigentlich total verrückt ist. Falls ich jemals eine Operation mit Anästhesie haben sollte, werde ich mir wahrscheinlich nur noch ausmahlen, wie ich davon nie wieder aufwache. So was ist schon mal passiert. Manche Menschen haut das total aus den Socken. Das ist aber auch das Problem—ich mache mir pausenlos Gedanken über so einen Scheiß.

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Bei der ersten Sitzung fangen sie mit einer sehr geringen Dosis an, um zu sehen, wie du darauf reagierst. Wenn du die Dosis gut verträgst, dann wird sie bei der nächsten Sitzung erhöht. Wenn du die gut verträgst, dann geht es wieder höher. Ich habe 2013 innerhalb von sechs Monaten fünf Behandlungen absolviert.

Die intravenös verabreichte Ketamininfusion enthält allerdings eine wesentlich geringere Konzentration des Wirkstoffs, als das Ketamin, das man auf der Straße kauft. Bei der Behandlung wird eine milde Dosis eingesetzt, weil sie wollen, dass es für dich angenehm bleibt. Ich habe noch nie Straßenketamin probiert, also kann ich es nicht wirklich damit vergleichen, aber die Leute scheinen davon total durchzudrehen.

Durch die Behandlung beginnst du, dich von allen Dingen um dich herum zu lösen. Es ist, als wärst du nur noch Zuschauer und nicht mehr Teilnehmer. Ziemlich komisch. Ich weiß nicht genau, wie ich das erklären soll. Deine Gedanken fangen an, sich durch diese verschiedenen Eben zu bewegen—ein bisschen wie bei Inception oder Matrix. Du weißt einfach nicht mehr so richtig, was real ist und was nicht.

Man fängt an, sich über alles Mögliche Gedanken zu machen—was auch immer dir gerade durch den Kopf geht. Und wenn du depressiv bist, sind das meistens negative Sachen, aber auf Ketamin hast du dann plötzlich diese Haltung, ‚Ja gut, aber es gibt auch nichts, was ich dagegen machen könnte.' Man denkt sich, ‚Ich habe keine Kontrolle und das ist vollkommen OK so; irgendwann werde ich sterben, aber das gehört eben zum Leben dazu.' Ich schätze, man lernt einfach Dinge zu akzeptieren.

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Es geht langsam los und wird dann recht intensiv—das war zumindest bei mir so. Man hat diese ganzen Gedanken und viele, viele Dinge rasen einfach so an dir vorbei, zufällige Erinnerungen, aber du kannst gar nichts dagegen machen.

Ich wollte mir Pulp Fiction angucken, aber sie ließen mich nicht. Der Fernseher hatte allerdings diesen Bildschirmschoner mit Naturaufnahmen von Tieren und dazu lief sehr beruhigende Musik. Ich habe dann bei meinen ganzen Sitzungen nichts anderes mehr geschaut. Es war schon etwas komisch, weil ich durch diese Naturbilder anfing, meine Probleme als gar nicht mehr so wichtig anzusehen. Da draußen geschehen diese ganzen Sachen und meine Probleme sind nicht das Ende der Welt. Man wird geradezu mit Leben bombardiert, mit Existenz. Das komische daran ist, dass du es nicht aktiv machst—es ist nicht so, als würdest du selbst an deinen Problemen arbeiten—es passiert einfach von selbst.

Das war meine erste Erfahrung mit einer dissoziativen Droge überhaupt. In der Highschool habe ich schon eine Menge LSD genommen und einige Male auch Ecstasy und MDMA-Pulver. Und auch wenn sich diese Sachen total großartig anfühlen, merke ich am nächsten Tag buchstäblich, wie sie mir das ganze Serotonin aus meinem Hirn gesaugt haben. Ich bin dann einfach nur noch depressiv. Einen Tag später geht es mir dann zwar wieder recht normal, aber im Großen und Ganzen ist es schon ziemlich beschissen.

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Ich habe allerdings niemals Entzugserscheinungen oder Suchtgefühle durch das Ketamin gespürt. In therapeutischen Dosen kommt so etwas in der Regel auch nicht auf. Nach meinen fünf Sitzungen hatte ich nicht das Gefühl, dass ich raus auf die Straße muss, um mir dort mehr Keta zu besorgen. Bei meinen anderen Medikamenten zuvor war das teilweise ganz anders gewesen.

Man braucht allerdings mehrere Sitzungen. Manche Menschen benötigen nur zwei, andere zehn. Aber es hilft. Nach meiner ersten Behandlung ging es mir eine Woche lang gut. Nicht die Art von bipolarem „gut", bei der ich total manisch bin. Es war einfach angenehm—nicht verrückt oder zwanghaft. Zum ersten Mal seit Langem fühlte ich mich normal.

Das war aber nur die erste Sitzung mit einer geringen Dosis und der Effekt verblasste nach einiger Zeit wieder. Es ist jetzt nicht so, als würde man hart runterkommen oder so. Während der nächsten Sitzung steigern sie dann die Menge an Wirkstoff, die sie einem verabreichen. Die Wirkung tritt dadurch dann stufenweise ein und kann ziemlich überwältigend sein. Danach fing ich an, mich besser zu fühlen.

Es ist nur leider so, dass die Behandlung verdammt teuer ist. Und in meinem Fall hätte ich wahrscheinlich noch ein paar Sitzungen mehr gebrauchen können, um in einen Zustand zu kommen, in dem ich auf gesunde Art und Weise an meinen Problemen arbeiten kann. Ich wünschte, ich könnte mir weitere Sitzungen leisten, weil ich tatsächlich das Gefühl hatte, diesen Punkt zu erreichen. Es hat geholfen und es ist jetzt auch nicht so, als wäre die Wirkung wieder komplett verschwunden. Ich bin jetzt nicht wieder da, wo ich mich vor der Behandlung befunden habe. Mir geht es ein wenig besser.

Man würde meinen, dass die Ketaminbehandlung von einer Therapie begleitet wird. Dem war aber nicht so. Ich hatte manchmal das Gefühl, als könnte mich die Substanz in beide Richtungen führen—also auch auf einen schlechten Trip.

Es hat aber geholfen. Sobald ich es mir leisten konnte, fing ich dann an, einmal die Woche zu einem Psychiater und einem Therapeuten zu gehen. Das und die Behandlung haben dazu geführt, dass es mir jetzt definitiv besser als damals geht.

Man kann aber gar nicht so genau sagen, was dazu wie viel beigetragen hat, weil ich dieses Mal tatsächlich alles richtig gemacht habe. Ich weiß nicht, ob das vielen Menschen mit bipolaren Störungen so geht, aber wenn es einem gut geht, hört man schnell auf, seine Medikamente zu nehmen—man hat ja schließlich keine Probleme mehr. Das Blöde dabei ist nur, dass es einem nur besser geht, weil man die Medikamente nimmt.

Ich habe meinem Psychiater und meinem Therapeuten nichts von dem Ketamin erzählt, Ich habe das Gefühl, dass sie darüber vielleicht nicht genug wissen, und hätte Angst, dass sie damit nicht einverstanden wären. Es ist schon komisch. Die Sache ist so neu, dass viele Psychiater einfach nichts darüber wissen.

Ich würde es auf jeden Fall weiterempfehlen. Falls es sich jemand leisten kann, dann würde ich definitiv raten, es auszuprobieren. Ich würde gerne wieder dorthin zurück.