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Ich möchte mir von reichen Kindern nicht die Welt erklären lassen

Warum Marina Keegan mit ‚Das Gegenteil von Einsamkeit' nicht die Stimme unserer Generation ist—und ihr Aufruf zum Mut zum Scheitern nichts mit der Realität zu tun hat.
Flasche Moet
Header-Foto: Volker Kannacher | Flickr | CC BY-ND 2.0

Manchmal habe ich das Gefühl, dass es da draußen eine Parallelwelt aus ständig lachenden und biertrinkenden Mittzwanzigern gibt, die immer wissen, wo es gerade den besten Kaffee und die ökologisch vertretbarste Lasagne gibt, weil sie Zeit haben, sich einmal quer durch das kulinarische Angebot ihres Bezirks zu schmausen. Genau die Art von Leuten, die pünktlich zu den ersten zaghaften Sonnenstrahlen im Frühjahr aus dem Boden schießen und sich schon mal für die große Parksaison im Sommer warmlaufen, in der sie mit Picknickkorb und Seifenblasen-Pistole (ironisch, aber dann auch irgendwie nicht) über die Wiese tollen. Diese Leute studieren oder arbeiten immer an irgendeinem großen Projekt. Vor allem aber reden sie gerne darüber, wie wichtig es ist, etwas zu tun, was man liebt, und dass Freiheit das höchste Gut ist.

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In eine ähnliche Kerbe schlug auch Marina Keegan, das aktuell hochgelobte Wunderkind der internationalen Literaturszene. Gesammelte Kurzgeschichten und Texte der Elitestudentin, die kurz nach ihrem Abschluss 2012 in einem Autounfall zu Tode kam, sind jetzt auch in Deutschland als Buch erschienen. Der Titel, Das Gegenteil von Einsamkeit, ist ihrem bis dato bekanntesten Text entliehen, in dem sie sich für mehr Entscheidungsfreiheit und den Mut zum Scheitern ausspricht. Für den Spiegel wird sie somit zu einer Art Stimme der Generation Y, eine zauberhaft schlichte Antithese zu „Blutleere", die nur so von „jugendlicher Neugierde" trotzt und uns dazu auffordert, die Welt zu verändern.

Vielleicht macht mich das zur Stimme der Generation Burnout mit 30, die sich mit knirschenden Zähnen von Schulabschluss zu Universität zu Festanstellung hetzt, weil die Angst, vom Laufband zu fallen, wenn man irgendwo mal kurz stehenbleibt, zu groß ist. Aber: Ich kann mit diesen Feelgood-Phrasen für Privilegierte nichts anfangen. Die Lebensrealität von jemandem, dessen große Krux im Leben es ist, an Glutenunverträglichkeit zu leiden, ist nicht die meine. Mit ihren Erfahrungen zwischen „Hummer zum Mitnehmen" und absoluter Zukunfts-Unbedarftheit nach zwei Jahren Studium an der Elite-Uni Yale (Hauptfächer kann man ja wechseln) ist Keegan eine ähnlich unauthentische Vorzeige-Vertreterin der aktuellen, jungen Generation wie Lena Dunhams Charakter Hannah in Girls.

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Und irgendwo läuft immer dieser Song.

„Wir sind so jung, wir haben so viel Zeit"—das mag grundlegend stimmen, ist für den Großteil der jungen Menschen, die eben nicht aus der gutsituierten Oberschicht kommen, aber eine absolut utopische Aussage. Und selbst wenn doch: Zeit für was? Scheitern? Fehler machen? Wann soll das passieren? Wer bezahlt das? Wenn ich scheitere, habe ich im am wenigsten schlimmsten Fall eine Lücke im Lebenslauf und muss mich ein, zwei Monate von Tütensuppe ernähren. Tatsächlich ist es aber in den meisten Fällen der Warteraum des für uns zuständigen Jobcenters, das Scheitern bedeutet.

Wenn es etwas Bemerkenswertes gibt an der tragisch und deutlich zu früh verstorbenen Marina Keegan, dann ist es wohl, dass sie ein Leben geführt hat, das so gut in all das passt, was bei Menschen mittleren Alters ein wohliges Gefühl auslöst. Mensch, diese jungen Menschen. Immer noch so ausgelassen und selbstfokussiert wie wir damals. Unsere Gesellschaft schlittert also doch nicht beständig auf den großen Knall zu. Alles ist gut.

In ihren Texten zeigt sich keine wahre Tragik des Seins, es gibt keine großen Probleme, denen sie sich ausgesetzt sieht. Was Marina Keegan schreibt, tut nicht weh. Nicht einmal dann, wenn sie von sterbenden Walen spricht oder dem plötzlichen Tod ihres Freundes, der in ihr vor allem Entsetzen darüber auslöst, dass er seine Exfreundin in seinem Tagebuch als dünner beschreibt als sie.

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Foto: nøpe | Flickr | CC BY-SA 2.0

Natürlich bin ich neidisch auf Personen, die schon so jung so weit gekommen sind, weil der Weg von Yale zur New York Times in den seltensten Fällen über endlose, unbezahlte Praktika am Rand zur Selbstaufgabe führt. Die vom Scheitern schreiben, obwohl sie nie gescheitert sind. Die mir erzählen, wie man sich richtig verhalten muss, um glücklich zu sein, um ein Leben zu leben, das lebenswert ist oder das man sich zumindest als lebenswert vorstellt. Und die sich all das leisten können, während man selbst relativ schnell feststellen musste, dass man die Welt nicht verändern kann und früh gelernt hat, dass die meisten großen Träume nach ein paar Jahren auf die Größe eines passiv-aggressiven Tweets zusammengeschrumpft sind.

„Ihr kotzt mich an", schleudert sie im Buch den Leuten entgegen, die einen deutlich realistischeren Bezug zum Start der eigenen Karriere haben als sie, die im zweiten Jahr auf der Elite-Uni Yale noch nicht einmal ein Hauptfach gewählt hatte. „Ihr kotzt mich an", will ich all den Leuten sagen, die mit verklärtem Blick durchs Leben stolpern, ach so kluge und scharfsinnige Alltagsbeobachtungen mit einem sprachlichem Instagram-Filter versehen und dann vom Feuilleton zu einer Art Vorbild für all die zynischen, überarbeiteten jungen Menschen da draußen erhoben werden, die sich diese Freiheit schlicht und ergreifend einfach nicht leisten können.

Es tut mir Leid, dass Marina Keegan nie die Chance hatte, richtig erwachsen zu werden. Ich hätte gerne gesehen, ob sie sich ihren feingeschliffenen Lebensoptimismus beibehalten hätte oder irgendwann doch die große Erkenntnis gekommen wäre, dass Scheitern keine Option ist—und das Gegenteil von Einsamkeit für immer unspezifisch und somit unerreichbar bleibt.

Lisa ist sehr zynisch und verbittert. Folgt ihr bei Twitter.


Header-Foto: Volker Kannacher | Flickr | CC BY-ND 2.0