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Sex

Im Gespräch mit einer der bekanntesten Sex-Bloggerinnen Großbritanniens

Wir haben uns mit der jungen Frau hinter dem Blog "Girl on the Net" über Schwanzfotos, wertvolle Genitalien und zwielichtige Sexperten unterhalten.

Symbolbild | Foto: Karley Sciortino

Wenn man sich im Internet über das Thema Sex informiert, stolpert man mit ziemlicher Sicherheit irgendwann auch über den Blog „Girl on the Net". Jeden Monat verzeichnet GOTN 100.000 Besucher, die sich dann Artikel zu Themen wie etwa Strap-on-Double-Penetration, große Frauen mit kleinen Männern, Porno-„Sucht", erstmaliger Analsex, Titten-Fashion oder Messerfetisch durchlesen wollen.

GOTN hat ihren Namen um Geschichten herum aufgebaut, in denen es um die vielen verschiedenen Möglichkeiten geht, wie Menschen Sex haben können. Mit dem stetig wachsenden Bekanntheitsgrad ihrer Online-Persönlichkeit änderte sich jedoch auch das Leben der Frau hinter den Kulissen. Sie verliebte sich, erlitt einen schweren Nervenzusammenbruch und musste schließlich neu herausfinden, wer sich da eigentlich hinter der Maske von GOTN verbirgt.

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Genau diese Aspekte ihres Lebens erforscht das Girl on the Net nun in ihrem neuen Buch How a Bad Girl Fell in Love. Das haben wir zum Anlass für ein Interview genommen.

VICE: Der rote Faden deines Schreibens ist das Ablehnen der gesellschaftlichen Vorstellungen in Bezug auf Geschlechterrollen beim Thema Sexualität—zum Beispiel, dass Männer nur auf Sex und Frauen nur auf Kuscheln stehen oder dass eine zu große Gier dich gleich zur Schlampe macht. Viele solcher Stereotype haben wir schon komplett verinnerlicht. Inwieweit werden unsere sexuellen Vorlieben durch gesellschaftliche Konditionierung beeinflusst?
GOTN: Das Interessante ist doch, dass wir das im Moment gar nicht sagen können. So viel von den Dingen, die uns beigebracht werden, wirken sich dann wiederum auf die Dinge aus, die wir später selbst lernen wollen. Also beschäftigen wir uns vielleicht damit, wie wir uns dem idealen Partner gegenüber verhalten sollen, aber viel von dem, was wir dabei herausfinden und wie wir das Ganze interpretieren, basiert dann auf unserem bereits vorhandenen „Wissen". Leute, die das Ganze von einem evolutionären Standpunkt aus betrachten, sagen womöglich, dass uns die Forschung gezeigt hat, dass Männer auf dieses und Frauen auf jenes stehen. Ist uns jedoch wirklich bewusst, wie viel davon natürlich und wie viel davon erlernt ist?

Wenn wir uns darauf einigen können, dass zumindest ein Teil unserer sexuellen Gewohnheiten und Vorlieben erlernt wird, bedeutet das dann nicht auch, dass ein gewisser Spielraum zur bewussten Erweiterung bzw. Veränderung besteht?
Das ist eine richtig schwierige Frage. Ich will mich hier nicht auf dünnes Eis begeben und sagen, dass man seine sexuellen Vorlieben bewusst beeinflussen kann, denn wenn man sich da zu sehr hineinsteigert, landet man irgendwann bei den Leuten, die ernsthaft glauben, dass Homosexuelle durch Reparativtherapie „geheilt" werden können. Ich bin jedoch der Meinung, dass wir unsere Fetische oder Vorlieben nicht nur erforschen können, sondern das sogar müssen.

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Ich stehe zum Beispiel total auf BDSM sowie die Rolle als Sub. Vor meinem Blog hätte ich wohl einfach gesagt: Meine Muschi will, was meine Muschi will. Inzwischen würde ich jedoch anders an die Sache rangehen, so nach dem Motto „Ja, das ist eine meiner sexuellen Vorlieben und ich werde mich auch nicht dafür schämen, aber trotzdem will ich die Ursache dafür herausfinden". Es gibt mit Sicherheit viele gesellschaftliche und kulturelle Aspekte, die sich darauf auswirken, warum ich gewisse Dinge scharf finde—zum Beispiel frühe Einflüsse und Dinge aus meiner Kindheit, die da etwas ausgelöst haben. Ich würde jetzt nicht behaupten, dass man seine Vorlieben und sein Verlangen selbst bestimmen kann und sollte, aber eine Erforschung ist auf jeden Fall möglich. Das ist dann ja auch das Salz in der sexuellen Suppe.

Motherboard: Ethiker warnen: „Habt keinen Sex mit Robotern."

Du schreibst darüber, dass man auch tollen Sex mit einem Menschen haben kann, den man gar nicht mag. Es stimmt nicht, dass Liebe automatisch mit gutem Sex gleichzusetzen ist. Diese Vorstellung stößt jedoch sogar außerhalb von religiösen Kreisen auf Kritik. Wir sehen Sex immer noch als etwas Heiliges an, oder?
Ja, man geht irgendwie immer davon aus, dass Sex entweder eine Manifestation der Liebe ist oder zumindest in diese Richtung geht. Dem allen liegt die Vorstellung zugrunde, dass Liebe das ultimative Ziel darstellt, nach dem wir alle streben sollten—heterosexuelle und monogame Liebe, um genau zu sein.

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Stimmt. Deswegen ist den Leuten das Thema Sex gegen Bezahlung auch so unangenehm.
Das ist wie ein Reflex: Sobald man in einer Konversation das Thema Sex anschneidet, werden die Leute nervös. Vor allem Sexarbeit scheint ihnen wirklich Schwierigkeiten zu bereiten. Die Vorstellung davon, dass es sich bei Sexarbeit ebenfalls um ganz normale Arbeit handelt, mutet einfach so radikal an, weil uns von klein auf eingetrichtert wird, dass unsere Genitalien etwas total Wertvolles sind. OK, bei Männern ist das vielleicht nicht so extrem, aber bei Frauen kommen dann so Dinge wie Reinheit oder Jungfräulichkeit ins Spiel—und das hängt wiederum mit Kontrolle zusammen.

Trotz der Massen an Schwanzfotos, die dir zugeschickt werden, scheinst du niemals die Geduld zu verlieren. Als ich dein Buch las, musste ich jedoch zu meinem Schrecken feststellen, dass diese Typen wohl nicht kapieren, wie unheimlich sie rüberkommen—zum Beispiel der eine Kerl, der erst „LOL, ich bin kein Vergewaltiger" schreibt und dann ein „Zwing mich nicht dazu, dir Blumen zu schicken" nachfolgen lässt. Bekommst du so einen abschreckenden Einblick in die Psyche der Cis-Männer?
Ich würde hier vielleicht nicht das Wort „abschreckend" benutzen, aber vor meinem Blog hätte ich wohl noch gesagt, dass es da draußen viele Typen gibt, die Feminismus nicht wirklich verstehen, das Ganze nach einer Erklärung unsererseits aber schon begreifen. Es existieren jedoch echt viele Männer, die ich als die Guten bezeichnen würde: Sie sind auf unserer Seite und interessieren sich für unsere Probleme, aber gleichzeitig sind sie unter keinen Umständen dazu bereit, sich als potenziell böse zu betrachten. Das ist mir echt häufig aufgefallen—also dass sich niemand als böse ansieht.

Das ist ja auch bei mir nicht anders! Ich habe schon diverse Sachen gemacht und Dinge auf meinem Blog geschrieben, auf die ich heute zurückblicke und mir nur denke, wie scheiße das eigentlich war. Damals war ich mir einfach nicht bewusst, die Böse zu sein. Das ganze extremere und aggressive Zeug, das mir zugeschickt wird, ist allerdings unglaublich beschissen, keine Frage. Im Allgemeinen versuche ich einfach, nicht zu viel über sowas zu reden, weil ich den Eindruck habe, dass ich davon sonst nur noch mehr bekomme.

Dein Blog ist sehr intim, dein Buch hingegen sehr offen und ehrlich. Was hat dir beim Schreiben die größten Probleme bereitet?
Immer wenn es um das Thema der geistigen Gesundheit geht, wird es schwierig, weil ich einerseits den Horror des Ganzen authentisch rüberbringen will—und es gab wirklich Momente, in denen ich einfach nur noch tot sein wollte—, die Geschichten dann andererseits aber auch nicht einfach so unkommentiert stehen lassen kann. Ich will erklären, wie scheiße das alles ist und wie man aber gleichzeitig auch etwas Positives daraus lernen kann. Dieses Vorhaben ist wahrlich nicht einfach. Vor allem dann nicht, wenn es einem nicht gut geht.

Glaubst du, dass wir die Welle der schlechten Sexberatung überstanden haben? Oder gibt es da draußen immer noch so viele zwielichtige „Sexperten" wie eh und je?
Da bin ich wirklich guter Dinge, weil ich in meinem Freundeskreis viele richtig brillante Sexperten habe, aber ab und an stolpere ich natürlich auch noch über einen Artikel in irgendeinem beliebten Magazin, bei dem ich mir dann denke: „Scheiße, ich lebe wirklich in einer Blase von Sex-Positivität und guten Ratschlägen, in der man auch weiß, dass es verschiedene sexuelle Vorlieben und Neigungen gibt." In der Mainstream-Presse findet man zwar immer noch diese bevormundenden „Fünf Dinge, die du bei einem Dreier niemals tun solltest"-Artikel, aber meiner Meinung nach befinden wir uns auf einem guten Weg, denn wir machen immer mehr Erfahrungen und unsere Welt wird immer größer. Somit steht uns auch immer mehr Wissen zur Verfügung, um solche Artikel als Blödsinn abzutun.

Girl on the Net: How A Bad Girl Fell in Love erscheint demnächst bei Blink Publishing.