Die ausländischen Söldner, die sich ukrainischen Milizen anschließen

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The Borders Issue

Die ausländischen Söldner, die sich ukrainischen Milizen anschließen

Was der IS für westliche Jugendliche mit Hang zum Islamismus ist, ist der Rechte Sektor (RS) für solche mit Hang zum Nationalismus geworden—es sei denn, der Nationalismus ist russischer Art.

Illustrationen von Skip Sterling

Aus The Borders Issue Vergangenen Mai parkte Ben Fischer seinen Jeep vor der Kaserne der Taktischen Gruppe Woloweka im ukrainischen Donezk. Er war Söldner und dies war sein dritter Kontinent in ebenso vielen Jahren. Das Hauptquartier einer abtrünnigen Einheit der radikal-nationalistischen ukrainischen Gruppe "Rechter Sektor" schwankte zwischen völligem Chaos und manischer Disziplin. Mit anthrazitfarbenem Staub überzogene Straßenhunde schnüffelten zwischen Panzersperren. Flakartillerie rangte von den Ladeflächen rostiger Pick-up-Trucks. Einige Ukrainer reinigten Waffen, andere hackten Holz. Wieder andere machten Sit-ups. Viele waren betrunken. Ein großes rotes Banner hing an der Kaserne: "Tod euch Kreml-Invasoren".

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Auf einer öden Ebene voll Kohlegruben fand Fischer, wonach er gesucht hatte: eine Erfahrung voller Gewalt und Abenteuer. Was der Islamische Staat für westliche Jugendliche mit Hang zum Islamismus ist, ist der Rechte Sektor (RS) für junge westliche Leute mit Hang zum Nationalismus geworden—es sei denn, der Nationalismus ist russischer Art. Der Rechte Sektor möchte russische Separatisten des ukrainischen Bodens verweisen. Nur drei Monate vor Fischers Ankunft bei Woloweka hatten die Ukraine, Russland und westliche Staaten eine Vereinbarung zur Waffenruhe namens Minsk II unterzeichnet. Größere Gefechte waren selten geworden und europäische Behörden führten Routineinspektionen des Kriegsgeräts ein. Doch im Osten wütete weiterhin ein Schattenkonflikt, den Kiew unauffällig an genau jene Nationalistengruppen outsourcte, die es einst öffentlich von sich gewiesen hatte. Die Woloweka, eine 27-köpfige Gruppe des Rechten Sektors, hatte ihre Basis zehn Kilometer von der Grenze zur selbst ernannten Volksrepublik Donezk errichtet. Als Fischer eintraf, hatte sich die Gruppe bereits zu einem gesetzlosen Haufen entwickelt, der keinerlei Autorität anerkannte.

Fischer hat einen schwarzen Bart, den er mit seinen schwieligen Fingern zwirbelt, und auf seiner rechten Schulter trägt er ein Tattoo mit einem Kriegerhelm und zwei Wörtern: "Molon Labe"—Altgriechisch für "Kommt und holt sie", wie König Leonidas geantwortet haben soll, als die Perser vor der Schlacht bei den Thermopylen die Waffen der Spartaner verlangten. Seine Mutter, eine Tunesierin, war 30 Jahre zuvor nach Österreich ausgewandert, wo sie in einem Skiort bei Innsbruck seinen Vater, einen Ingenieur, kennenlernte. Mit 14 ging Fischer auf eine Berufsschule in Bregenz. Später fälschte er die Unterschrift seiner Eltern, um sich vorzeitig für das Österreichische Bundesheer zu bewerben. "Österreicher sind Stubenhocker", sagte er mir. "Das Leben des Briefträgers, des Bürgermeisters, des Lehrers, alles spielt sich innen ab. Streit und Argumente bleiben hinter verschlossener Tür. Ich wusste schon von klein auf, dass ich nicht drinnen bleiben konnte." Das Österreichische Heer bot Fischer kein aufregendes Leben. Sechs Monate lang fuhr er einen Kleinbus durch Priština, wo seine Kameraden Essenspakete verteilten und Kosovaren das Schießen beibrachten. Fischer beschloss, sich auf unbestimmte Zeit krankschreiben zu lassen. Sechs Monate arbeitete er im Sicherheitsdienst eines Frachtschiffs auf dem Roten Meer. Beim ersten Halt in Mogadischu löste die Hafenbehörde die nicht lizenzierte Crew auf. Mit seiner kleinen Abfindung kaufte er ein Ticket nach Frankreich, wo die Fremdenlegion ihn ablehnte. Für einige Monate arbeitete er als Türsteher in Wien.

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Im September 2014 fuhr Fischer mit dem Zug von Wien nach Kiew, wo die ukrainische Armee eine große Offensive zur Rückeroberung Donezks durchführte. Auf dem Maidan stieß er auf einen Anwerber für das Regiment Asow, ein rechtsextremes Bataillon und eine der wenigen Milizen, die Ausländer aufnimmt. Kurz nach seiner Aufnahme warf ihn ein Kommandant wieder raus, weil er fand, Fischer sehe zu arabisch aus. Fischer wechselte zum Bataillon Donbass—"ein Haufen Alkoholiker und PTBS-Kranker"—doch in Donezk erlebte er wenig tatsächlichen Konflikt, denn nur zwei Tage nach seiner Ankunft setzte mit dem ersten Protokoll von Minsk eine Waffenruhe ein.

Fischer sah sich nach neuen Optionen um. Auf Facebook kontaktierte er einen Amerikaner, der sich im irakischen Sulaimaniyya der kurdischen Miliz YPG angeschlossen hatte. Eine niederländisch-kurdische Motorradbande brachte die beiden schließlich an die Front in Kirkuk, wo es ein paar Gefechte gegen den IS gab. "Ich mochte die Kurden und respektiere ihren Kampf, aber diese Leute haben ein Problem: Sie sind überzeugt, dass alle sie nur verraten wollen", sagte er. Die Kurden taten alles in ihrer Macht, um ausländische Kämpfer nicht gemeinsam in dieselben Gruppen zu stecken, nicht praktizierende Muslime zum Mitbeten zu bewegen und die ausländischen Freiwilligen von ihren Smartphones zu trennen. Ein Interview, das Fischer einem lokalen Nachrichtensender gab, schaffte es bis ins österreichische Fernsehen, woraufhin er besorgte Anrufe von seinen Eltern erhielt. Er ignorierte sie. Eines Abends landete in einem Lager nahe Mossul ein US-amerikanischer Black-Hawk-Hubschrauber. Ein Soldat stieg aus und sagte den Kurden, sie müssten die Ausländer aus ihren Reihen verbannen oder sie würden riskieren, die Unterstützung der USA zu verlieren. Die Ausländer seien im Vergleich zu anderen viel aktiver auf Social Media und würden somit strategische Geheimnisse gefährden und Spannungen mit der Türkei provozieren.

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Wieder in Österreich erfuhr Fischer, dass er auf eine Terror-Überwachungsliste gesetzt worden war, weil er für eine kurdische Guerilla gekämpft hatte, die mit der PKK assoziiert ist. Die Regierung wies ihn an, im Land zu bleiben, doch er reiste nach Tunesien, wo die Familie seiner Mutter lebt. "In Tunesien gibt es keinen Krieg", sagte er. "Dort kann man entspannen." In Sousse erhielt er eine Facebook-Nachricht von Alex Kirschbaum, einem österreichischen Heereskameraden, den er seit dem Kosovo nicht gesehen hatte. "Alex schrieb, dass er gerade desertiert sei", sagte Fischer. "Er hatte Österreich satt und war unterwegs in die Ukraine." Am folgenden Tag machte Fischer sich wieder auf nach Kiew. "Du fängst dieses Leben mit einer Art Stolz an, weil du dich weigerst, so zu sein wie die anderen", sagte er mir. "Aber dann bleibst du dabei, weil es irgendwann kein Zurück mehr gibt und du das Zivilistenleben nicht mehr als das einzig Wahre sehen kannst."

Kirschbaum empfing Fischer, als er in der Kaserne eintraf. "Wir waren in Österreich schon Freunde, aber ihn hier draußen in der Mitte von Donezk zu sehen—wow", sagte Kirschbaum. Er ist schlank und hat ebenfalls einen schwarzen Bart. Seine kastanienbraunen Augen leuchten leidenschaftlich, wann immer er über Waffen spricht. Für Kirschbaum und Fischer wurde die Ukraine zum Ventil für einen Nationalismus, an dem es ihrer Meinung nach in Europa fehlt. "In Österreich sind die antifaschistischen Einheiten größer als die Anti-Terror-Einheiten", sagte mir Kirschbaum.

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Seine Heimat sei ein "kastriertes" Land, sagte er. Die einzigen Nationalisten, die es hervorbringe, seien Fußball-Ultras und Eurovision-Fanatiker. Doch der Rechte Sektor interessiert sich weder für Fußball noch für Eurovision. Wie so viele echte Patrioten und nationalistische Extremisten bedienen sie sich der praktischen Formulierung, sie würden die Regierung hassen, aber ihr Land lieben. Weder Fischer noch Kirschbaum kommentierten die seltsame Tatsache, dass sie ihre nationale Leidenschaft von einer Nation auf eine andere übertragen hatten.

Laut dem Rechten Sektor ist die Maidan-Revolution noch nicht abgeschlossen. Der Einsatz von Waffen ist der Gruppe rechtlich verboten, doch Woloweka und ähnliche Einheiten weigern sich, sie niederzulegen, bis die Ukraine ein unabhängiger Staat ist. Damit meinen die Männer eine Ukraine, die völlig unabhängig ist von Russland—dem "putinistischen Imperium"—und der EU—einem Bund von "liberalen Homo-Diktaturen". "Die Welt soll erfahren, dass sie die Ukraine nicht ausnutzen kann", sagte mir Prut, ein Kommandant des Rechten Sektors in Mukatschewe (die ukrainischen Mitglieder der Woloweka sind ausschließlich unter ihren Kampfnamen bekannt). Als Vorbild für die Musterukraine dient manchen Rechten Sektoristen die raue Zeit der Kosakenherrschaft. Andere beziehen sich auf die Westukrainische Volksrepublik, für die der umstrittene Held des ukrainischen Widerstands gegen die Sowjets, Stepan Bandera, Anfang des 20. Jahrhunderts kämpfte. Banderas kurze Kollaboration mit den Nazis nehmen einige Mitglieder des Rechten Sektors zum Anlass, ihren Nationalismus mit einer dünnen Schicht Nazismus zu ergänzen. Mehrere machten in meiner Gegenwart den Hitlergruß und lobten Hitler. Manche behaupteten, das nur zu tun, weil Putin es hasse.

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Die Rechten Sektoristen behaupten, im Namen einer unwissenden ukrainischen Bevölkerung zu kämpfen, die ihre Befreiung zwar willkommen heißen werde, aber nicht den nötigen Mut habe, sie selbst zu erkämpfen. Die Organisation entstand 2014 aus einer Handvoll rechtsextremer Parteien und Maidan-Milizen. Sie behauptet, weder rassistisch noch xenophob zu sein, denn sie verstehe den ukrainischen Nationalismus auf "bürgerlicher und nicht auf ethnischer Ebene". Regierungsorgane müssen stark sein, Landesgrenzen müssen verteidigt werden. Wer diesen Prämissen zustimmt, soll beitreten, auch wenn er nicht Ukrainer ist. Dmytro Jarosch, der Gründer des Rechten Sektors, ist ein ehemaliger Fremdsprachenlehrer aus der Zentralukraine. Fast die Hälfte der Mitglieder identifiziert sich als russischsprachig.

Der RS ist eine lose Organisation: Keines der 10.000 Mitglieder hat einen Mitgliedsausweis, besucht regelmäßig Versammlungen oder bemüht sich in irgendeiner Weise um systematische Rekrutierung. Der paramilitärische Zweig mit etwa 3.000 Kämpfern ist schwierig zu kontrollieren. Die meisten haben wochenlanges Training in RS-Lagern absolviert, wo man ihnen die Grundlagen des Straßenkampfs beigebracht und sie auf Demonstrationen gegen die Regierung in Kiew, russische Feiertage und Homosexuelle gebracht hat. Der Rechte Sektor hat 26 Divisionen, eine davon für jede ukrainische Oblast oder Provinz; zwei zusätzliche Bataillone stehen an der Front Wache.

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Zwei Jahre des Kämpfens und der Regierungsintervention haben den Rechten Sektor in Dutzende kleine Einheiten zersplittert, die meist ohne viel Wissen voneinander operieren. Die Taktische Gruppe Woloweka—benannt nach einem Mitglied des Rechten Sektors, das in Donezk durch eine Landmine starb—war eine solche. Die Kämpfer sehen sich im Krieg mit der Ostukraine, Kiew und dem Teil des Rechten Sektors, der im November der Regierungsaufsicht zugestimmt hat. Sie leben in einem Betonbau, in dem vor dem Krieg Kohlebergleute untergebracht waren. Eines Tages letzten Herbst erschienen die Männer der Woloweka und übernahmen das Gebäude unter vorgehaltener Waffe. Sie gruben einen Graben um das Gebäude und eine Grube für Gefangene. Sie errichteten einen Stacheldrahtzaun, verlegten Landminen und stellten in den Gemüsegärten Panzersperren auf. Auf dem Dach brachten sie schwarz-rote Flaggen an, das Symbol des ukrainischen Widerstands gegen die deutsche Besatzung, sowie umgedrehte ukrainische Flaggen, die 1917 im Vorfeld der kurzen Unabhängigkeit der Volksrepublik Ukraine im Einsatz waren. Irgendwann konfiszierten sie einen gelben Bus von einer Grundschule, um wöchentlich an die Front zu fahren. Dort feuerten RS-Kämpfer dann tagelang mit Panzerfäusten auf den von Separatisten kontrollierten Flughafen Donezk. Auf der unbefestigten Straße zur Kaserne gab es zwei hölzerne Wachtürme, die rund um die Uhr bemannt waren. Die Bewohner des nächstgelegenen Dorfs, Nowohrodiwka, standen in regelmäßigem Kontakt zu Bataillonen im Donezbecken. Ein Angriff konnte jederzeit kommen.

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Der Kommandant der Woloweka hieß Simeon. Er war der erste Zivilist, der einem Polizisten auf dem Maidan die Waffe stahl und damit zurückfeuerte. In der Ukraine kannte jeder seinen Namen, innerhalb des RS war er eine Legende. Nach dem Maidan hatte er die desaströse Einkesselung der ukrainischen Armee in Ilowajsk überlebt. Er gehörte zu den "Cyborgs", den ukrainischen Soldaten und Zivilisten, die den Flughafen Donezk gegen eine Überzahl von Rebellen verteidigten, bevor Minsk II unterzeichnet wurde. Simeon war ein Virtuose im Einsatz drahtgelenkter Raketen, die er in feindliches Gebiet steuerte. Ende 2015 erklärte ihn die ukrainische Regierung zum Terroristen. Der Rechte Sektor hatte sein Haus in Iwano-Frankiwsk in ein Waffenarsenal verwandelt. Unter seine Veranda hatten sie Claymore-Minen gelegt, und seine Teenagersohn war angewiesen, sie auszulösen, falls die Polizei kam.

Simeons Präsenz in der Kaserne war deutlich spürbar. Kaum war er morgens aus seinem spärlich mit Militärhelmen und Familienfotos dekorierten Betonzimmer getreten, begann er zu trinken. Er hatte keine Zivilkleidung; seine Uniform war so schlammverkrustet und voller Motoröl, dass sie hart wie Pappe war. Für Simeon ging es beim Krieg in Donezk weniger um die Russen als darum, den Leuten in Kiew etwas zu beweisen. "60 Prozent der Ukraine will sich Europa anschließen", sagte er mir eines Nachts, als er Wachdienst hatte. "Die interessieren sich hauptsächlich dafür, ob ihr WLAN geht. Noch mal 20 Prozent sind pro-russischer Abschaum. Für die war die Sowjetunion eine gute Sache. Diese Typen sind kein so großes Problem, wie du vielleicht denkst. Man kann sie töten. Wir vom Rechten Sektor gehören zu den restlichen 20 Prozent, die überzeugt sind, dass wir in der Ukraine die Dinge selbst in die Hand nehmen müssen. Wir können unser Land nur in Ordnung bringen, wenn wir bei uns selbst anfangen."

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Trotz Simeons Kritik am mangelnden Eifer seiner Landsleute hatten die meisten Ukrainer der Woloweka kein tiefer gehendes Interesse an der Politik des RS. Viele von ihnen waren vom Staat zu Terroristen erklärt worden und blieben hauptsächlich in der Woloweka-Kaserne, um ihrem Prozess zu entgehen. Kolibian, der Leutnant des Kommandanten, war der einzige Ukrainer, der wirklich etwas aufgegeben hatte, um zur Woloweka zu gehören: In Kiew besaß er ein Autohaus.

In dieser Hinsicht unterschieden sich viele der ausländischen Söldner kaum von ihren ukrainischen Waffenbrüdern. Als Ben Fischer gegen den IS kämpfte, wurde Craig Lang gerade von seinem Bohrturm in North Dakota gefeuert. "Der Boom da oben ist vorbei", sagte er mir. In seinem Kasernenzimmer bedeckte eine US-Flagge das Bett. Lang ist hager, mit einem markanten Gesicht, das halb von einem ockerfarbenen Bart überwuchert ist. Auf seinem rechten Vorderarm hat er ein "Molon Labe"-Tattoo und sein breiter Südstaatenakzent macht Donezk zu Dawntesk. Während seines Diensts in Afghanistan kostete eine Sprengfalle ihn das Gehör im rechten Ohr und einige Nerven hinter der Iris: Lang kann den Leuten nicht mehr gerade in die Augen sehen.

Als Lang zwölf war, versuchte sein Vater, seine Stiefmutter zu ermorden. Lang senior musste ins Gefängnis, und Lang blieb bei der Stiefmutter. Er nahm sich vor, Soldat zu werden, und schloss dafür bereits mit 17 die Highschool ab. Mit 22 Jahren war er schon zweimal im Irak und einmal in Afghanistan gewesen. Lang sprach voll Begeisterung von seinem Soldatenleben. In Nowohrodiwka übte er NATO-Kriegskunst—er lud beim Rennen um die Kasernen nach, lugte um Häuserecken—und las zum Spaß ständig Leitfäden der US Army.

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Vor zwei Jahren machte Lang Schlagzeilen, als er von Fort Bliss im texanischen El Paso desertierte, nachdem seine Frau ihm Videos geschickt hatte, in denen sie beim Sex mit anderen Männern zu sehen war. Lang packte Körperpanzerung, Nachtsichtgerät und zwei Sturmgewehre ein und fuhr ohne Zwischenstopp nach North Carolina, wo er Landminen um ihre Wohnung verteilte und versuchte, sie zu ermorden. Er bekam nur ein paar Monate Haft, denn laut seiner Aussage hatte die US Army von seinen psychischen Problemen gewusst und nichts dagegen unternommen. "Ich hab' meinen Offizieren mehrmals gesagt, dass ich sie ermorden werde", sagte er. "Diese Motherfucker dachten, ich bluffe nur." Lang wurde unehrenhaft entlassen, womit er alle Leistungen für Veteranen, seine Krankenversicherung und seinen Waffenschein verlor. Den Kindesunterhalt konnte er nicht zahlen—aktuell hat er 92.000 Dollar Schulden—und er fand keine langfristige Arbeit. Hin und wieder wanderte er zurück ins Gefängnis. Seine Frau bekam seinen Truck und sein Haus und erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen ihn. Die beiden Kinder hatte Lang seit drei Jahren nicht gesehen.

Lang fühlte sich von der Army betrogen. "Du warst im Knast, du kriegst keinen gut bezahlten Job, du kannst keinen Kindesunterhalt zahlen, du wanderst wieder in den Knast. Und von vorne." Doch den Kampf liebe er noch immer. Das private Militärunternehmen Blackwater (heute Academi) habe ihn aufgrund seiner eingeschränkten Sehfähigkeit abgelehnt, sagte er, doch er erwähnte nicht, ob seine Vorstrafen vielleicht eine Rolle gespielt hatten. Im Februar las Lang von der Schlacht um Ilowajsk und beschloss, in die Ukraine zu gehen. Er hatte gehört, NATO-Veteranen würden dort an der Front hoch geschätzt, denn ukrainische Soldaten würden nicht einmal in medizinischen Grundlagen ausgebildet. Dass seine Wahl nicht stattdessen Syrien traf, erklärte mir Lang so: Die Meldungen zum Euromaidan hatten ihn überzeugt, dass die Ukrainer es mit einem nationalen Befreiungskrieg ernst meinten, während seiner Erfahrung nach den Bewohnern des Irak dieser Ernst fehlte. "Irakis ist alles scheißegal", sagte er. Außerdem sah Lang Putin als Kommunisten, und Kommunisten verachtete er.

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Drei Wochen vor meinem Besuch in Nowohrodiwka lernte ich in Kiew zwei Amerikaner kennen. Quinn Rickett aus Illinois und Santi Pirtle aus Kalifornien waren beide Anfang 20 und planten zusammen in einem Hostel ihren RS-Beitritt. Den schlechten Ruf der Gruppe kannten sie, aber es war das einzige ukrainische Bataillon, das noch Ausländer annahm, und Lang, den Rickert auf Facebook gefunden hatte, hatte ihnen die Zugroute nach Nowohrodiwka erklärt. Rickert hatte Pirtle Wochen zuvor in Paris kennengelernt, wo die Fremdenlegion beide abgelehnt hatte. "Die Legion nimmt keine Verbrecher, aber ich dachte, sie würden meine Ehrlichkeit schätzen", sagte mir Rickert. Mit 18 war Rickert der US Army beigetreten, doch sein Einsatzgebiet waren Schreibtische in Georgia und Virginia gewesen. Bei einem Urlaub wurden Rickert und ein Freund dabei erwischt, wie sie in Chicago Autoteile aus Autohäusern stahlen. Er verbrachte ein Jahr hinter Gittern und missachtete dann seine Bewährungsstrafe, um in die Ukraine zu reisen. "Wenn ich je in die USA zurückkehre, muss ich für sieben Jahre ins Gefängnis", sagte er.

"Das ist das Problem mit dem privatisierten Gefängnissystem", fügte Pirtle hinzu. Er ist schwarz und philippinischer Abstammung, trägt Brille und hat einen kleinen Kinnbart. "Es muss die Leute im Gefängnis behalten, um Geld zu machen." Pirtle war in der Ukraine, weil er die seiner Meinung nach frivole und von Promis besessene US-Kultur hasste. Pirtle und Rickert hatten überlegt, von Paris nach Syrien zu reisen, doch die Flugtickets waren zu teuer gewesen. Der Zug von Paris nach Kiew kostete sie ihre letzten Ersparnisse.

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Die Ukrainer schwärmten den beiden von den Waffengesetzen der USA vor—"In eurem Land kriegt jeder eine Waffe! Großartig!"—doch hier war diese Fantasie Realität geworden. Der Smalltalk drehte sich um die besten Methoden, Separatisten zu töten. Ein Texaner namens Russell Bentley kämpfte bekanntermaßen für eines der Donezk-Bataillone.

"Er ist nicht aus Texas", sagte Lang. "Er ist ein Dreckskommunist aus Austin."

"Würde der amerikanische Staat dir Probleme bereiten, wenn du ihn umbringst?" fragte Rickert.

"Nein", antwortete er.

Das Mittagessen der Woloweka bestand in der Regel aus einem faustgroßen Klumpen rohen Schweinefetts. Zum Abendessen gab es Kartoffeln; sie lagen in Leichensäcken in einem Treppenhaus. Alle Güter—Mäntel, Gaze, Wasserkrüge—stammten von Freiwilligen in Kiew oder waren von Einheimischen "abgefordert" worden. Kohle und Holz kamen zusammen mit Müll in einen Brennofen, der dicke Wolken giftiger Abgase ausstieß. Dunkle Flecken davon setzten sich auf der Haut ab. Die Woloweka bezahlte Zigaretten und Internetanschluss, indem sie die Kohle-Müll-Mischung zu Ziegeln brannte und sie im ganzen Land verkaufte.

Alles bei der Woloweka war übertrieben. Wenn Schlüssel verlegt worden waren, sprengte man die Tür mit TNT. Walnüsse wurden mit Granaten geknackt. Straßenkatzen jagten einander durch die Korridore, von denen die meisten mit 30-Kilo-Bomben gesäumt waren, wie sie etwa zur Sprengung von Brücken verwendet werden. Die RS-Kämpfer entledigten sich der Katzen am liebsten mit einer Kugelstoßbewegung vom Balkon des ersten Stocks. Sie fielen mit markerschütternden Schreien zu Boden. Ein paar Wochen vor meiner Ankunft hatte ein Ukrainer namens Geronimo eine Katze enthauptet, die auf sein Bett gepinkelt hatte. Aus Angst vor PTBS-Ausbrüchen versuchte Simeon erfolglos, alle Waffen einzusammeln. Die Woloweka hatte auch einen Hund, Fliege, dessen einstiges Herrchen durch eine Landmine gestorben war. Fliege zitterte wie ein zurückgehaltener Berserker, wann immer jemand eine Waffe durchlud.

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Die Woloweka-Mitglieder prahlten oft, sie besäßen genug Sprengstoff, um eine kleine Oblast auszulöschen. Das Bataillon hatte seine gesamte Ausrüstung—die sechs gepanzerten Trucks, die Helme, die Erste-Hilfe-Ausrüstung, Hunderte Schachteln Munition—illegal aus allen Winkeln der Ukraine zusammengetragen. Sie nutzten Spenden von der ukrainischen Diaspora in Kanada "für Sanitätsartikel", um AK-47 von tschetschenischen Waffenhändlern in Wien zu kaufen, die dann von Woloweka-Mitgliedern durch die Karpaten geschmuggelt wurden. Auch die Waffen vieler toter Separatisten hatten sie eingesammelt. Eines Nachmittags nahm Fischer mich mit zum Arsenal: sechs fensterlose Nischen im ersten Stock. Alles roch nach Katzenurin. Flakraketen und Panzerfäuste lagen aufgestapelt wie Holzscheite. Fischer nahm zwei rostige Mörser aus einem schimmeligen Karton. "Ein Kriegsmuseum in Lwiw hat uns die gegeben", sagte er und ließ sie von einer Hand in die andere fallen. "Von der Roten Armee, aus dem Zweiten Weltkrieg. Viele Ukrainer, die historisches Reenactment betreiben, bewundern unsere Arbeit. Sie schicken uns ständig Antiquitäten", sagte er und warf die Mörser zurück. "Das einzige Problem ist, dass sie detonieren können, wenn du zu schnell über eine Bodenwelle fährst."

Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU hätte jeden Moment erscheinen und alle Woloweka-Mitglieder festnehmen können, denn ihre Anwesenheit an der Front war illegal. Doch die RS-Kämpfer versicherten mir, dies sei ausgeschlossen. Als er Hilfe bei der Verfolgung von Lastern brauchte, die mutmaßlich Vorräte nach Donezk brachten, bat der SBU die Kaserne um Verstärkung. Der Großteil der Oblast war pro-russisch, also ermutigten Lokalbehörden den Rechten Sektor, langsam durch die Dörfer zu fahren oder sie mit der Waffe in der Hand zu durchstreifen. Die Bewohner von Nowohrodiwka hassten den RS, bettelten aber trotzdem abends an der Kaserne um Essen (welches sie immer bekamen). Die Betrunkenen fielen oft in den Graben.

Die ukrainische Armee war theoretisch verpflichtet, RS-Mitglieder an der Front zu verhaften, tat es aber nicht. Nachts füllten stattdessen Offiziere, die mit dem RS sympathisierten, den Schulbus der Woloweka mit Raketen und großkalibrigen Waffen, die laut internationalen Richtlinien verboten sind. Durch den Rechten Sektor konnte die ukrainische Armee Minsk II umgehen und weiter auf Separatisten feuern. Offiziell hat der Staat Beobachtern mitgeteilt, der RS entziehe sich seiner Kontrolle. Die Lokalpolizei verhaftete ebenfalls keine Mitglieder der Woloweka, schließlich konnte sie ihren Terrorismus auf die Gruppe outsourcen. SBU, Militär und Polizei bestreiten auf entsprechende Fragen hin ihre Verbindung zum RS natürlich vehement, doch was ich an der Front sah, kam einer aktiven Zusammenarbeit gleich. Die Woloweka-Kämpfer sprachen verächtlich von jeglicher Kooperation mit Kiew—aber die Ukraine könne man sich erst vornehmen, wenn die Bedrohung im Donezkbecken ausgeschaltet sei.

Wochen vor meinem Besuch hatte man nachts in Nowohrodiwka einen Betrunkenen aufgegriffen. Die Polizei konfiszierte sein Handy und fand Fotos, in denen er vor Donezk-Panzern posierte. Sie brachten ihn dem Rechten Sektor, der ihn in eine Duschkabine sperrte, die nur Platz zum Stehen bot. Das Licht blieb eine Woche lang an. Sie schlugen ihn mit einer mit angespitzten Steinen gefüllten Socke. Sie nahmen ihm die Kleidung und zwangen ihn, die Kaserne auf Knien zu putzen. Bei einem Verhör, in dem ihm wiederholt mit Guantánamo Bay gedroht wurde, erfuhr man nur, dass er aus einem der umliegenden Dörfer war und anscheinend nichts über Rebellenaktivitäten wusste. Nach einer Woche brachte ihn die Polizei zurück nach Kiew—vermutlich zu einer Haftstrafe, doch niemand wusste genau, was aus ihm geworden war. "Es ist schade, dass wir diese Leute schlagen müssen", sagte Kirschbaum. "Aber ich hätte mehr Mitleid, wenn es uns in Donezk ähnlich ergehen würde. Gefangenen RS-Mitgliedern werden die Nasen und Ohren abgeschnitten."

Ein lautes Geräusch erschütterte eines Nachts den Eingangsbereich. Es folgte lautes Stöhnen. "Separatisten!" schrie jemand. Fischer drückte eine Zigarette aus, griff sich eine Panzerfaust von der Wand und hängte sie sich in einer fließenden Bewegung um. Lang kam mit einer Granate in jeder Hand aus dem Zimmer geschossen. Im Korridor stand ein Dutzend schwerbewaffneter Ukrainer. Einer blickte durch das Zielfernrohr eines Scharfschützengewehrs.

Als sich im Eingang der Granatenrauch verzog, sahen wir Simeon in einem See aus blubberndem Blut. Schwarzviolette Schnüre—seine Gedärme—hingen an der Wand. Eine fingerlose linke Hand fiel von einem Stapel Reifen. Simeon hatte die Kaserne verlassen wollen, um zur Feier des Jubiläums der Schlacht um den Flughafen Donezk auf dem Dorfplatz ein paar Granaten zu werfen, doch er war im Treppenhaus ausgerutscht und hatte sich selbst in die Luft gesprengt. Er drehte den Kopf zu uns, atmete noch ein paar Mal und starb.

Am folgenden Abend war das Begräbnis. Seine Mutter, sein Sohn und seine Frau kamen. Zwei RS-Mitglieder führten sie schnell vom Eingang weg, in dem Simeon gestorben war. "Zwei Landminen explodierten unter Simeon, als er auf den Flughafen Donezk zustürmte", sagte Kolibian, der am Morgen zum neuen Kommandanten ernannt worden war, Simeons Familie. Sie weinten. "Danach mussten sie noch mit dem Maschinengewehr feuern, bis er zu Boden ging. Wir bargen ihn und brachten ihn in unseren Schützengraben. Er atmete noch. Er weigerte sich zu sterben." Kolibian legte Simeons Mutter die Hand auf die Schulter. Die meisten RS-Mitglieder waren betrunken; Simeons Wodkavorrat war restlos aufgebraucht.

Dann kam Pater Pawel aus Pokrowsk. Er war groß und hatte fettiges Haar unter einem schwarzen Cap. Pawel klimperte mit einem goldenen Weihrauchschwenker durch die Kaserne und sang ein Gebet. Der Geruch von Tod wurde übertüncht.

Simeon kam als Letztes an. Sechs RS-Kämpfer hoben seine Leiche aus dem Kühllaster, der ihn am Vorabend ins Leichenhaus gebracht hatte. Er lag auf weißem Tuch in einem lila Sarg. Seine verlorene Hand war durch einen mit Erde ausgestopften Handschuh ersetzt worden. In der linken Wange hatte er noch einige Schrapnellsplitter; sie zu entfernen, hätte ihn noch mehr entstellt.

Alle versammelten sich um den Sarg. "Simeon, du warst ein echter Haudegen", sagte Pawel. "Ein treuer Sohn des Dnepr." "Slawa Ukrajini!" rief Simeons Mutter. "Herojam slawa!" brüllten die Woloweka-Kämpfer zurück. "Ehre der Ukraine! Den Helden Ehre!" Draußen stellten die nun nur noch 26 Männer der Woloweka sich in Reih und Glied auf und schossen mit ihren AKs Leuchtspurmunition, die rote Schneisen durch den Himmel zog, bevor sie auf Nowohrodiwka fiel.