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In Schneeberg sind Journalisten noch immer Freiwild für Nazis

Beim letzten Lichtellauf in Schneeberg wurde ein Fotograf zusammengeschlagen, während die Polizei nirgends zu sehen war. Seitdem hat sich an der Einstellung der Beamten nicht viel geändert.

Am Samstag kam es in drei sächsischen Städten wieder zu Aufmärschen „gegen Asylmissbrauch“: in Chemnitz, in Borna bei Leipzig und in Schneeberg im Erzgebirge. In Schneeberg ist es bereits der vierte „Lichtellauf“, den der NPD-Mann Stefan Hartung organisiert, und zwar „gegen systematischen Asylmissbrauch, die Unterdrückung unserer freien Meinung und die Presse- & Politiker-Lügen!“

Für die NPD hat das neue Jahr nicht besonders gut angefangen: Zuerst hat ihr seit Langem umstrittener Vorsitzender Holger Apfel im Dezember sein Amt niedergelegt, dann ist er auch gleich aus der Partei ausgetreten. Das war das Ergebnis einer ziemlich hässlichen parteiinternen Schlammschlacht, in der Apfel immer wieder sexuelle Belästigung junger (männlicher) Parteimitglieder vorgeworfen wurde. Ein Kamerad empfahl ihm sogar, sich zu erschießen. Und jetzt will ein Haufen wildgewordener Blogger auch noch ihre Facebookseite überfremden.

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Gleichzeitig hat die NPD heftige Geldsorgen: Zum Jahresende mussten fünf der sieben Angestellten der Parteizentrale entlassen werden. Für 2014 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, die Auszahlung der Parteienfinanzierung (insgesamt um die 1,2 Millionen) zurückzuhalten, weil die Partei eine alte Strafzahlung noch nicht geleistet hat. Und mit den Wählerstimmen klappt es auch nicht so gut: In Sachsen, wo die NPD seit 2004 im Landtag sitzt, kam die Partei zuletzt nur noch auf 1 Prozent. Sollte sie bei der diesjährigen Landtagswahl im Herbst rausfliegen, würde noch eine Geldquelle versiegen. Kein Wunder, dass die Kameraden in Sachsen sich alle Mühe geben, irgendwie Wähler zu mobilisieren.

Die Demo in Chemnitz. Trotz vorbildlicher Social-Media-Kampagne waren nur ca. 150 Teilnehmer vertreten.

Der letzte Lichtellauf hatte Schneeberg in den Ausnahmezustand versetzt. Beim Fackellauf selbst sind damals circa 1.500 Menschen mitgelaufen, dazu kamen aber noch ungefähr 1.000 angereiste Gegendemonstranten, 500 Gegendemonstranten des lokalen „Bündnisses für Menschlichkeit“ und gut 1.000 Polizisten, die die kleine sächsische Stadt endgültig in den Belagerungszustand versetzten. Ich war damals selber dabei, als Fotograf Björn und einer seiner Kollegen am Rande der Demo von vermummten Schlägern angegriffen wurden. Björn hatte gerade noch fliehen können, den Freund mussten wir danach im Krankenhaus in Aue abholen.

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Noch ärgerlicher als die Gewalt war aber die Einstellung der Polizei: Nicht nur, dass sie die Antifa-Demo auf Schritt und Tritt begleiten konnte, bei den Rechten aber kein Beamter in Sicht war, der die Fotografen hätte beschützen können. Sondern auch, dass man uns immer wieder erklärt hatte, wir sollten doch einfach nicht herkommen, wenn wir uns bedroht fühlten. Die Beamten gaben uns ziemlich unmissverständlich zu verstehen, dass es ihnen ausschließlich darum ging, Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten zu verhindern. Journalisten zu schützen, passte nicht ins Konzept, das machte den Einsatz unnötig kompliziert.

Diesen Samstag war ich also nicht nur neugierig, ob der Stimmenfang der Rechten nach den Feiertagen noch genau so ziehen würde, sondern auch, ob die Polizei aus dem letzten Mal irgendwelche Lehren gezogen hatte. Von der Facebook-Seite des Lichtellaufs wusste ich, dass mein letzter Artikel bei den Teilnehmern nicht besonders gut angekommen war. Ich hoffte also, dass die Polizei sich dieses Mal etwas überlegt hatte, um Journalisten zu schützen.

Als wir in Schneeberg ankamen, wurde schnell deutlich, dass sich die Bambule vom letzten Mal nicht wiederholen würde. Auf dem Platz standen ein paar Polizeiwagen herum, es gab keine Gegendemonstration, und was sich schließlich bei -12 Grad vor dem Rednerpult des Initiators Stefan Hartung versammelte, waren nur um die 250 Leute, und wie in Chemnitz (wo wir vorher vorbeigeschaut hatten) bildeten die Jungs in den Thor-Steinar-Jacken und Flecktarn-Hosen den größten Teil der Zuschauer.

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Stefan Hartung (links) und der NPD-Landtagsabgeordnete Arne Schimmer (rechts) reden gegen die Eiseskälte an

Ich unterhielt mich kurz mit Frau Kind, der Pressesprecherin der Polizei, um herauszufinden, ob bei diesem Lichtellauf mehr Beamte mitlaufen würden, vor allem auch an den Seiten. Frau Kind teilte mit, man werde das genauso handhaben wie beim letzten Mal, es gäbe ja auch keinen Grund, da irgendwas zu ändern. Wir wussten also bescheid, dass wir uns nicht von den Polizisten an der Spitze und am Ende des Zuges entfernen konnten.

Kurz nachdem sich der Marsch in Bewegung gesetzt hatte, sprangen plötzlich sechs oder sieben Jugendliche von der Seite hervor, beschimpften die Demonstranten als Faschisten und riefen „Refugees are welcome here“. Sofort wurde sie von mehreren Polizisten abgedrängt, die dann von allen die Personalausweise kontrollierten, „um mögliche Straftaten zu verhindern“. Man kann also keinem Beamten den Vorwurf machen, er würde nicht genug unternehmen, um die Leute vor linker Gewalt zu schützen.

Björn war währenddessen mit dem Zug weitergelaufen und prompt von einem der Ordner angegangen worden, der ihm das Fotografieren verbieten wollte. Kurz darauf musste die Polizei ihn und zwei andere Fotografen bereits vor einer kleinen Gruppe Glatzen beschützen, die ihm die Kamera wegreißen wollten. Die riefen auch Sachen wie: „Hat es deinem Kumpel beim letzten Mal nicht gereicht?“ Ein Polizist informierte ihn dann, dass er sie beim nächsten Vorfall leider wegschicken müsse, um ihre „und die Sicherheit der Demonstrationsteilnehmer“ zu gewährleisten.

Das wollten wir nicht abwarten, stattdessen haben wir uns von selbst davongemacht, wieder mit dem deutlichen Gefühl, dass wir hier allen Beteiligten auf die Nerven gehen: den Rechten, die zwar gerne Demos abhalten, sich aber trotzdem nicht dabei fotografieren und befragen lassen wollen oder Berichterstattung gut heißen, und den Polizisten, die einfach nur hoffen, dass alles möglichst ruhig über die Bühne geht. „Wenn Sie sich bedroht fühlen, dann kommen Sie doch nicht her!“: Die Einstellung hat sich seit dem letzten Mal nicht geändert. Auf die Frage, ob das generell die Haltung der Polizei in Sachsen widerspiegeln würde, hat sich Frau Kind bis jetzt noch nicht zurückgemeldet.

Das heißt, dass man es sich als Journalist auch in Zukunft gut überlegen muss, ob man sich zu solchen Veranstaltungen traut. Das würde aber bedeuten, dass man den Braunen das Feld überlässt. Am Samstag waren immerhin schon so wenige Andersdenkende dabei, dass Hartung auf der Facebook-Seite gestern fröhlich verkünden konnte, „dass wir offenkundig die Meinungshoheit in Schneeberg für uns verbuchen können.“