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Wie Christen zu Vandalen werden

Warum evangelikale Hardliner einer Anti-AIDS-Kampagne mit Sprühdosen gegenübertreten.

Foto von VICE

Es hat eine gewisse Komik, wie sich manche Leute über das Aussehen von Dingen aufregen, die sie gar nicht gezwungen sind, anzusehen. Vor allem, wenn es sich bei diesen Dingen um nackte Haut handelt. Wie zum Beispiel bei der neuen Kampagne des Bundes gegen sexuell übertragbare Krankheiten. Dann liest man plötzlich überall ganz lustige Leserkommentare, wie etwa (Zitat, unkorrigiert):

„Gesundheitspolitisch gesehen, sind AIDS, Diabetes oder Sucht vernachlässigbare Probleme“, „Ja,Ja. Lassen sich dabei krank werden… Geschlechtskrankheiten sind stark nehmen zu, und durch die SEX-Reklame führen sie mehr zur Krankheit. Damit wird nur Geld, ja viel Geld verdienst. Nur Dumme machen mit dieser Welle mit.“ oder „Ich seh hier so viele Menschen, die dieses verdorbene Treiben auch noch bejubeln. Ich bin erschüttert. Hat euch eure Mutter so etwas wirklich beigebracht? Oder habt ihr das in der Kirche gelernt? Schämt euch!“

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Und ganz nebenbei sieht man, wie verkappte Christen zu Vandalen werden. Da Hexenverbrennungen inzwischen nicht mehr ganz so hoch im Kurs sind, greifen die Pop-Up-Fundis lieber zur Spraydose als zur Fackel.

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Oder man wahrt etwas mehr Diskretion und gründet eine diffuse Organisation, unter deren Namen man empörte Briefe an den Bund schreibt. Mit dem Betreff „Genial. Genial daneben.“ und persönlicher Adressierung an Ueli Maurer hat die offiziell inexistente Gruppe „Bernische Aktions-Gemeinschaft“ (kurz BAG, wie originell) aus Gstaad und Münsingen anfangs Mai rund 30 Beschwerdebriefe beim BAG (Bundesamt für Gesundheit) abgeladen.

Die Schweizerische Evangelische Allianz legt noch einen drauf. Das erleuchtete Gewissen unserer Zeit mit „Jugendallianzen“ in der ganzen Innerschweiz und einem Drei-Punkte-Plan zur Missionierung der Erde ruft nicht nur zum Beschwerdebrief-Shitstorm gegen die Kampagne auf, sondern liefert auch gleich die sündenfreie Antithese zum Geschlechtsverkehr abseits der Ehe.

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Auf den niedlichen Bildern werben feucht grinsende Ehepaare mit dem Motto „Treue schützt vor Reue“ und der Angabe wieviele Jahre sie schon verheiratet sind für ihr Gelübde. Was die Ehe mit Kondomen zu tun haben soll oder wie die Dauer einer Beziehung vor Seitensprüngen schützt, konnte mir zwar niemand so genau sagen, aber immerhin visualisiert die Kampagne die Ehe als eine Art ewig klebender Tesafilm, der Sex und Liebe zusammenhält.

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Aber von einem Verein, der sein Weltbild auf Bibelblabla wie „Die göttliche Inspiration der Heiligen Schrift, ihre völlige Zuverlässigkeit und höchste Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung“ oder „Die völlige Sündhaftigkeit und Schuld des gefallenen Menschen, die ihn Gottes Zorn und Verdammnis aussetzen“ aufbaut, kann man wahrscheinlich auch nicht viel mehr Differenzierung erwarten.

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Mit 500 Jahren Inquisition, Nordirlandkonflikt, Ruanda und zölibatärer Pädo-Quote ist die christliche Ideologie zwar nicht unbedingt ganz so humanitär veranlagt, wie es manche ihrer Schäfchen gerne betonen. Trotzdem wäre es schon etwas zu simpel, den ganzen Shitstorm nur mit einer fehlgeschlagenen Erziehung oder mangelnden Erfolgen beim anderen Geschlecht (oder warum auch immer man evangelikal wird) zu erklären.

Reality TV, Klatschzeitschriften, Castingshows oder die Miss Schweiz Wahl zeigen ja, dass Voyeurismus mittlerweile eine sehr beliebte und sehr verbreitete Form der Unterhaltung ist. Und die wenigsten Bikini-Mode-Plakate sind mit Dingen wie „666 H&M ist Antichrist“ verschmiert. Was die Leute in Wallungen bringt, ist demnach eher, dass der Bund zu Prävention aufruft, indem er den Gegenstand der Problematik zeigt, wie er idealerweise ist: intim, aufregend und würdevoll. Scheinbar wird von einer Institution des Bundes eben einfach erwartet, das nicht zu tun.

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