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​Ist es schlimm, wenn man Ende 20 noch Single ist?

Sind wir Teil einer „beziehungsunfähigen" Gesellschaft? Und wie verhält man sich, wenn die Freunde plötzlich alle heiraten? Ein Erklärungsversuch.
Frau zeigt Mittelfinger

Foto: Patrick Humphries | Flickr | CC BY-ND 2.0

Wird das hier ein weiterer Mimimi-Artikel darüber, wie beziehungsunfähig die Generation Y ist—wahlweise wegen Online-Dating, der allgemeinen Profilierungssucht im Internet oder unserer durchkapitalisierten Gesellschaft, die keinen Raum mehr für menschliches Versagen (und zwischenmenschliche Beziehungen) lässt? Nein. Eigentlich nicht.

Ein Motivationsartikel dahingehend, dass wir ja sowieso alle allein sind im Leben und Sterben und die Institution der Ehe im Allgemeinen komplett überholt ist? Nö. Aber ich bin 26, mein erweitertes Umfeld heiratet sich gerade ins Nirvana und je weniger Bekannte übrig bleiben, mit denen man ohne Lebensabschnittspartner-Anhang noch irgendetwas unternehmen kann, umso öfter stelle ich mir die Frage: Sind die anderen komisch oder liegt es vielleicht doch irgendwie an mir?

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Und selbst wenn es sich richtig anfühlt, die Sonntage mit Netflix und dem trockenen Börek vom Vorabend im Bett zu verbringen—wie lange darf sich das noch gut anfühlen? Gibt es nicht irgendwann ein Ablaufdatum dieses Lebensentwurfs? Wenn ja, wann? Klar, 40 ist das neue 30 und so weiter, aber verläuft die Grenze zwischen fokussiert auf sich selbst und glücklich damit, und sich vor lauter Einsamkeit mehrere Katzen anzuschaffen, so fließend, dass man erst dann merkt, dass alles zu spät ist, wenn es … nun ja, zu spät ist?

Warum große Teile unserer Generation immer länger brauchen, um irgendwann an den Punkt zu kommen, an dem man sich als wirklich erwachsen ansieht, hat ein hochgeschätzter VICE-Kollege bereits eindrücklich beschrieben. Die Frage, die ich mir stelle, ist allerdings nicht, wann die Party vorbei ist. Die Frage ist: Ist es OK, wenn ich gerne bis zum letzten Song bleiben möchte und mich wirklich erst dann auf den Heimweg mache, wenn die Lichter langsam angehen?

Diesem Mindstate liegen natürlich zwei grundlegende Annahmen zugrunde. 1. Ich verpasse etwas, wenn ich früher gehe. 2. Ich bin nicht die einzige Person, die ganz bis zum Schluss bleibt. Alleine tanzen ist nämlich immer irgendwie traurig und um diese Metapher endlich hinter uns zu lassen: Niemand möchte irgendwann einsam und verlassen im Seniorenstift sitzen und sich zu Rosamunde Pilcher mit likörhaltigen Pralinen langsam aber stetig in den längst überfälligen Herztod knuspern. Ist es also eine gute, objektiv vernünftige Entscheidung, auch dann noch den Freie-Liebe-Party-Lifestyle eines 20-Jährigen zu pflegen, wenn man sich mit großen Schritten auf die 30 zubewegt?

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Annahme 1 lässt sich relativ leicht entkräften, denn in aller Regel gilt: Man verpasst nie etwas. Ich habe noch nie eine Veranstaltung verlassen und zwei Minuten später eine WhatsApp-Nachricht mit dem Inhalt „Lisa, GERADE wo du gegangen bist, hat Colin Farrell den Raum betreten. Er war betrunken und hat nach dir gefragt. Nackt!" bekommen. Nie. Ähnliches gilt, wenn man nicht gerade seit der Grundschule in ein und derselben Partnerschaft festhängt, auch für das Beziehungsleben. Annahme Nummer 2 hingegen ist da ein bisschen komplizierter. Es gibt viele Menschen, für die mittlerweile auch die magische 30 kein Grund mehr ist, in absolute Torschlusspanik zu verfallen. Nur: Wenn wir uns selbst schon für komisch halten, weil uns noch niemand wegheiraten oder auf ewig an sich binden wollte (obwohl wir zweifelsohne fabelhaft sind), bedeutet das nicht auch, dass alle anderen in einer ähnlich ungebundenen Lebenssituation auch komisch sind?

Und komisch muss man ja irgendwie sein, wenn man das fünfte Jahr in Folge keinen Lebensabschnittspartner zum Weihnachtsessen mitbringt und kurz davor ist, auf die zunehmend indignierten Fragen der Familie mit „Wenn ich keine Lust mehr aufs Rumhuren habe, werde ich es dir als Erstes mitteilen, VATER!" zu antworten. Auch wenn sich insbesondere das Bild der zunehmend verzweifelteren, älter werdenden Frau etabliert hat—was vor allem an der begrenzten Halbwertszeit des weiblichen Bindegewebes liegen dürfte—, glaube ich, dass die Ansprüche im Alter tatsächlich erst einmal steigen. Gerade bei den Leuten, die längere Zeit keine Beziehung mehr geführt haben. Und das bringt einen emotional gesehen in ein ziemliches Dilemma.

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Einerseits ist da diese antiquierte Urangst, dass man nur dann einen möglichst optimalen Partner finden kann, wenn man sich auf der Höhe seiner Jugend (optisch wie energetisch) befindet. Andererseits kommt man mit fortschreitendem Alter aber eben auch an den Punkt, an dem man keine Zeit mehr zu verschwenden hat und sich mit seinen Neurosen und Macken mittlerweile dermaßen angefreundet hat, dass jede Art von Anpassung oder Lebensplanänderung für einen potentiellen Partner einfach nicht mehr so richtig drin ist. Macht einen das schwerer zu vermitteln? Natürlich, aber: Irgendwann ist man auch einfach zu alt, um zu tun, als wäre man jemand, der man nicht ist.

Will ich irgendwann Kinder? Keine Ahnung. Wahrscheinlich nicht. Will ich irgendwann heiraten? Ja, klar. Mit als Einhörnern verkleideten Zwergponys und einem Wodka-Brunnen. Aber ich fühle mich momentan einfach noch nicht danach, und nur weil uns Hochzeiten und große Liebesbekundungen im Freundeskreis immer dazu anstiften, unsere eigene Situation auf Zwang mit den vermeintlich erwachseneren Entscheidungen unserer Freunde vergleichen zu müssen, heißt das nicht, dass wir für unser Leben falsche Entscheidungen treffen. Die Leute, die in meinem Umfeld Single sind, haben tendenziell Lust auf Beziehung oder zumindest irgendjemanden, der DA IST, damit man Sonntags nicht immer alleine im Bett liegen und Serien schauen muss. Aber solange man nicht das Gefühl hat, jemanden getroffen zu haben, den man auf nicht absehbare Zeit durchgehend um sich haben möchte—ist es dann nicht die „erwachsenere", die richtigere Entscheidung zu sagen: Nein danke, dann schaue ich mich mal weiter um?

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Foto: Giuseppe Milo | Flickr | CC BY 2.0

Den Partner zu finden, mit dem es dann endlich irgendwann mal ernst werden soll (einfach, weil man in ein Alter kommt, in dem Dinge angeblich ernst werden sollen), ist gar keine bewusste Sache, für die man sich entscheiden kann. Das hat auch einfach wahnsinnig viel mit Glück zu tun und das kann man sich, trotz all den Motivationscoaches, die euch für sehr viel Geld was anderes erzählen, in aller Regel eben nicht erarbeiten. Meine Freundin hatte dieses Glück und wird ihren Partner und besten Freund in ein paar Tagen heiraten. Meine (jüngere) Schwester hatte im letzten Jahr dieses Glück und ist mittlerweile sogar Mutter. Ich hingegen warte noch darauf, dass ein großer Mann mit Gesichtsnarbe in meine Wohnung fällt, und solange ich noch nicht ernsthaft darüber nachdenke, mich mit Leuten von Friendscout24 zu treffen oder in Chatnachrichten Zwinkersmileys zu verwenden, um sympathischer und zugänglicher zu wirken, glaube ich nicht, dass ich mir Sorgen machen muss. Und ihr euch auch nicht.

Es gibt kein gesellschaftlich festgelegtes Alter, ab dem man sich zu Brettspielabenden und Flohmarktvormittagen verabreden muss. Die einzige Erwartung, die zählen sollte, ist die, die ihr an euch selbst habt und wenn euch demnächst jemand suggeriert, dass irgendwas an euch komisch ist, weil ihr euch mehrere Katzen angeschafft und euren Sexualtrieb im Park um die Ecke vergraben habt—dann hat er vielleicht ein kleines bisschen Recht, es ist aber nichtsdestotrotz euer Leben. In dem ihr entscheidet, was sich für euch richtig anfühlt und was nicht.

Vielleicht kommt irgendwann der Typ, mit dem alles anders wird. Vielleicht kommt irgendwann der Wunsch danach, nicht nur für das eigene, sondern auch für ein anderes Leben verantwortlich zu sein. Aber wenn es nie dazu kommt, ist es auch OK. Und ich gehe weiterhin erst dann nach Hause, wenn der letzte Song gespielt wurde. Auch alleine, wenn mir danach ist.

Wenn ihr Lisa heiraten wollt, kontaktiert sie doch einfach per Twitter.