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Mode

Die Fashion Week in Istanbul und das Casting im Sexshop

Du wirst zu Castings gefahren, das Vorsprechen regelt der Fahrer und es gibt Obst, türkischen Käse, Oliven und duftende Croissants. Wenn Modeln immer so angenehm wäre.

Foto: Hasan Basri AKIRMAK | Flickr |CC BY 2.0

Ich bin etwas nervös. In ein paar Stunden geht mein Flug nach Istanbul. Ich habe beschlossen, dort als Model auf der Fashion Week zu arbeiten. Es sind die Frühling-/Sommer- Shows 2014, was so viel bedeutet: Es ist Winter.

Im Bereich der Mode ist die Stadt ein Off-Markt, ich kenne keinen Designer, den Mercedes-Benz auf der Internetseite der Fashion Week ankündigt. Aber das kümmert mich nicht. Paris, Mailand, London—das alles kenne ich, deswegen will ich diesmal in eine andere Modekultur eintauchen.

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In der 14-Mio-Metropole angekommen warte ich am Taksim-Platz auf Cem, den Fahrer meiner Agentur. Er soll mich zum Modelapartment bringen. Die Wohnung befindet sich in Maçka. Ich kenne mich zwar überhaupt nicht aus, aber das Hilton-Hotel nebenan und die dicken Autos auf der Straße lassen mich schließen, dass wir in einer teuren Gegend wohnen. Doch als ich kurze Zeit später auf meinem Stockbett sitze, wird mir bewusst: Ich teile mir mein Zimmer mit sieben anderen Mädchen. S i e b e n.

Der nächste Morgen beginnt ziemlich unangenehm, weil ich feststelle, dass meine Privatsphäre um ein Vielfaches kleiner ist als ohnehin befürchtet. Denn—was ich gestern im Halbdunkeln übersehen habe—in unserem 7er-Zimmer befindet sich noch eine hochgebaute Galerie, die über einen Balkon in den Raum geöffnet ist. Von diesem streckt Yeliz, unsere Bookerin, ihren Kopf herunter und weckt mich mit den Worten „Oh, das neuen Mädchen ist angekommen!“

Noch schlaftrunken verknüpfen sich die Fragmente in meinem Gehirn zu einem schrecklichen Bild der Realität: Ich wohne in einer 12er-Model-WG, teile mir mit sieben Mädchen einen Schlafraum und unser Zimmer ist mit dem Büro meiner Modelagentur verbunden. Da ich auf dem oberen Bett geschlafen habe, trennen Yeliz und mich nur 2 Meter Luftlinie. Ich krieche ans Ende der Matratze und schüttle ihre Hand. Sie stellt sich vor und erklärt, dass sie gemeinsam mit ihrem Cousin Okan die Agentur managt und von Cem unterstützt wird.

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Foto: Martin Fisch | Flickr |CC BY-SA 2.0

Um 9.30 Uhr geht es los zu den ersten Castings. Cem heizt mit dem Van durch die hügeligen Straßen von Istanbul. Er hat eine Liste mit Terminen bei sich, neben jeder Adresse sind die Namen der Mädchen notiert, die sich bei dem Casting vorstellen sollen. Für uns ist es nett, sich durch die Stadt kutschieren zu lassen, fast ein bisschen wie Sightseeing. Sonst laufen wir Models uns normalerweise die Füße wund. Gerade haben wir ein Wettrennen gegen den Fahrer einer anderen Agentur gewonnen.

Da die meisten Kunden kein Englisch sprechen, kommt er jedes Mal mit zu den Castings und übersetzt. Sonst bedeuten die Termine vor der Fashion Week nervenaufreibenden Stress, entweder ist man zu spät dran, weil zu viele in einen Tag gequetscht werden, man findet die Adresse nicht oder muss sich mit unfreundlichen Kunden herumschlagen. Aber hier erledigt alles Cem. Zahm staksen wir hinter ihm her, geben dem Kunden stumm unser Buch ab, lächeln. Er verkauft uns gut.

Auf dem Weg zum nächsten Casting ist es unangenehm still im Auto. Nur Cem diskutiert mit Okan, durch das Telefon höre ich seine laute Stimme. Kurz bevor wir aussteigen, warnt Cem uns vor, dass es sich bei dem Job um ein „Schlafanzug-Shooting“ handelt. Kein Problem. Doch gleich danach stellt sich heraus, dass das Casting nicht in einer Boutique für Nachtwäsche stattfindet, sondern in einem Sexshop. Dildos, Gleitgel, sexy Engelkostüme. Der Kunde, ein Mann, gibt einem Model ein Wäscheset und bittet sie, es anzuprobieren: Durchsichtiger BH, Tanga mit weißen Puscheln und Strapse. Sie lehnt ab. Er schaut auch uns fragend an, doch wir schütteln alle den Kopf. Wir drängen Cem zu gehen.

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Am nächsten Tag stehen früh morgens Yeliz und Okan in unserem Zimmer. „Während ihr geht, haltet den Kopf gerade, aber starrt nicht in die Augen des Kunden; das ist unhöflich”, sagt Okan. Heute findet DAS große Fashion-Week-Casting statt. Yeliz gibt uns Jeansshorts und schwarze Tops, auf denen das Logo unserer Agentur gedruckt ist, die wir anziehen sollen. In 20 Minuten fahren wir los, wir haben einen Termin beim Friseur, der uns die Haare machen und uns schminken wird. Sehr ungewöhnlich, in den anderen Städten, in denen ich gearbeitet habe, ist man als Model selbst dafür verantwortlich, bei Castings gut auszusehen. In Paris gilt es als verpönt, sich geschminkt bei einem Kunden vorzustellen. Bitte möglichst natürlich, am liebsten ohne BH und mit ungezupften Augenbrauen. Hier ist das anders. Wie geföhnte Pudel sitzen wir nun in einem Saal mit Hunderten anderen Mädchen. Um mich herum sehe ich viele Schichten Make-up, Extensions, und die Models haben auch ein paar Kilo mehr auf ihren Rippen. Abfertigung wie am Flughafen: An der ersten Station werden wir vor einem weißen Hintergrund fotografiert und bekommen eine Nummer. Wir warten stundenlang, bis wir zur zweiten Station kommen. Hier wird aussortiert. Nummern werden aufgerufen, die Mädchen laufen vor einer Jury aus Castingdirektoren auf und ab. Wenn du ihnen gefällst, fragen sie nach deiner Sedcard, und du kommst zur dritten Station. Hier werden wir noch einmal fotografiert, nun von allen Seiten.

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Foto: özgür atmaca | FlickrCC BY 2.0

Danach haben wir schon wieder so ein merkwürdiges Casting. Doch dieses mal für einen bekannten Kosmetikkonzern. Es geht um einen Werbespot für ein Männerduschgel. Von jedem Mädchen wird ein kurzes Test-Video gedreht. Als ich an der Reihe bin, fragt mich der Kunde, ob die Kamerafrau in meinen Ausschnitt filmen darf. Sie suchen ein Model mit großer Oberweite. Ich erkläre, dass es dort eh nicht viel zu filmen gibt, schnappe mir mein Buch und verlasse den Raum.

Die Tage nach dem großen Fashion-Week-Casting sind anstrengend. Für jede von uns gibt es unzählige Call-Backs der Kunden und Fittings zu erledigen. Manchmal kurven wir bis 22 Uhr durch die Stadt. Denn auch wenn nur ein Mädchen ein Fitting hat, müssen elf andere im Van warten. Glücklicherweise ist Cem verrückt nach dem Chai-Latte von Starbucks, weshalb immer Zeit für einen Stop dort ist.

Für heute Abend hat Okan uns zum Essen zu sich eingeladen, danach wollen wir weggehen. Ich freue mich schon. Weil es draußen ununterbrochen schneit, hängen die Mädels und ich, bis es so weit ist, in der Küche rum und kucken Eat Pray Love. Die DVD ist gebrannt, deswegen stockt das Bild ab und zu. Als wir im Club sind müssen wir an der Bar nicht für die Getränke bezahlen—eine Konstante der Modeszene, die auch in Istanbul bekannt ist—, die holländischen Mädchen schmeißen sich noch etwas MDMA, wir tanzen … bis wir schließlich gegen 4 Uhr alle erschöpft in die verdammten Stockbetten fallen. Niemand hat gekotzt, es war ein guter Abend.

Montag ist dann der erste Tag der Fashion Week. Backstage läuft alles eigentlich genauso ab wie auf der Fashion Week in Berlin. Es gibt ein Frühstücksbuffet mit Obst, türkischem Käse, Oliven, duftenden Croissants und einer Kaffeemaschine. Jeweils um die 20 Stationen für Haare und Make-up. Mehrere abgetrennte Bereiche, in denen die Kleiderstangen der Designer stehen und sich die Mädchen umziehen. Außerdem wuseln die Fotografen der großen Modemagazine wie Vogue und Elle Turkey umher, die Leute von Fashion TV sind da—also alles wie gewohnt. Nur entdecke ich hier kaum internationalen Topmodels. Lediglich Franziska Knuppe holt sich einen Becher Obst vom Büffettisch.

Foto: Ricardo Tulio Gandelman | FlickrCC BY 2.0

Wir gehen zusammen die Abrechnung durch: Die Gagen der vier Shows minus der Agenturprovision, der Kosten für das Apartment, der Sedkarten und des wöchentlichen Taschengeldes—bleiben 300 $. Yeliz drückt mir das Geld bar in die Hand. Ich wurde insgesamt für vier Shows gebucht, nicht spitze aber OK. Bleibt jedenfalls genug Zeit, um auf dem Basar um gefälschte Handtaschen zu feilschen.