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Fotos

Jacob Holdt liebt den Rassismus zu Tode

Solltet ihr das mit der NPD vielleicht genauso tun?

Der dänische Fotograf und legendäre antirassistische Aktivist zwingt Leute wie mich (und hoffentlich auch euch—kauft euch verdammt noch mal sein Buch, wenn ihr es noch nicht habt) immer wieder dazu, mir darüber Gedanken zu machen, dass ich eigentlich kein Stück besser bin, als jeder x-beliebige Rassist da draußen. Im Grunde genommen ist nämlich kein Mensch besser oder schlechter als ein anderer. Laut Jacob gibt es auch nicht so etwas wie böse Menschen auf der Welt, sondern nur die, die unsere Hilfe brauchen und ganz bestimmt nicht zu liebevolleren Menschen werden, wenn wir sie stigmatisieren, hassen und aus der Gesellschaft ausschließen. Mit seinem Magnus Opus American Pictures ist er immer noch auf der ganzen Welt unterwegs und bringt Studenten und allen, die es hören wollen, seine Mission nahe. Er ist dabei so konsequent offen und ansprechbar, dass er seine Handynummer öffentlich macht. Deshalb wird er täglich von Jugendlichen auf der ganzen Welt mit Anrufen und SMS bombardiert, die alle mehr oder weniger die Frage erörtern, wie er es verantworten kann Nazis, Ku-Klux-Klan-Mitglieder und Massenmördern die gleiche Liebe entgegen zu bringen, wie aufgrund von ihrer Rasse oder ethnischen Herkunft unterdrückten Minderheiten in den USA, Europa und der Dritten Welt. Da Jacobs Slideshow letzten Sonntag so etwas wie die Eröffnungsrede der Ausstellung The Eye Is A Lonely Hunter darstellte, ergriff ich die Gelegenheit mir seinen vier-ein-halb Stunden Slideshow- und Vortragsmarathon in dem er mit seinen eigenen Worten den bisherigen Verlauf seines Lebens erzählt, anzuhören und ihm danach bei einer Pizza etwas auf den Zahn zu fühlen. Ich wollte vor allem wissen, wie er zur aktuellen Diskussion um das möglich NPD-Verbot in Deutschland steht.
Eine Version von Jacobs Slideshow könnt ihr euch übrigens bis zum 1. April im Grimmuseum—in einem Kellerraum, den er während seines Vortrags immer wieder als „Dungeon“ bezeichnete—anschauen. Außerdem gibt es dort eine Menge Arbeiten von weiteren großartigen Fotografen zu sehen, wie z.B. Pieter Hugo, Boniface Mwangi, Fouad Elkoury, Barbara Metselaar Berthold und Gohar Dashti.

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Jacob zuhause bei seinem Freund Jeff Barry. Jeff war früher„National Imperial Wizard“ des Ku-Klux-Klan und hat unter anderem durch seine Freundschaft zu Jacob dem Klan den Rücken gekehrt. Seht euch hier Jacobs Doku „Jacob and the Klan - on the road with the KKK“ an. VICE: Was denkst du eigentlich über die NSU-Morde und Anders Breivik?
Jacob Holdt: Über Deutschland weiß ich nichts, aber in Skandinavien haben wir bemerkt, dass wir etwas versäumt haben. Wenn man grundlegend darüber nachdenkt, gibt es immer Außenseiter, die sich von Minderheiten bedroht fühlen. Irgendwann werden solche Leute dann extrem und handeln.

Verstehst du, warum sie so handeln?
Wir alle tragen die Schuld daran, wenn Leute so werden und glauben andere Menschen würden ihnen ihr Land wegnehmen. Niemand da draußen will uns unser Land wegnehmen. Friedliche Leute kommen zu uns um sich zu integrieren.

Was denkst du über Leute die Minderheiten angreifen? Wie etwa die Neo-Nazis in Deutschland? Muss man vor denen Angst haben oder sind die deiner Meinung nach vernachlässigbar?
Ich denke nicht, dass wir Angst haben sollten. Wir müssen ihnen helfen. Wenn ich Nazis in Ostdeutschland sehe, wirken sie verloren auf dieser Welt. Dort wurde die Idee kultiviert, dass andere für ihre Probleme verantwortlich sind. Das gibt ihnen diese feindliche Grundeinstellung gegenüber der Welt. Wenn es ihrem Land schlecht geht, werden sie immer wieder einen Sündenbock finden.

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Und ihn büßen lassen …
Solche Leute brauchen Hilfe. Aber sie werden stigmatisiert und niedergemacht. Ich erinnere mich daran—kurz bevor die große Wiedervereinigung kam—gab es in der New York Times eine große Geschichte darüber. Der Artikel verglich, wie oft Kinder von Ihren Eltern auf dem Spielplatz geschimpft wurden. In Italien schimpfen die Eltern sehr wenig. Aber bei den Deutschen waren die Zahlen extrem hoch. Dadurch schloss der Autor, dass die Deutschen immer noch viel Schuldzuweisung üben. Die deutsche Mentalität sei deshalb nicht bereit für die Wiedervereinigung. Eine Wiedervereinigung könne sogar gefährlich sein. Ich denke, er lag falsch damit.

Jacob mit seiner alten Freundin Virginia Honore. Das Foto entstand beim ersten Besuch von Jacob nach dem Tod ihres Mannes Howard Honore. Howard hat früher im Angola Prison gearbeitet, was ihm eine Rolle in Dead Man Walking einbrachte (er führt Sean Penn zu seiner Exekution). Laut Jacob war diese Rolle ein furchtbares dèjá vu aus seinem echten Leben: „Neben seinen eigenen 12 Kindern und Enkelkindern, haben Virginia und er noch einen 16-jährigen Jungen adoptiert, der als kriminell galt. Eines Tages beging der Junge einen brutalen Mord und Howard musste seinen Adoptivsohn zur Hinrichtung führen. Er hätte natürlich ablehnen können, aber er konnte seinen eigenen Sohn nicht hängenlassen bei seinen letzten schwierigen Schritten als 'Dead Man Walking'. Der Mann war die Liebe in Person.“

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Warst du dir da damals auch so sicher?
Als ich in den 70er nach Deutschland kam, fiel mir eine wahnsinnige Aggression bei den Kindern im Land auf. Es wirkte sehr ungesund damals. Ich denke, dass die Wiedervereinigung und der Stolz, der damit einherging, auch dazu beigetragen hat, diesen Schmerz zu heilen. Ich denke, die deutsche Jugend heute ist sehr gesund in ihrer Einstellung. In vielen europäischen Ländern siehst du heute rassistische Tendenzen. Und das Land in Europa, in dem rassistische und faschistische Parteien die wenigste Macht haben, ist Deutschland. Wenn du es also unter dem Gesichtspunkt der Political Correctness betrachtest, dann gibt es z.B. in Schweden durchaus ein paar verletzte Leute, die sich sehr offen zu ihrem Rassismus bekennen. Die Nazis sind sehr stark in Schweden. Sie sind dafür nicht so stark in Dänemark, wo es eher [in der breiten Bevölkerung] akzeptiert wird, wenn öffentlich über Muslime hergezogen wird. Ich denke in Ostdeutschland sieht es ähnlich aus. Es gibt eine marginalisierte Jugend, die Wut im Bauch hat. Aber ich habe keine Angst vor Deutschland.

Auch nicht vor den Leuten, die hohe Positionen in rechten Parteien bekleiden?
So lange wie die Gesellschaft da draußen Schmerzen hat, wird es Menschen geben die das ausnutzen und auf die niedersten Instinkte abzielen. Die sind sehr klug und wissen, wie sie die Leute für sich begeistern. Ich mache nicht die Mitglieder—die Mitläufer—dafür verantwortlich, sondern die Anführer. Etwas anderes, das in Dänemark passierte, war, dass sich die konservativen Parteien mit der rassistischen Partei verbündeten und sich so deren Rassismus verbreiten konnte. Das ist das Gefährliche.

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Denkst du, diese Gefahr besteht in allen Ländern?
Ich fühle, dass es in jedem Land Leute gibt, die Verlust und Schmerzen in ihrem Leben haben und diesen Schmerz nach außen projizieren. Diese 15 Prozent der Bevölkerung wählen solche Parteien. Aber solchen Parteien sollte niemals Macht gegeben werden. Sie sollten marginalisiert werden. Ihnen sollte Liebe, aber keine Macht gegeben werden. Aber in Dänemark haben sie das falsche getan, sie haben ihnen Macht gegeben. Sie konnten dann offen über die Muslime herziehen. In Schweden gibt es eine ähnliche Partei, die Schwedischen Demokraten und sie halten sie dort einfach von der Macht fern, sie haben keinen Einfluss auf die schwedische Mentalität. Und das gleiche macht ihr in Deutschland, ihr haltet die NPD von der Macht fern.

Trutroia wurde 1996 geboren und ist eine Enkeltocher von Virginia Honore.

Aber in einigen Bundesländern wächst ihr Einfluss trotzdem. Was hältst du von der aktuellen Diskussion um ein Verbot der NPD?
Ich glaube nicht, dass sie verboten werden sollte. Leute suchen sich immer etwas, um ihre Wut raus zu lassen. Also lasst sie zur NPD gehen. Aber gebt ihnen keine Macht und verbündet euch nicht mit ihnen [auf politischer Ebene]. Ein gefährlicher Gedanke wäre, es so wie in Dänemark zu machen. Dort schloss sich die demokratische Partei mit den Rechten zusammen, um die Mehrheit zu gewinnen. Haltet die NPD marginalisiert und dann kann sie auch nicht wachsen.

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Ich teile deine Einstellung, aber ich kann mir vorstellen, dass dir eine Menge Leute vorwerfen, dass du mit Nazis sympathisierst, wenn du dich auf persönlicher und zwischenmenschlicher Ebene mit ihnen verbündest …
Mir wird immer dasselbe vorgeworfen, wenn ich mit den Nazis in Dänemark unterwegs bin. Eine Schwedin hat einen Film über Neo-Nazis in Schweden gemacht, bei dem sie sieben jungen Mitgliedern zwei Jahre lang gefolgt ist. Sie brachte ihnen Liebe und Aufmerksamkeit entgegen, aber sie forderte sie auch heraus. Am Ende der Zeit hatten fünf von den sieben Mitgliedern die Partei verlassen. Ich denke sie sind auf die Liebe aufmerksam geworden. Manche von ihnen haben eine Freundin gefunden und verließen die Gruppe. Was man daraus lernt ist: Mische dich ein.

Jacobs Freundin Virginia Pate hat ihn während seiner Vagabundenzeit in der American Pictures entstand bei sich aufgenommen. Weil sie damals Angst hatte, mit einem weißen Mann das Haus zu teilen, schlief sie selbst woanders. Hast du das Gefühl, dass du damit andere auch in Gefahr bringen kannst? Der Klan-Leader, der sich durch deinen Einfluss von seinem Rassismus abgewendet hat, wurde von seinem eigenen Sohn zum Krüppel geschlagen. Fühlst du dich dafür verantwortlich, auch wenn es seine eigene Entscheidung war, sich zu verändern?
Es ist gefährlich, wenn wir anfangen uns rauszureden und zu sagen, “Sieh was passieren kann. Du kannst den Leuten, denen du helfen willst wehtun, wenn du dich einmischst”. Solche Ausreden kommen immer und sie werden dann damit begründet, den Leuten doch nur helfen zu wollen …

Aber eigentlich sind es trotzdem nur faule Ausreden, um sich aus der unangenehmen Konfrontation herauszuhalten. Eine letzte Frage, möchtest du eigentlich ein Buch über all das schreiben, was nach American Pictures passierte?
Ich arbeite derzeit an einem Buch, an so etwas wie meinen Memoiren. Aber ich habe nie Zeit zum Schreiben. Ich war gerade auf drei Wochen Spanienurlaub und hatte mich in die Isolation zurückgezogen. Daheim habe ich Probleme mich abzuschotten. Dort werde ich ständig von dänischen Schulkindern mit Fragen über den Ku-Klux-Klan bombardiert.

Dieser Bart hat Jacob in seinem Leben schon die unmöglichsten Türen und Herzen geöffnet.

Die Bilder entstanden alle im Februar 2007, als Christina Voigt Jacob Holdt auf einer seiner vielen Vortragsreisen durch die USA begleitete. Mehr von Christinas Arbeiten findet ihr auf www.christinavoigt.com