Eisbären, Schattenmänner und Blackfacing: Wenn gruselige Fotos eine Geschichte erzählen

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Eisbären, Schattenmänner und Blackfacing: Wenn gruselige Fotos eine Geschichte erzählen

„Total unfassbar, Nazis posieren freundlich mit einem Bären. Was ist da los?"

Vielleicht hast du sie schon mal irgendwo in den sozialen Netzwerken rumgeistern sehen, diese komisch anmutenden Vintage-Fotos von Deutschen, die mit unechten Eisbären posieren. Diese Bilder sind absurd, mysteriös sowie ein wenig nervenaufreibend—und bilden nur einen kleinen Teil von Jean-Marie Donats 10.000 Foto großer Sammlung. Donat ist ein Art Director, der jetzt schon seit 30 Jahren seltsam anmutende Vintage-Bilder sammelt.

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Donat gab dieser Sammlung den Namen TeddyBär und ermöglicht uns damit einen bizarren Einblick in die Geschichte Deutschlands. Zwar kommen die Bären alleine schon ziemlich skurril daher, aber wenn man 200 Fotos nebeneinander legt, dann sind es plötzlich die daneben stehenden Menschen, die einem eher ins Auge springen—wie etwa zwei grinsende Nazis oder ein engelhaftes blondes Kind mit Hakenkreuz auf der Weste. Die immer gleich bleibenden Bären werden zu einer Konstante und die Schar an eigentümlichen Personen aus den 20er bis hin zu den 70er Jahren wechselt sich neben ihnen ab.

Donats Sammlung Blackface hingegen zeigt ein düsteres Kapitel der US-amerikanischen Kultur. Entstanden zwischen 1880 und 1970 zeigen die Fotos dieser Serie mehrere weiße Männer und Frauen, die sich das Gesicht schwarz angemalt haben. Einige von ihnen machen Werbung für herumreisende Minstrel-Shows, andere haben die Farbe zu unbekannten Zwecken eingesetzt. Im Allgemeine verursachen diese Fotos jedoch immer ein ziemlich unangenehmes Gefühl.

Neben diesen beiden Sammlungen stellt Donat beim Arles-Fotografiefestival noch eine dritte Serie namens Predator aus. Bei der besteht die Verbindung der Bilder darin, dass der Schatten des Fotografen zu sehen ist—und besagter Fotograf trägt immer einen Hut. Zusammen mit den Titel der Sammlung ist das Ganze gewitzt und unheimlich zugleich, denn so hat es den Anschein, als würden die abgelichteten Personen ständig vom Schatten eines FBI-Agenten verfolgt und beobachtet werden. Vielleicht handelt es sich dabei auch wirklich immer um die gleiche Person.

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Ich habe mich mit Donat über seine Sammlungen unterhalten und dabei den Eindruck bekommen, dass es sich hier um einen Mann handelt, der nicht einfach nur historische Eigentümlichkeiten anhäufen will, sondern uns eine neue Perspektive der Vergangenheit aufzeigen will.

VICE: Hi Jean-Marie. Erzähl uns doch zuerst einmal ein bisschen was über TeddyBär.
Jean-Marie: Vor 30 Jahren kam ich zum ersten Foto dieser Sammlung—und zwar im Tausch mit einem deutschen Sammler. So hat das Ganze angefangen. Ich arbeite in einem französischen Verlagshaus als Art Director und habe deshalb schon immer viele Bilder gesammelt, also nicht nur Fotos, sondern auch Zeitungen, Malereien und Zeichnungen. Mit dem Fund des zweiten Fotos ist es mit TeddyBär dann erst so richtig losgegangen. Das erste befand sich schon seit einem, zwei oder zehn Jahren bei mir zu Hause, aber als ich dann das zweite Bild in den Händen hielt, erinnerte ich mich wieder.

Was genau hat dich am ersten Foto so fasziniert? Warum hast du es dir ertauscht?
Das war der Surrealismus: Ein Geschäftsmann kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit einem riesigen Bären. Ich wusste nicht, welche Geschichte hinter dem Eisbären steckt, das war einfach total surreal—genau die Art Bild, die ich mag.

Am Anfang war mir auch noch nicht klar, dass es sich um ein deutsches Bild handelt. Das wurde mir erst beim zweiten Foto bewusst, welches man übrigens auch in der Ausstellung bewundern kann. Es handelt sich um das Bild des Bären mit den deutschen Soldaten. Total unfassbar, Nazis posieren freundlich mit einem Teddybären. Was ist da los?

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Motherboard: So wurden Fotos um die Welt geschickt, als es das Internet noch nicht gab

Schließlich erklärte mir ein Freund aus Deutschland die Geschichte hinter den Bildern. Anfang der 20er Jahre kamen zwei Eisbären in den Berliner Zoo. Natürlich gab es da einen riesigen Besucheransturm und alle Kinder wollten vor den Eingangstoren ein Bild mit den Typen im Bärenkostüm machen. Das war in Berlin total angesagt. In Deutschland gab es dann im Laufe der darauffolgenden 60 Jahre viele dieser Bärenmaskottchen. In meiner Sammlung sind 30 unterschiedliche Vertreter zu finden.

Wie steht TeddyBär mit deinen anderen Sammlungen Blackface und Predator in Verbindung? Gibt es da ein übergreifendes Motiv?
Ich bin jetzt kein Sammler im klassischen Sinn. Für mich ist es wichtig, ein Stück Geschichte aufzuzeigen und vorzuführen, was man durch das Betrachten gleicher Bilder über die Geschichte lernen kann. Wenn man sich zum Beispiel nur ein Blackfacing-Foto anschaut, dann denkt man sich: „Alles klar, der Typ hat sich das Gesicht schwarz angemalt, er arbeitet sicher im Show-Business." Nach 300 oder 500 Fotos ergibt sich jedoch ein roter Faden.

Bei Blackface sieht man richtige Geschichte, nämlich Rassismus und Segregation in den USA. Die Fotos sind Abbildungen der alten Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen.

Und was willst du uns mit Predator zeigen?
Da ist das Ganze etwas anders. Da geht es vor allem um meine eigene Interpretation, also handelt es sich quasi um eine Art Eingreifen des Künstlers. Es gibt tatsächlich viele Leute, die Fotos sammeln, auf denen ein Schatten zu sehen ist.

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Wirklich?
Ja, mir geht es aber in erster Linie um den Hut, denn der suggeriert, dass es sich in jedem Foto um denselben Typen handelt. Nach fünf oder sechs Bildern verschwindet die Vorstellung eines Fotografen. Predator, also der Titel der Serie, ist eine Anspielung auf einen spannungsgeladenen Film.

Film Noir?
Genau. Bei dieser Serie erfinde ich die Gesichte quasi selbst. Das ist bei TeddyBär und Blackface nicht der Fall.

Freust du dich schon darauf, deine Fotos beim Arles-Fotografiefestival auszustellen?
Hier mache ich meine Sammlungen zum ersten Mal für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Leute werden diese Geschichten zum ersten Mal zu Gesicht bekommen. Es ist allerdings auch das erste Mal, dass ich selbst meine Sammlungen als eine ganze Serie sehe. Bei mir zu Hause sind die Fotos ja in einer Box verstaut und ich schaue mir immer nur eins nach dem anderen an. Wenn ich sie alle auf einmal sehe, dann glaube ich, dass sie wie eine komplette Geschichte wirken. Und das ist wichtig. Irgendwie hat das dann auch was von Journalismus. Ich habe mich vor Kurzem mit einem Amerikaner unterhalten, der meinte, dass viele US-Bürger inzwischen ihre Familien-Fotoalben wegschmeißen würden. Die ganzen Bilder landen im Müll. Blackfacing, Abbildungen des Ku-Klux-Klans … Diese ganzen Aspekte der US-amerikanischen Geschichte sind dann einfach weg.

Vielen Dank für das Gespräch.