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Popkultur

Jemand wirft eine Handgranate auf ein deutsches Flüchtlingsheim – und besorgte Bürger wittern eine Verschwörung

Ist der Vorfall in Baden-Württemberg die nächste große „Medienlüge" nach dem angeblich verstorbenen LaGeSo-Flüchtling? Nein.

Symbolfoto | Foto: imago | CTK Photo

Dass das Vertrauen in die Medien momentan nicht das Beste ist, zeigen nicht nur Studien—es zeigt sich auch immer wieder in den Reaktionen auf Nachrichtenmeldungen. Nach den Vorfällen in Köln musste sich die Presse vorwerfen lassen, Informationen bewusst zurückgehalten zu haben, während man Taten aus der rechtsextremen Szene immer sofort vermelde. Der erfundene Fall eines Flüchtlings, der beim Warten vor dem LaGeSo erfroren sein soll, war da nur ein weiterer Beweis für die Lügenpresse-Skandierer, dass es sich bei den „Mainstreammedien" um staatlich gesteuerte Propagandainstrumente handelt, die dazu angehalten sind, den asylpolitischen Kurs der Regierung zu stützen. Da half es natürlich auch nicht wirklich, dass der letztendlich erfundene Vorfall von vielen großen Medien—auch von uns—trotz nicht verifizierter Faktenlage vermeldet wurde.

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Jetzt, einen Tag nach dem Bekanntwerden der makabren Zeitungsente, gibt es die nächste Schreckensnachricht. In Baden-Württemberg soll eine Handgranate auf ein Flüchtlingsheim geworfen worden sein. Keiner der 170 Bewohner wurde verletzt, da die Granate trotz gezogenem Stift nicht explodierte. Die Sprengwaffe wurde von Sicherheitskräften in der Nähe eines Aufenthaltscontainers gefunden, gegen 5 Uhr morgens konnte die Granate durch Experten des Landeskriminalamts kontrolliert detoniert werden.

Wer hinter der Tat steckt, ist bisher noch unklar, die Umgebung soll aktuell auf Hinweise abgesucht werden, eine Sonderkommission ermittelt. „Zur Gruppe ‚Refugees Welcome' gehörte der Täter sicher nicht", erklärte Polizeisprecher Thomas Kalmbach zwar gegenüber Spiegel Online, ob es sich dabei um jemanden aus rechtsextremistischen Kreisen handle, wisse man aber eben noch nicht.

Es gibt mehrere Fragen, die man sich zu dem Vorfall in Villingen-Schwenningen stellen kann. Zum Beispiel die, wer so einfach an militärische Waffen kommt, oder ob die Granate unter Umständen doch noch ein Überbleibsel von der früheren Nutzung des Geländes als Kaserne stammt. Oder, woher man so genau wissen will, wann (anscheinend zwischen 1.15 Uhr und 1.30 nachts) die Granate auf dem Gelände „landete", wenn sie anschließend doch „entdeckt" wurde—was nicht so klingt, als hätte das Personal vor Ort die Tat als solche direkt beobachten können. Wenn man ganz besonders misstrauisch ist, mag man sich auch fragen, wie wahrscheinlich es ist, dass eine scharfe Granate einfach nicht explodiert. Diese Fragen zu stellen, ist legitim. Fragen zu stellen, muss immer legitim sein.

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Screenshot: Facebook

Mit welcher Heftigkeit sich in den sozialen Medien allerdings auch nur der Möglichkeit widersetzt wird, dass es sich dabei um einen realen Anschlag auf ein Flüchtlingsheim handelt (es wäre ja nun auch nicht der Erste), ist doch zumindest besorgniserregend.

„Jetzt wird es echt lächerlich. Die Story mit dem toten Flüchtling flog auf, da inszenieren wir mal schnell etwas.", „Dieses linke Gesocks kann es einfach nicht lassen, täuschen Todesfälle vor, begehen Anschläge nur um ihre perfide Ideologie zu vertreten." und „Dürfen gespannt sein was die sich noch alles einfallen lassen…nach der Lageso Phantomleiche nun ein fingierter ‚Bombenanschlag'!"—während sich selbst viele „Asylkritiker" geschockt von der Heftigkeit des versuchten Anschlag zeigen, scheint sich das Gros der Focus Online-Kommentatoren in einer großangelegten Medienverschwörung gefangen zu sehen.

Screenshot: Facebook

Der Unterschied zu der Geschichte mit dem erfrorenen Flüchtling, der dabei gerne geflissentlich übergangen wird: Diese Geschichte stützt sich nicht primär auf den persönlichen Bericht eines Einzelnen, sie wurde von der Polizei bestätigt.

Interessant auch die Kommentare, in denen nicht die Medien/der Staat/Linksextreme als vermeintliche Täter benannt werden, sondern die Flüchtlinge selbst. „Kann es auch sein das der Versuch eines Selbstmordattentat scheiterte?", fragt jemand unter dem Post der Hamburger Morgenpost beispielsweise, und auch an anderer Stelle kann man sich durchaus vorstellen, dass die Asylbewerber die Granate einfach aus Kriegsgebieten „eingeschmuggelt" hätten, oder sie einem der aktuellen Heimbewohner „aus der Tasche gefallen" ist.

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Screenshot: Facebook

Dass ihnen überhaupt dieser argumentatorische Raum bleibt, um eine solche Meldung direkt als Komplott gegen rechts abzutun, hat sicherlich auch damit zu tun, dass die Meldung über den vermeintlich verstorbenen Flüchtling so schnell und unkritisch verbreitet wurde. So ein Fehler spielt vor allem den Leuten in die Hände, die sich sowieso nur noch über verschwörungstheoretisch angehauchte Nachrichtenseiten, YouTube-Videos, rechtspopulistische Blogs und besorgte Facebook-Kommentare über den aktuellen politischen Stand informieren.

Screenshot: Facebook

Es bleibt abzuwarten, was sich im weiteren Verlauf der Ermittlungen ergibt. Zum jetzigen Zeitpunkt kann über Täter, Motiv und Herkunft der Granate nur spekuliert werden. Ein trauriges Fazit lässt sich aber schon jetzt ziehen: Scheinbar ist es für viele da draußen nicht verständlich, dass keine Art von Gewalt oder Selbstjustiz in Ordnung ist—weder von rechts, noch von links, noch von irgendwo anders. Wenn man sich noch nicht einmal darauf bevölkerungsübergreifend einigen kann, ist es eigentlich kein Wunder, dass sich der Ton in der Asyldebatte zunehmend verschärft. Auf allen Seiten.

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