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DIE ÜBERLEBENS-KÜNSTLER-AUSGABE

$JOB_SATISFACTION = 0 für Trans-Programmiererinnen

Lene Preuß wurde als Mann geboren und wird, seitdem sie offen als Frau lebt, innerhalb der IT-Welt ausgegrenzt.

Foto von Grey Hutton

Ihre Mutter reagierte warnend: „Du weißt schon, dass du es als Frau viel schwerer haben wirst?“ Das wusste Lene Preuß damals nicht. 2009 begann die Hormontherapie, 2012 erhielt sie die gerichtliche Anerkennung ihres Namens und des neuen Geschlechts. Lieber die eigene Genderidentität leben, als sich gesellschaftlichen Erwartungen anpassen, lieber für die Welt von morgen programmieren, als ‚nur‘ Physik betreiben, lieber freiberuflich arbeiten als in Firmenstrukturen—das gesamte Lebensprogramm von Lene Preuß steht unter dem Stern der Freiheit. Als Programmiererin schreibt sie vor allem Webapplikationen und Visualisierungssoftware. Gelegentlich jongliert sie auch mit Worten für Non-Nerds auf Englisch: Sie entwickelt eine Pulp-Science-Fiction-Serie im Stil von Perry Rhodan, von und für Frauen, Queers und People of Color.

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Ich wollte wissen, wie eine Frau, die einmal ein Mann war, die IT-Welt erlebt. Als Erstes erfuhr ich, dass ich das so bitte nicht sagen soll: Lene war ja schon immer eine Frau. In ihrer eigenen Wahrnehmung.

VICE: Lene, du bist Programmiererin und ein Transgender-Mensch. Reagieren deine Kollegen in der IT-Welt heute anders auf dich als Frau?
Lene Preuß: In den technischen Foren habe ich als männlich identifizierter Mensch sehr gut arbeiten können: Man stellt eine detaillierte Frage und kriegt eine klare, sachliche Antwort. Der Ton war manchmal ein bisschen rau. Jetzt als Frau höre ich zwar fast nie einen rauen Ton—aber auch fast nie eine fachlich adäquate Antwort. Es wird davon ausgegangen, dass ich gar nicht weiß, wovon ich rede—obwohl klar ist, dass ich diese Fragen nur stellen kann, weil ich das Fachwissen habe. Wer mir nicht zutraut, schwierige technische Fragen zu lösen, wird mich auch nicht einstellen. Ich hatte unter männlichem Namen sehr gute Rückmeldungen auf Bewerbungen. Seitdem ich mich offiziell als Frau bewerbe, erhalte ich gar keine Rückmeldungen mehr.

Kann das nicht auch daran liegen, dass viele Firmen keine exotischen „Transgender-Menschen“ wollen?
Ich musste mir als Mann nie Gedanken über Diskriminierung machen. Heute erlebe ich mehrere Achsen der Benachteiligung: Als Frau, als Lesbe, als Trans-Mensch. Welchen bigotten Scheiß mir welche Spießer gerade andichten, weiß ich auch nicht immer.  So etwas wird ja nicht offen annonciert—das hätte juristische Konsequenzen.

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In der deutschen Technikwelt arbeiten nur wenige Schwarze und Migranten.
Die IT-Welt ist hoch qualifiziert und weißer als der Durchschnitt der Gesellschaft. Ich habe in meiner Karriere nur einen schwarzen und sehr wenige türkische Programmierer kennengelernt.  Das ist fatal, da Programmierer im Grunde genommen die Infrastruktur aufbauen, durch die wir heute kommunizieren. Wenn die Firmen, die diese Strukturen installieren, dermaßen männlich und weiß dominiert sind, dann hat das Auswirkungen, die weit über die einzelne Frau und den einzelnen Migranten hinausgehen.

Ein elitäres, männliches, weißes Grüppchen dominiert die gesamte digitalisierte Welt?
Die Journalistin Caroline Priado-Perez hat 2013 in Großbritannien über Twitter eine Kampagne gestartet, um Jane Austens Porträt auf den Zehnpfundschein zu bringen. Frechheit! Präsenz von Frauen in jedem Portemonnaie? Dafür wurde sie per Twitter mit Vergewaltigungs- und Morddrohungen überschüttet. Selbst ihre Adresse wurde veröffentlicht. Twitter hat dagegen nichts unternommen. Wenn Frauen in diesen Foren und Firmen mehr zu sagen hätten, dann würden sich solche Dinge ändern. Stattdessen werden sie oft in eine Kommunikationsrolle hineingedrängt, auch wenn sie gute Technikerinnen sind. Oder sie werden in den Support geschoben: du kannst doch gut mit Menschen! Und dann sitzt die Frau da mit den Kunden und kommt gar nicht mehr dazu, ihre eigentliche Arbeit zu machen. Das macht keinen Spaß. $job_satisfaction = 0. Es gibt keine Aufstiegsmöglichkeiten. Die Frau landet in der Reproduktion und wird zur Stimme der Männer: Sie muss anderen erklären, was die Jungs da entwickeln.

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Programmierer gelten als hochintelligent. Warum ist diese Community in sozialen Fragen so rückschrittlich?
Viele Programmierer sind eher introvertiert. In der Schule haben sie meist nicht zu den coolen Kindern gehört. Diese Ausgrenzungserfahrung führt später manchmal dazu, sich für was Besseres zu halten. Es gibt einen gewissen Intelligenzdünkel. Allerdings auch den Anspruch, manche Sachen besser zu machen als die Mehrheitsgesellschaft.

Nerds überspielen ihre Kränkungen aus der Kindheit mit Genie-Allüren?
Du fragst dich als Kind: „Was ist falsch mit mir?“ Ich glaube, dass viele von uns die Ausschlusserfahrung aus der Kindheit noch mit sich herumtragen. ITler inszenieren sich gerne mal in der Opferrolle gegenüber der Mehrheitsgesellschaft.

Soll man das ernst nehmen? Opfer werden normalerweise nicht so gut bezahlt.
Wir reden über privilegierte und gut angesehene Ex-Opfer. Wenn man so eine Gruppe auf ihre Defizite wie Sexismus und Rassismus anspricht, dann sind die Abwehrmechanismen noch viel größer als in anderen Gruppierungen.

Als Gruppe wird Programmierern eine hohe mathematische Begabung attestiert.
Ich würde Programmieren eher mit Architektur und Maschinenbau vergleichen. Wörter, Zahlen, die auf dem Bildschirm auftauchen, muss man als Bauteile imaginieren können. Früher, als Computer noch ganz neu waren, in den 50er und frühen 60er Jahren, mussten Schaltkreise gebaut und Lochkarten programmiert werden. Und damals waren Programmierer hauptsächlich Frauen.

Und keiner hatte Angst, dass sie dabei was kaputt machen?
Im Gegenteil. Dass damals vor allem Frauen diese Arbeit übernommen haben, wurde damit begründet, dass Programmieren viel Geduld erfordert, sehr viel Aufmerksamkeit und Liebe für das Detail.

Eine weibliche Hingabe an die Wiederholung?
Genau. Aber das änderte sich in den 60ern. Grace Hopper hat Ende der 50er Jahre die Programmierung revolutioniert. Sie schrieb den ersten Compiler—eine Software, mit der man Programme so schreiben konnte, wie wir es heute noch machen: Indem man Worte eingibt, und diese Worte werden übersetzt in Maschinenbefehle, also Zahlen.

Eine Frau hat die erste Programmiersprache erfunden?
Sie war Vize-Admiralin bei der US-Navy, wie schon ihr Urgroßvater. Süffisant gesagt: Nachdem Grace Hopper das Programmieren so vereinfacht hatte, war es auch Männern mit ihrer kurzen Aufmerksamkeitsspanne möglich, Programme zu schreiben.