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Whistleblower Julian Assange ist kein Weltverbesserer, sondern ein Narzisst

Nur weil Assange WikiLeaks leitet, heißt das noch lange nicht, dass er nur noble und uneigennützige Ziele verfolgt. Im Gegenteil. In dem Film 'We Steal Secrets. Die Wikileaks-Geschichte' erzählt uns der oscarprämierte Dokumentarfilmer Alex Gibney, dass...

Seit Julian Assange gezwungenermaßen nur noch zwischen seinem Lounge-Sessel und dem Balkon der ecuadorianischen Botschaft hin- und herschlendert, ist es ruhig geworden um den Kampf um freie Informationen. Zumindest bis Edward Snowden auftauchte und frischen Wind in die Sache brachte.

Aber jetzt ist Assange wieder in den Nachrichten und Transparenz hat sich ein weiteres Mal als Schlüsselproblem der Jugend etabliert. Der oscarprämierte Dokumentarfilmer Alex Gibney (Enron: The Smartest Guys in the Room, Taxi to the Dark Side) zeigt in seinem Film We Steal Secrets. Die Wikileaks-Geschichte (seit dem 11. Juli im Kino) die Reise der Organisation und schafft es dabei, klar zwischen den noblen Gründungsprinzipien und dem wahnhaften Narzissmus von Assange zu unterscheiden.

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Um mehr darüber zu erfahren, habe ich mit Alex geredet.

VICE: Hey, Alex. Wie einfach war es, Assange von WikiLeaks zu trennen?
Alex Gibney: Ich stimme zu, dass man Assange nicht wirklich von WikiLeaks trennen kann—dafür hatte er gesorgt—aber man kann sehen, was WikiLeaks erreicht hat. Man kann an die Organisation glauben, ohne an Julian Assange glauben zu müssen. Ich bin der Meinung, Julian hätte gerne, dass man denkt, er und die Prinzipien von WikiLeaks sind ein und dieselbe Sache—das denke ich aber nicht. Genau deswegen kann man auch einen Unterschied machen. Julian hat die Organisation zwar immer kontrolliert, aber die Ideale der Organisation und die Mechanismen dahinter existieren auch jenseits von ihm.

Offensichtlich ist er ein großer Fan von George Orwell, da er ihn immer großzügig zitiert. Aber es sieht so aus, als stecke er in der gleichen Situation wie bei Farm der Tiere. Er scheint zu denken, er sei „gleicher“ als andere.
Oh ja, definitiv, und ich glaube auch, dass seine Sprache Orwell immer ähnlicher wird. Er sprach einmal von einem „Schadensminimierungsprogramm“, also einem Programm, dessen Ziel es ist, Personen durch ihre Veröffentlichungen nicht zu Schaden kommen zu lassen. „Schadenminimierungsprogramm“ ist aber nicht die Art von Begriff ist, mit der man eine kleinen Organisation beschreibt, die irgendwelche Namen schwärzt. Das klingt eher nach Microsoft oder dem Pentagon. Das klingt verdächtig und ist auch noch gänzlich falsch. Er hatte nicht mal ein Schadenminimierungsprogramm. Er hatte nur ein Prädikat, das total inhaltslos war und keine Übung darin, es tatsächlich durchzusetzen.

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Alex Gibney

Denkst du, dass das, was ihm als Person passiert ist—der Fall in Schweden und sein Verhalten—, den ursprünglichen Zielen von WikiLeaks geschadet hat?
Ich denke schon, dass es das in einem gewissem Ausmaß getan hat. Wir sollten nicht sein Handeln mit den Prinzipien der Organisation verbinden. Das war der Fehler mit der Sache in Schweden. Direkt am Anfang, inmitten der Veröffentlichung der Kriegsprotokolle aus Afghanistan, hat er es versaut, weil er seine Redaktionstätigkeit nicht ernst genommen hat. Es wurde zwar niemand verletzt, und alle die sagen, dass Blut an seinen Händen klebe, reden nur Scheiße. Aber das führte dazu, dass er von der New York Times und dem Guardian an den Rand gedrängt und ausgesondert wurde. Stell dir nur vor, es wäre tatsächlich etwas passiert. Julian hätte gesagt: „Das hätten sie doch sowieso getan“, aber da spricht Julian, der Märtyrer—die Person, die sagt, dass Fehler keine Rolle spielen. Aber das tun sie, ganz besonders dann, wenn du sie nicht zugeben willst …

Sicher.
Es geht gar nicht so sehr darum, was mit WikiLeaks passiert ist—das ist nicht das Wichtige—, sondern darum, wie wir in Zukunft mit dieser Idee umgehen. Jetzt haben wir Snowden und alle möglichen anderen Sachen, die fernab von WikiLeaks passieren. Wir brauchen WikiLeaks nicht, um das mit der Transparenz hinzubekommen.

Im Film zeigst du, dass Assange schon immer dachte, dass er beobachtet wird. Denkst du, dass er die beiden schwedischen Frauen—deren Leben, wie du im Film zeigst, zerstört wurde—genutzt hat, um seine Rolle als Märtyrer hochzuspielen?
Ja. Wie Robert Manne schon im Film sagt, lebt Julian in seiner eigenen Welt. Es gibt da auch diesen einen, wundervollen Moment, in dem Mark Davis erzählt, dass Julian nicht Unrecht hatte mit dem Verdacht, beobachtet zu werden. Allerdings fing er schon etliche Jahre früher damit an, seine SIM-Karten auszutauschen, obwohl er das nicht musste, weil sich niemand einen Scheißdreck um ihn scherte. Ein Teil von ihm wollte immer das Spion-Spiel spielen. Und wie im Fall vom Computerwurm WANK oder der Sache in Schweden übernimmt er niemals die Verantwortung oder bestreitet etwas. So kann man letztendlich nur raten. Das verstärkt das große Mysterium nur. Hier haben wir also die Inkarnation der Transparenz, umhüllt von Geheimnissen und Doppeldeutigkeiten. Dieses Verhalten gab es von Anfang an, aber als die Berühmtheit zunahm, verschob sich auch seine Wahrnehmung, seine Paranoia geriet aus dem Gleichgewicht und er fing an, seine Erfindungen selbst zu glauben.

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Richtig.
Daniel Domscheit-Berg spricht darüber, wie langweilig es wurde, dass Julian überall nur noch Spione gesehen hat. WIRED hat vor Kurzem enthüllt, dass das FBI einen bezahlten Informanten bei WikiLeaks eingeschleust hat—allerdings erst nach 2011, nachdem schon alles vorbei war. Wie Hunter Thompson mal gesagt hat: „Nur weil ich paranoid bin, heißt das nicht, dass ich keine Feinde habe.“

Du hast den Ausdruck „Blut an ihren Händen“ benutzt. Dabei handelt es sich um einen Satz, der oft von den Gegnern von Assange und WikiLeaks verwendet wird. Glaubst du, es gibt die Wahrnehmung, dass ihr eingebildetes Blutvergießen irgendwie schlimmer ist als das tatsächliche Blutvergießen des militärisch-industriellen Komplexes der USA? Und ist es nicht auch das, was gerade mit Snowden geschieht?
Natürlich, das ist die gleiche Geschichte. Das ist das, was sie immer machen; das, was Bush und Cheney mit Waterboarding gemacht haben. Dahinter steht die Idee, dass Waterboarding Leben rettet und das Entlarven von Waterboarding Leben kosten wird. So wird das immer gemacht. „Die Terroristen wissen jetzt, wie wir unsere Verhöre führen. Die Terroristen werden wissen, dass die NSA sie ausspioniert." Wenn du ein anständiger Terrorist mit einem IQ von über 10 bist, musst du einfach annehmen, dass die Vereinigten Staaten dich die ganze Zeit ausspionieren. Warum solltest du nicht davon ausgehen? Letztendlich hatte bin Laden einen Kurier, der zu ihm kam. Er hat nicht einmal elektronische Kommunikationsmittel genutzt.

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Wie sollte man sich überhaupt aufs Waterboarden vorbereiten können?
Das kann man nicht! Das ist total idiotisch. Die Idee, dass Julian Assange Blut an den Händen hat, während die USA Kriege in Afghanistan und dem Irak führt, ist Schwachsinn. Wo ist das Blut? In solchen Momenten—und ich glaube, dort muss Snowden vorsichtig sein—ist es wichtig, wie eine Geschichte erzählt wird, weil Leute so am meisten beeinflusst werden. Wenn sie glauben, dass du dich auf der falschen Seite einer moralischen Schlüsselfrage befindest, werden sie sich gegen dich wenden.

Und die Enthüllungen über Assanges Privatleben wurden clever genutzt.
Natürlich. Deswegen sagen seine Leute auch, mein Film sei verleumderisch. Sie haben den Film als „Anti-WikiLeaks“ bezeichnet, weil ich Julian Assange kritisiere. Auf eine andere Art und Weise finde ich das sehr erschreckend: Sobald du ihn kritisierst, bist du automatisch gegen WikiLeaks. Er hat versucht, so zu tun, als ob er sich in mein Büro eingehackt und eine frühe Kopie des Films bekommen hätte, die er dann mit „Korrekturen“ versehen hat. Allerdings fehlt in diesem Transkript ein gutes Viertel des Films. Warum? Weil es gar kein Hack war, sondern eine Tonaufnahme von einem Screening beim Sundance Film Festival, bei dem alle Worte von Bradley Manning geschrieben und nicht gesprochen waren. Sie fehlen also in dem Transkript. Ein erschreckender Aspekt, wenn man bedenkt, dass Manning unterbewusst gar nicht mehr in der Geschichte auftaucht.

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Und ich schätze, die wahre Geschichte dabei—und der dringlichste Sachverhalt—ist Bradley Manning und wie er behandelt wurde.
Ja, absolut. Assange hält sich selbst eingeschlossen; Bradley Manning wurde in einen Käfig in Kuwait gesperrt. Bradley Manning ist der Held des Films, nicht Julian Assange. Er hat sich für schuldig erklärt, seinen Militäreid gebrochen und geheime Dokumente veröffentlicht. Aber er wehrt sich gegen die Anschuldigungen, ein Spion zu sein und meiner Ansicht nach ist er das auch nicht. Am Ende des Tages ist er mutiger und idealistischer als Assange.

Assange hat mal gesagt, dass ein Afghane, der mit den USA zusammenarbeitet, den Tod verdient habe. Denkst du, es gibt da eine gewisse Amoralität im Herzen von WikiLeaks oder Assange? Öffnet er die Büchse der Pandora?
Ich weiß es nicht. Ich denke nicht, dass es fair ist, ihn als „amoralisch“ zu bezeichnen, allerdings war er immer sehr dogmatisch. Im Film nennen wir ihn einen „Radikalen für Transparenz“. Die meisten Menschen fühlen sich nicht wohl dabei, wie transparent er die Dinge gerne hätte. Das Zitat über einen Afghanen, der den Tod verdient, wenn er mit den Amerikanern zusammenarbeitet, ist interessant. Es zeigt uns, dass es seiner Meinung nach auf längere Zeit ein größeres Gut gibt, das durch Transparenz erreicht werden kann. Eines, das den kurzzeitigen Schmerz wert ist.

Es gibt da diese Idee von Wahrheit in deinem gesamten Film. Assange setzt Transparenz mit Wahrheit gleich, aber ist das vernünftig?
Nun ja, wir müssen darüber reden, dass Transparenz und Wahrheit nicht zwangsläufig das Gleiche sind. Was bedeutet es, wenn man ein Dokument hat? Ist das Dokument echt? Hat jemand in dem Dokument gelogen? Repräsentiert das Dokument die volle Wahrheit oder nur eine teilweise Wahrheit? Die Richtlinien des „wissenschaftlichen Journalismus“—eine Bezeichnung, die Julian gerne und oft benutzt—ist nicht so sehr Wissenschaft, wie es ein Ratespiel ist. Wenn du James Bamfords Bücher gelesen hast, weißt du alles über die NSA, aber Snowdens Dokumente sind ein stichfester Beweis und deswegen noch mächtiger.

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Auch bei WikiLeaks waren die Beweise wichtig.
Der Beweis ist immer wichtig. Zu zeigen, dass die amerikanische Regierung über die Anzahl der Verluste im Irak und in Afghanistan gelogen hat—das ist ein Beweis. Oder wie bei diesem Video und diese verängstigten Menschen wie Michael Hayden [der frühere CIA-Direktor], für die es OK war, dass das gemeldet wurde. Aber sie wussten auch, dass das Video den Menschen erlauben würde, eine emotionale Reaktion auf dieses Blutbad zu haben, die viel verheerender ist.

In dieser Welt nach WikiLeaks und Snowden, was machen wir da mit diesen Informationen?
Das ist eine sehr wichtige Frage. Denn der nächste Schritt, nachdem man ein System offengelegt hat, ist die Frage, wie man es ändern kann. Oft genug ändert das Offenlegen an sich nicht das System. Manchmal schaut das System einfach zurück und lacht dir ins Gesicht. Hier kommt der ganze Sachverhalt um gute Geschichten ins Spiel, denn Menschen mögen Geschichten. Du musst den Menschen eine überzeugende Geschichte erzählen, um ihre Meinung zu ändern. Wenn sie denken: „Oh, die Regierung sorgt für mich und sie brauchen ihre Geheimnisse, um mich zu schützen“, dann ist das eine fesselnde Geschichte. Aber wenn du mitbekommst, dass man dich einfach nur ausspioniert hat und irgendjemand deinen persönlichen Pornogeschmack an das FBI oder die NSA weitergibt, siehst du die Regierung vielleicht mit anderen Augen. Die Geschichte wird dann etwas finsterer. So muss man die Geschichte erzählen, damit die Leute sagen: „Scheiß drauf.“

Die Geschichte, die du erzählst, ist recht klassisch strukturiert. Es ist die Geschichte von zwei geschädigten Personen—Manning und Assange—, die wegen ihren Fähigkeiten, mit einem Computer umzugehen, eine Menge Macht besitzen und dann ihren Niedergang erleben. Würdest du dieser Erzählweise der Dokumentation zustimmen?
Ja. Das passiert normalerweise während des Schneideprozesses. Themen und Charaktere erscheinen nach und nach, während du die Geschichte langsam aufs Wesentliche reduzierst. Am Ende macht man das, was jeder Drehbuchautor macht, nämlich sichergehen, dass die Dinge selbsterklärend und ansprechend sind. Deswegen haben wir uns entschieden, mit dem Computerwurm WANK anzufangen, was dann letzten Endes zur schwedischen Episode führt. So wie Enron ein Film über einen Raubüberfall und Taxi to the Dark Side ein Mordthriller war, ist das jetzt ein Spionagefilm.

Danke, Alex.