Klavierspielende Pornodarsteller, Dildos in Vasengröße und sich paarende homosexuelle Großstädter
Von links nach rechts: Dirk Caber, der Autor, Jesse Jackman

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Sex

Klavierspielende Pornodarsteller, Dildos in Vasengröße und sich paarende homosexuelle Großstädter

Der HustlaBall in Berlin zeichnet die besten Pornodarsteller aus, quasi die schwule Venus.

Es muss etwas mit dem Namen zu tun haben. Ronnys haben anscheinend eine starke Bindung zur schwulen Erotikbranche. Nicht nur, dass ich am Freitagabend von VICE zum HustlaBall geschickt werde, um mir Porno-Clips, Sexshows und Darkroomgeficke anzuschauen—„melde dich beim Pressebeauftragten Ronny am Einlass", wird mir mit auf den Weg gegeben. Und irgendwo hier springt auch noch Ronny von den Prollboys rum. Ideale Voraussetzungen also für mich. Und gleich vorweg: Fast alle Links in diesem Artikel sind nicht für christliche Arbeitsumgebungen geeignet.

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Es ist zum 13. Mal HustlaBall in Berlin, ein riesiges Fetisch-Event, auf dem sich nicht nur Sexworker, Pornodarsteller und Filmemacher rumtreiben, sondern auch an die 5.000 zahlenden Gäste. Die Garderobe hat gut zu tun, denn die wenigsten behalten ihre Klamotten komplett an. Viele Männer pressen sich in Lederharnische und Jockstraps, auch Gummi und Lycra sind beliebt—Hauptsache arschfrei. Es hat etwas von einem großen Schlachtfest, als ich mich für einen Moment setze und neben meinem Gesicht Hunderte Schinken vorbei spazieren: große, kleine, Bubblebutts, flache, picklige, haarige, sehr haarige, tätowierte, glänzend ölige, … Für jeden Geschmack ist etwas dabei.

Wie in einer Discovery-Chanel-Dokumentation kann man das Paarungsverhalten homosexueller Großstädter beobachten: zuerst lasziver Blickkontakt, dann langsames Anpirschen, ein beherzter Griff an die Backe und schließlich ein herzhaftes Durchfurchen der Spalte. Es liegt Liebe in der Luft an diesem Abend—und neben Liebe auch ein latenter Duft von Poppers, Männerschweiß und Kunstleder.

Die Awardshow mit Fostter Riviera (unten)

Noch ist der Großteil des KitKatClubs recht leer, denn im Moment werden die 7. HustlaBall Awards verliehen. Dazu drängen sich hunderte halbnackte Männer vor einer Bühne, auf der die Porno-Regisseurin mr. Pam und ihr Co-Moderator und Porno-Darsteller Fostter Riviera eine abenteuerlich zusammengeschusterte Award-Show präsentieren. Kleiner Spoiler: Ich werde später noch Fostters Rivieras 21 cm-Schwanz in der Hand halten. Und das war noch das Harmloseste, was an diesem Abend passierte.

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Glückliche Gewinner

Die HustlaBall Awards haben alles, was man von einer Film-Preisverleihung erwartet: Es gibt einen roten Teppich, auch wenn der wirklich viele Brandflecken hat. Neben den Kategorien „Bester Film" und „Bester Regisseur" gibt es auch „Bester Bottom" und „Beste Fetisch-Szene". Und wie bei den großen Awards gibt es Gekreische, Videobotschaften, Nip Slips und halbseidene Dankesreden.

Stolze Cocky Moms

Gleich mehrfach räumen die CockyBoys ab, ein US-Studio, das Pornos mit voll niedlichen Typen macht, die auch halbwegs schauspielern können. Bei jedem gewonnenen Award waren es vor allem Frauenstimmen, die gejubelt haben—und nein, ich meine keine schrillen Schwuchteln, sondern die Damen von den CockyMoms. Frauen, die Schwulenpornos gucken?

„Die Filme von den CockyBoys sind einfach intensiv, das ist Romantik, das bringt was rüber, nicht nur rein und raus", sagt mir Kashi, eine der Gründerinnen der Fanbewegung. Von der Cosmopolitan wurden die CockyBoys sogar unter die 13 besten Pornos für Frauen gewählt. „Weißt Du", meint Kiki, „bei Heteropornos hast du maximal einen attraktiven Mann. Bei Schwulenpornos sind das schon mal mindestens zwei."

Von links nach rechts: mr. Pam, der Autor, Fostter Riviera

Die Preisverleihung plätschert so vor sich hin, auf der der Leinwand hinter der Bühne werden Clips aus den nominierten Filmen gezeigt. Die Moderatorin mr. Pam steht breit grinsend vor sperrangelweit geöffneten Arschlöchern, in die Dildos eingeführt werden, die größer sind als manche Blumenvase. „Es ist so geil, die HustlaBall Awards zu hosten", schreit sie mir durch den Technobeat der Party danach zu, das Gesicht zum Dauerlächeln verzogen. „Ich bin extra aus San Francisco hergeflogen und zwei meiner Jungs haben sogar Awards gewonnen."

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mr. Pam ist Regisseurin für das US-Studio Naked Sword und bezeichnet sich selbst als Gay Porn Mom. Sie kennt die Szene. Jeder, der einen Preis gewinnt und zu ihr auf die Bühne kommt, wird mit einem herzlichen Kreischen empfangen und danach mit einem Riesendildo ausgepeitscht. Und natürlich ist Ausziehen obligatorisch. Ihr Co-Moderator Fostter Riviera hilft dabei gerne und streift den Preisträgern wahlweise das Oberteil hoch oder zieht ihnen die Hose runter.

Fostter Riviera selbst ist Darsteller und arbeitet für rund 16 Studios. „Ich liebe es einfach, rumzuficken. Du solltest es auch mal probieren", lächelt er mich verschmitzt an. Während wir uns über Pornostudios und Geschlechtskrankheiten unterhalten, nimmt er meine Hand und führt sie in seine Hose. Vielleicht ist das für ihn wie für andere Leute, die beim Telefonieren früher gerne das Kabel in der Hand hielten und um den Finger wanden? Nur dass ich gerade das Kabel halte, das von einem riesigen metallenen Cockring umrahmt wird. „Du bist aber nicht hetero, oder?", vergewissert er sich mit einem Grinsen. Nein, keine Panik, alles gut. Als er seinen Penis aus meinem Würgegriff entlässt, rieche ich noch kurz an meiner Hand—der aseptische Geruch von Seife steigt mir in die Nase.

Wenn man auch nur einen kleinen Teil seiner schwulen Existenz mit Pornokonsum verbracht hat, dann ist der HustlaBall wie ein Süßigkeitenladen, denn überall läuft homosexueller Eye Candy herum. Einige Pornostars kenne ich seit meinen frühen Teenager-Jahren, dementsprechend abgehalftert oder zugebotoxt sehen sie heutzutage aus. Und manche sind auch ganz schön neben der Spur. Als ich den absoluten Megastar Brent Everett interviewe, muss ich danach feststellen, dass nur Gestammel auf dem Band ist. Mehr als ein „Es ist so eine Ehre, hier zu sein" schafft es nicht in den Olymp der zusammenhängenden Sätze.

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Aber auch das komplette Gegenteil ist möglich: Jesse Jackman ist das personifizierte Anti-Stereotyp eines Pornodarstellers. Als ich ihn und seinen Ehemann Dirk Caber treffe, habe ich auf einmal eine intellektuelle Diskussion über HIV-Prävention und sexuelle Ethik inmitten Dutzender feiernder Männer, die sich besoffen und auf Ecstasy die Zungen in den Mund stecken. „Ich habe einen Abschluss in Japanisch und einen in Informatik", zählt Jesse auf. Außerdem mag er klassische Musik (er spielt auch selbst Klavier) und bloggt für die Huffington Post über Politik, Kunst, Persönliches. Wie hält Jesse es mit der Gretchenfrage: Top oder Bottom? „Ich bin beides. In der Pornoindustrie mache ich aber mehr Bottom-Szenen, denn ich glaube, es gibt eine riesige Nachfrage für große, muskulöse Kerle, die hinhalten."

Tatsächlich ist Jesse im Vergleich zu anderen Darstellern ziemlich groß. Bisher habe ich noch keinen Profi hier gesehen, der über 1,70 m und damit bis an meine Schulter kam. Und mit seinen 42 Jahren liegt er auch über dem Altersdurchschnitt in der Industrie. An Rente denkt er aber noch nicht: „Ich mache das so lange, wie es mir Spaß macht. Und da ist noch kein Ende in Sicht."

Auf den Liegewiesen und am Pool des KitKat Club fangen die ersten Leute an rumzuficken. Die Award Show ist vorbei und die restlichen Räume füllen sich mit Publikum. Ich frage Andy, einen Mittfünfziger aus Aachen, warum er hier ist: „Na vor allem wegen der Shows, da ist man sonst nie so nah dran. Ich bin Fan und habe meine Lieblingsdarsteller und die sehe ich halt gerne auch mal live." Viele alte Männer in Hemd und auffällig ausgebeulter Bundfaltenhose stehen sehr nah am Geschehen.

Neben Go-Go-Boys an Stangen gibt es auch richtige Sexshows, in denen Kerle sich abwechselnd mit Penissen, Dildos oder Fäusten penetrieren. Wie man sich das vorstellen kann? Die Webseite Queer Me Now hat da einen schönen Überblick zusammengestellt. Ist aber nichts für zarte Seelen. OK? Sagt aber nachher nicht, ich hätte euch nicht gewarnt. Überall sind Handykameras, die so nah dran filmen, dass Schweiß auf die Linsen spritzt. Bei einer besonders gelungenen Performance gibt es Gejohle und Applaus. Es ist ein bisschen wie beim Pferderennen, jeder hat einen Favoriten-Hengst und feuert ihn an.

Nüchtern würde ich das alles nicht ertragen, aber mit einer Flasche Prosecco intus hat es eine gewisse Komik. „Ein bisschen wie auf der Venus", meint meine Fotografin, die tagsüber schon auf der Erotikmesse gearbeitet hat. Der Hang zum Kitsch bei solchen Events scheint Heteros wie Homos gleichermaßen gegeben zu sein. Als wir am frühen Morgen den Club verlassen, stehen noch Hunderte Menschen im Regen Schlange für den Einlass. Im fahlen Licht der Straßenlaterne verabschiede ich mich vom HustlaBall 2015 und lerne beim Hinunterschauen an meiner Jeans die Lektion des Abends: Ziehe nie etwas zu einem Fetisch-Event an, das nicht auch Flecken bekommen darf.