FYI.

This story is over 5 years old.

Cop Watch

Ein koksender Drogenfahnder, BDSM und die Kemptener Mafia

Bei dem gestern angelaufenen Prozess gegen einen Allgäuer Polizisten, der 1,6 Kilo Koks gebunkert hat, fehlt eigentlich nur noch ein abgetrennter Pferdekopf im Bett.

Foto: George Nebieridze

Stockbetrunken und auf Antidepressiva wurde letztes Jahr im Februar der Chef der Drogenfahndung im Allgäu festgenommen. Er saß am Steuer seines Audi und war gerade von zu Hause geflüchtet, wo er kurz zuvor seine Frau lebensgefährlich gewürgt, zu sexuellen Handlungen gezwungen haben soll und ihr wohl auch noch drohte, sie umzubringen.

Um den Wahnsinn komplett zu machen, gestand er seinen verdutzten Kollegen noch während der Festnahme, dass er Drogen in seinem Spind in der Polizeiwache in Kempten gebunkert hätte. „Das reicht bis zur Rente", soll er gesagt haben. Mehr als eineinhalb Kilo Koks fanden die Beamten dann, als sie seinen Spind aufbrachen. Marktwert: bis zu 250.000 Euro.

Anzeige

Am Montag begann der Prozess gegen den Mann vor dem Landgericht Kempten.

Jetzt brauchte er natürlich jede Menge Chuzpe, um sein Pulver direkt vor der Nase einer Horde eifriger Drogenfahnderkollegen zu verstecken. Denen hätte ja auch mal auffallen können, dass er immer in der Toilettenkabine verschwand, statt aufs Pissoir zu gehen. Aber der Schock bei den Beamten, Angehörigen und so ziemlich jedem, der in Kempten eine Meinung hat, sitzt tiefer:

„Wer 1,6 Kilo Kokain hat, muss ganz nah an der Quelle sein", kommentierte die Mafia-Expertin Petra Reski den Fall laut Zeitungsberichten. „Und diese Quelle ist die Ndrangheta."

Aber von vorne.

Armin N.—seinen Nachnamen dürfen wir nicht nennen, weil das gegen seine Persönlichkeitsrechte verstoßen würde, wie überhaupt vieles in diesem Prozess nicht geschrieben werden darf, berechtigt oder unberechtigt—wurde jedenfalls im Jahr 2000 zum Chef-Drogenfahnder von Kempten befördert. Das heißt, er war etwa für verdeckte Ermittlungen, Razzien und Festnahmen zuständig und durfte beschlagnahmtes Rauschgift vernichten. Soll heißen: Er warf es im Beisein eines Staatsanwalts in die Müllverbrennungsanlage.

Privat lief es nicht so gut. Im gemeinsamen Haus sollen der Fahnder und seine Frau sich zwar ausschweifenden Nächten mit Koks, Sex-Spielzeug und BDSM hingegeben haben, die aus der Serie KinK stammen könnten, berichten Eingeweihte. Die Ermittlungsergebnisse dazu sollen aber ebenfalls nicht veröffentlicht werden—zum Schutz besonders von Armins Frau. Verständlich. Wer jahrelang mit einem zugeknallten Polizisten zusammenlebt, der auf harten Sex steht und scheinbar unerschöpfliche Kokain-Vorräte hat, hat es schwer genug.

Anzeige

In solchen Nächten soll Armin seine Frau immer wieder geschlagen und misshandelt haben, nicht nur einvernehmlich. Einmal floh sie in so einer Situation vor ihm, stürzte vom Balkon und brach sich einen Lendenwirbel.

Am Abend des 14. Februar 2014 war Sex vermutlich nur Nebensache. Es war Valentinstag und irgendwie muss es Streit gegeben haben. Nach dem gemeinsamen Abendessen trat Armin seiner Frau im Kampfanzug und mit Erkennungsmarke um den Hals gegenüber, drohte, sie umzubringen, und versuchte, sie zu vergewaltigen. Armin war stockbetrunken, seine Frau konnte sich aus seinem Griff befreien, floh in den Garten und holte per Telefon Hilfe.

So sieht Kempten aus. Foto: Helmlechner | Wikimedia | CC BY-SA 3.0

Als Nächstes soll Armin sich im Auto Richtung Kempten aus dem Staub gemacht haben, bis er schließlich von der mittlerweile verständigten Polizei gestoppt wurde und die Koks-Bombe platzen ließ.

Man könnten fast meinen, er wollte geschnappt werden. Im Gerichtssaal am Montag gab er an, seit Jahren kokainabhängig zu sein. Das Koks will er aus der Asservatenkammer gehabt haben, wo die Polizei ihre Drogenfunde bis zur Vernichtung lagert. Ein Staatsanwalt soll es ihm überlassen haben—damit er andere im Erkennen von Drogen schult. Aber das glaubte ihm von Anfang an keiner. Woher das Koks stammt, ist bis heute völlig ungeklärt.

Das riesige Interesse der Medien an dem Fall rührt aber wo anders her: Kempten gilt als die Hochburg der italienischen Ndrangheta in Deutschland und als Logistik-Zentrum im Koks-Handel. Stand Armin N. auf der Gehaltsliste der Mafia oder war er womöglich erpressbar?

Anzeige

Schon in den 60er Jahren warb Deutschland generalstabsmäßig Gastarbeiter im Ausland an, damals noch aus Italien. Auch nach Kempten wurden sie geschickt, um die dortige Industrie mit aufzubauen. Wohl mehr zufällig kamen die meisten der Kemptener Italiener ausgerechnet aus Kalabrien, aus der Umgebung eines kleinen, in Deutschland unbekannten Dorfes namens San Luca. Was man damals nicht wusste oder für irrelevant hielt: San Luca ist die Geburtsstätte der Ndrangheta, hier liefen und laufen die Fäden dieser international tätigen kriminellen Vereinigung zusammen, meinen Experten. Die Gastarbeiter aus San Luca wollten der Armut Kalabriens entfliehen. Es gibt keinen Grund, ihnen schlechte Absichten zu unterstellen. Aber im Gepäck hatten sie eben auch zahlreiche Kontakte und Familienbande zur Ndrangheta.

Als dann in den 80er Jahren die Mafia in Italien massiv bekämpft wurde, machten sich viele eingefleischte Mafiosi auf nach Kempten. Sie bauten dort eine sogenannte Relais-Station auf, für den Drogen- und Waffenhandel zwischen Nord- und Südeuropa. Ihren Höhepunkt erreichte die Mafia-Präsenz in Kempten Ende der 90er Jahre, als eine korrupte Schreibkraft bei der Staatsanwaltschaft eingeschleust werden sollte und ein gefürchteter Auftragsmörder am Kemptener Bahnhof festgenommen wurde.

Koks spielt bis heute eine zentrale Rolle im Geschäftsmodell der Ndrangheta. Mittlerweile, betont ein Sprecher der Kemptener Ermittlungsbehörden, als ich mit ihm telefoniere, sei die große Zeit der Mafia im Allgäu allerdings vorbei. Sie meide die Region, weil sie wisse, dass hier hart gegen sie vorgegangen wird. Deshalb finde die Polizei auch viel weniger Drogen bei ihren Razzien als noch vor 15 Jahren. Das sei auch der Erfolg des Chefs der Drogenfahndung, Armin N.

Anzeige

Vom Mafia-Verdacht gegen Armin N. will auch die ermittelnde Staatsanwaltschaft nichts wissen. „Anhaltspunkte, dass der Angeschuldigte als Leiter des für die Rauschgiftbekämpfung zuständigen Kommissariats das Kokain aufgrund mafiöser Kontakte erhalten oder damit Handel getrieben hat, haben die Ermittlungen nicht ergeben", heißt es in der Presseerklärung.

Stefan Albanesi ist Politiker der Linken im Allgäu. Er ist selbst Halb-Italiener, setzt sich für die Legalisierung von Marihuana ein und kannte Armin N. von persönlichen Treffen. Er kann kaum fassen, sagt er mir am Telefon, dass der Prozess der ganzen Frage der Mafia-Verbindung überhaupt nicht nachgeht: „Es ist doch unglaublich: Die Staatsanwaltschaft weiß immer noch nicht, woher das Koks stammt, aber ist sich sicher, dass es nicht von der Mafia kommt. Woher wollen die das wissen?" Auch von der Einzeltäterschaft von Armin N. hält Albanesi nichts: „Sie sollten mal von allen Drogenfahndern Haarproben nehmen. Wie können sie sich drauf verlassen, dass die sagen, sie hätten mit der Sache nichts zu tun?"

Und dann ist da noch das mit dem verdeckten Ermittler. Im nahe gelegenen Neu-Ulm gibt es eine Sondereinheit zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens. Deren verdeckter Ermittler hatte sich bis 2008 tief in die Kemptener Drogenszene eingeschlichen und mit seinen Erkenntnissen zwei Razzien vorbereitet. Aber gefunden wurde nur wenig. Der Ermittler witterte einen Maulwurf bei den Kemptener Kollegen und schlug Alarm. Es begann ein internes Ermittlungsverfahren wegen Geheimnisverrats gegen einen engen Vertrauten von Armin N. Die Ermittlungen wurden nach ein paar Monaten ergebnislos eingestellt.

Dafür ging es dem verdeckten Ermittler an den Kragen. 2013 flog auf, dass er eine Beziehung zu gleich zwei Frauen hatte—der Lebensgefährtin und der Geliebten eines mutmaßlichen Mafioso. Ihnen soll er seinerseits Dienstgeheimnisse verraten haben. Das Verfahren wegen Geheimnisverrats wurde schnell eingestellt, aber ein Disziplinarverfahren gegen ihn läuft weiter und er ist bis heute vom Dienst suspendiert—weil er die Beziehungen nicht gleich gemeldet hatte.

All das spielt aber keine Rolle im Verfahren gegen Armin N. Angeklagt ist er wegen unerlaubten Betäubungsmittelbesitzes, gefährlicher Körperverletzung und Trunkenheit am Steuer. Ihm drohen, so sagte der Richter am Montag im Gerichtssaal, fünf bis sechs Jahre Haft. Die dürfte er dann unter besonderen Haftbedingungen zubringen, wie schon seine Untersuchungshaft. Sonst könnte er unangenehme Begegnungen mit Häftlingen haben, die er selbst hinter Gitter gebracht hat. Armin N. hat seiner Ehefrau schon 35.000 Euro Schmerzensgeld überwiesen und bereut seine Tat, sagte er dem Richter.

Die ermittelnde Staatsanwaltschaft tut die Mafia-Spekulationen als Fantasien von Journalisten ab. Eingeweihte weisen mir gegenüber darauf hin, dass sie sich insbesondere auf ihre Finanzermittlungen beruft, also auf die Durchleuchtung der Konten und Besitztümer des Angeklagten. Allerdings fragen sich viele, ob er nicht vielleicht einfach erpressbar war, so als koksender Polizist, oder ob er irgendwo Bargeld gebunkert hat. Es soll sehr viele Reisen in die Schweiz gegeben haben, zu Techno-Partys.

Wer jetzt die Nase von den ganzen Merkwürdigkeiten noch nicht voll hat: In Kempten heißt es auch: Seit der Festnahme von Armin N. in jener Valentinstagsnacht 2014 hat es mindestens zwei Selbstmorde gegeben. Tot sind ein Staatsanwalt, von dem N. das Koks zu Schulungszwecken erhalten haben will. Und ein über 70-jähriger Italiener, dem Verbindungen zur Mafia nachgesagt werden. Mehr ist darüber noch nicht bekannt—bisher.