Koks, Alkohol und das West-Berlin der Achtziger

FYI.

This story is over 5 years old.

Popkultur

Koks, Alkohol und das West-Berlin der Achtziger

,B-Movie' ist eine Zeitreise zu Nick Cave, David Bowie und allem, was Berlin mal interessant gemacht hat.

Ein Mann krabbelt über den Fußboden und schreit: Deutschland! Deutschland! Dann wird er von der Polizei gewaltsam aufgehoben. Schnitt. Ein junger Mann liest vor: „Dear Mom and Dad, I have finally arrived safely in West-Berlin. I am quite exhausted but so excited. It seems like I went through a time machine." Die ersten Bilder von B-MOVIE: Lust & Sound in West-Berlin 1979-1989 tönen verheißungsvoll.

Anzeige

Tatsächlich liefert der Film von Jörg A. Hoppe, Heiko Lange und Klaus Maeck einen der bisher spannendsten Blicke auf die Insel West-Berlin in den 80ern—ein streng subjektiver Eindruck dieser von Mythen durchdrungene Zeit. Im Gegensatz zum Beispiel zu Oskar Roehlers schaler Spielfilm-Groteske Tod den Hippies, es lebe der Punk, zeigt die Dokumentation diese kurze Episode innerhalb der Geschichte Berlins nicht, in dem die Macher von heute romantisierend zurückblicken. B-Movie verbindet seine Zuschauer viel direkter mit der Vergangenheit.

Das gelingt, weil die Macher einen quasi direkt mit der, dank seines damals ausufernden Lifestyles verwässerten, aber nichtsdestotrotz lebhaften Erinnerung von Mark Reeder verbinden. Reeder ist der Mann aus der Anfangsszene, ein junger Brite aus Manchester. Bereits in seiner alten Heimat hatte er irgendwas mit Musik zu tun. Reeder kannte Ian Curtis und hing mit Tony Wilson, dem Gründer von Factory Records. Er arbeitete in einem Plattenladen, und kannte sich gut aus in der Postpunk-Szene, liebte aber auch die Arbeit deutscher Elektronik-Pioniere wie Kraftwerk, Neu, Klaus Schulze und Tangerine Dream. So war auch die Musik letzten Endes der Grund dafür, dass Mark Reeder in West-Berlin landete.

Christiane F. war damals ebenfalls unterwegs.

Gerade angekommen, taumelte er bereits durch das Nachtleben der kleinen Insel inmitten der DDR, durch das sich damals auch David Bowie und Iggy Pop bewegten. Berlin war zu dieser Zeit die europäische Hauptstadt der Pop-Bohème. Mark trug einen schwarzen Ledermantel und sah damit ein bisschen aus wie ein Offizier der Gestapo.

Als Zuschauer weiß man das, weil Mark und seine Freunde in dieser Zeit alles und jeden mit Super 8-Kameras dokumentierten. Dadurch ist man immer genau dann dabei, wenn Mark gerade mal wieder zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. So tourt der Zuschauer als Soundmann mit den Toten Hosen (die damals noch eine kredible Punk-Band und keine Soundtrack-Lieferanten für CDU-Wahlkampfsiege waren), hängt mit Underground-Ikonen wie Gudrun Gut und Blixa Bargeld rum, freundet sich mit den NDW-Vorreitern Ideal an, erlebt die gewalttätigsten Zeiten West-Berliner Protestkultur hautnah mit (an einer Stelle bekommt die Kamera sogar von einem Polizisten einen mit) und teilt sich eine WG mit Nick Cave, bevor man am Ende dabei ist, während Techno zur führenden Subkultur der Stadt wird. So erzählt B-Movie am Ende nicht nur von einer, sondern gleich von zwei prägenden Bewegungen, ohne die Berlin heute eine andere Stadt wäre.

„B-Movie" erzählt diese Geschichte, ohne die weder der hauptstädtische Tourismus-Boom, noch die exzessive Berliner Clubkultur denkbar wären, quasi im Vorbeigehen und genau das ist die große Stärke des Films. Dank der persönlich gefärbten Perspektive erlebt man das West-Berlin der Achtiger als an einem vorbeiziehende Ansammlung von skizzenhaften Erinnerungen. Am Ende weiß man nicht mal mehr, ob man sich auf seine Erzähler verlassen kann. Ist das alles wirklich so passiert, oder ist die Wahrheit von all dem Alkohol und all dem Koks vernebelt?