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DIE DIRTY LAUNDRY ISSUE

Krieg ist bombe

Das US-Militär versucht mit LKWs voller Videospiele und bunter Gadgets, Grundschulkinder für den Dienst an der Waffe zu begeistern.

Seit Jahrzehnten nutzt das US-Militär aufgemotzte mobile Ausstellungsgefährte, um potenzielle Soldaten zu rekrutieren. Im Juli dieses Jahres hat das Militär die neueste Ergänzung seiner Flotte eingesetzt, die nun das Land bereist, um die Herzen und Köpfe amerikanischer Jugendlicher zu gewinnen. Das neue Gefährt mit dem Spitznamen „Extremtruck" ist ausgestattet mit zwei 32-Zoll-Videospielstationen, einem 60-Zoll-Flachbildfernseher, mehreren kleineren Fernsehern und Sportgeräten für Klimmzüge und Liegestützen. Laut Captain Korneliya Waters, Commander der MEC (Mobile Exhibit Company), ist der Extremtruck „ein Symbol für Unabhängigkeit und Stärke". Und der Extremtruck ist von Steuergeldern finanziert und soll dabei helfen, junge Leute zu verpflichten, für Amerika zu kämpfen.

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Rekrutierfahrzeuge gibt es schon seit 1936, als die Regierung die USAASB (Beitritts-Unterstützungs-Brigade der US-Armee) einführte, die einzige Abteilung der Armee, die allein für Marketingzwecke ins Leben gerufen wurde. Drei Jahre später schickte der US Secretary of the Army eine Gruppe von Soldaten zur Weltausstellung in New York, um dort eine öffentlichkeitswirksame mobile Ausstellung vorzuführen.

In den 70er Jahren hat das Militär seine Marketingbemühungen extrem ausgeweitet, nachdem junge Männer nicht mehr automatisch eingezogen werden konnten und der Strom an neuen Rekruten abriss. Als 1973 die Freiwilligenarmee eingeführt wurde, startete das Militär mithilfe der Werbeagentur N. W. Ayer & Son seine erste erfolgreiche Kampagne „Join the People Who've Joined the Army". 1991 kündigte Colin Powell, damals Generalstabschef, die Erweiterung des Trainingskorps der Junior-Reserveoffiziere (JROTC)—in dem Highschool-Schülern ein paar grundlegende Fähigkeiten vermittelt werden sollen—auf 3.500 Einheiten in den kommenden fünf Jahren an.

Heute stehen die JROTC-Einheiten, ausgerüstet mit MEC-Fahrzeugen und Vorführgeräten kurz davor, ihr Ziel zu erreichen. Und wie Sam Diener—ein Gastprofessor für Friedensforschung an der Clark University—bemerkte: „Sowohl das JROTC als auch die Rekrutierfahrzeuge des Militärs dienen dazu, Jugendliche in den Vereinigten Staaten zu militarisieren."

2013 haben die MEC-Fahrzeuge fast eine Million Kilometer in 48 Staaten zurückgelegt. Die USAASB besuchte 2011 mehr als 1.200 Schulen. „Die Marketingberater der amerikanischen Streitkräfte sind absolute Experten. Und ihre Zielgruppe sind die ‚Millennials', junge Leute, die zwischen 1980 und 2000 geboren wurden", sagt Rick Jahnkow, ein Anti-Rekrutierungs-Aktivist.

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Eine weitere mobile Einheit, der STEM-Erlebnistruck, ist übersät mit Fotos von jungen Leuten, die Astronautenanzüge tragen und in Mikroskope schauen, was wohl angehende Ingenieure und Wissenschaftler ansprechen soll. Im Fahrzeug selbst erwartet den Besucher dann ein eher ernüchterndes Szenario: Wir schreiben das Jahr 2032 und es hat einen Anschlag auf ein Chemiewerk in Osteuropa gegeben. Der Besucher wird von einem Offizier zu einem Monitor geführt, wo er oder sie aus einer Reihe von taktischen Aufstandsbekämpfungs-Maßnahmen auswählen kann, darunter auch der Einsatz von Drohnen.

Im Juni 2006 wurde einer der 50 neuen H3 Hummer auf die Straße geschickt, um Werbung für die Rekrutierungsevents zu machen. Damals sagte Hauptfeldwebel Anthony J. Colarusso dem Recruiter Journal: „Der H3 ist ein regelrechter Eisbrecher, mit dem die Anwerber eine größere Menge von Leuten anzulocken imstande sind, die zu überzeugen dann unsere Aufgabe ist." In derselben Ausgabe bezeichnete der Direktor des Rekrutierungskommandos Donald Bartholomew die Hummer als „wirkungsvolles Mittel, um die Aufmerksamkeit der jungen Leute zu wecken und sie in Scharen dorthin zu locken, wo die Musik spielt". Womit er zweifellos die 9.000-Dollar-Anlage meinte, welche die potenziellen Rekruten mit Rap und Death Metal beschallt.

Die MEC bietet auch sogenannte „Immersa-Domes", Waffensimulatoren und diverse andere interaktive Semis, von denen einer die Möglichkeit bietet, vom „Spielemodus" in den „Klassenzimmer-Modus" zu wechseln, damit Studenten innerhalb einer Sitzung sowohl Videos über Antimobbing-Aktionen als auch Videos über das Basistraining ansehen können.

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Jugendliche sind schon leicht zu beeindrucken, doch das Militär hat es sogar auf die noch jüngere Generation abgesehen. Wenn ein Kind GI Johnny trifft, eine aufblasbare, dämlich lächelnde Puppe in Uniform, und diese für einen echten Menschen hält, ist es eindeutig noch zu jung, um demnächst Soldat zu werden. Aber genau auf diese Altersgruppe hat es das Militär seit Kurzem abgesehen. Sergeant Laddie Matula, der während eines Rodeos GI Johnny bediente, beschrieb 2007 dem Recruiter Journal seine Erfahrungen als durchaus positiv: „Die Eltern kommen gerne mit ihren Kindern zu Johnny. Lehrer machen Fotos, während die Kinder ihm die Hand schütteln."

Die Armee macht keinen Hehl aus ihrer Absicht, die schwersten Geschütze aufzufahren, um die künftige Generation von Rekruten zu beeindrucken. Während die Medien noch verzweifelt versuchen, die „Millennials" zu klassifizieren, streckt die Armee ihre Fühler bereits nach der sogenannten „Generation Edge" aus. In der Oktober-Ausgabe des Recruiter Journal von 2013 schrieb Steve Lambert im Leitartikel „Kenne Dein Publikum. Die Generation Edge", dass die „Millennials" zwar be­reits „eine hohe Kompetenz für das digitale Zeitalter mitbringen und sehr kontaktfreudig sind", dass sich aber neue Rekrutiertaktiken auf die nächste Generation von Kadetten konzentrieren müssten. Die „Generation Edge" (junge Leute, die ab 1995 geboren wurden) werde, so Lambert, besonders von Botschaften angezogen, die sich auf drei Schlüsselbegriffe stützen: „Belastbarkeit", „Einfallsreichtum" und „Realismus".

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Manche behaupten, dass diese Marketingstrategien noch nicht annähernd die glänzenden Karrieremöglichkeiten abbilden, welche das Militär eröffnet. Um dem zu widersprechen, braucht man sich allerdings bloß anzusehen, in welchem reifen Alter die meisten Rekruten die lebensverändernde Entscheidung für eine Karriere beim Militär treffen. Und sich in Erinnerung zu rufen, dass Krieg die Hölle ist, und wie hoch die Zahlen der Obdachlosen, Arbeitslosen, psychisch Kranken und Drogenabhängigen unter den Veteranen sind.

Aber vor dem Hintergrund der Bemühungen der MEC stellt sich überdies noch die Frage nach der Privatsphäre, nach Einverständnis und nach gleichberechtigtem Zugang. Diener sagt, dass die Bemühungen, sowohl dem Militär als auch Anti-Rekrutierungs-Kampagnen einen gleich­berechtigten Zugang zu den jungen Menschen zu erlauben, „schon in den 80er Jahren begannen, als wir feststellten, dass die Anwerber praktisch freien Zugang zu Schulen im ganzen Land hatten".

Doch der Zweck der Marketingfahrzeuge—so schreibt es die Armee in ihren eigenen Veröffentlichungen—besteht darin, dem Militär einen Vorteil zu verschaffen, indem sie vor Schulen stehen, zu denen sie normalerweise keinen Zugang haben, Daten von Schülern sammeln, diese mit ihren technischen Vorrichtungen beeindrucken und als potenzielle Interessenten registrieren. Die US-amerikanische Verordnung 601-93 zur Rekrutierung, die im Juli 1996 in Kraft trat, legt den Einsatz dieser Hilfseinheit genau fest. Sie besagt ausdrücklich, dass Rekrutierung „im Primärmarkt ansetzen soll, wann immer das möglich ist" (mit anderen Worten in Highschools und Colleges), wobei die Priorität „auf die Schulen zu setzen ist, die schwer zugänglich sind".

Im Jahr 2011 hatte die USAASB mehr als 230.000 Besucher, aus denen sich etwa 88.000 potenzielle Kadetten herauskristallisierten. Deren Daten werden mithilfe eines Systems, das—vermutlich ganz mit Absicht—den Namen I-ELMO trägt (Interaktive elektronische Optionen zur Verwaltung vielversprechender Daten), gesammelt und anschließend ausgewertet. Laut Jahnkow ist es üblich, dass Studenten erst ein Formular mit ihren persönlichen Daten ausfüllen müssen, bevor sie die interaktiven Kriegsspiele bedienen dürfen.

Es scheint also, als wären die Trucks alles andere als Symbole für Unabhängigkeit, Stärke oder anderer positiver Werte. Es sind lediglich extrem teure und tatsächlich beeindruckende, auf die Bedürfnisse junger Menschen ausgerichtete Marketingtools, die jugendliche Fantasien projizieren, verstärken und damit junge Leute auf den Kriegspfad lenken, wobei alternative Zukunftsperspektiven unberücksichtigt und unbeachtet bleiben.