FYI.

This story is over 5 years old.

News

Kunst in der Gaskammer

Artur Żmijewski kuratiert die siebte Biennale in Berlin und lässt zugleich in einer Videoinstallation nackte Menschen in einer Gaskammer Fangen spielen, um die Geschichte zu verändern.

Artur Żmijewskis Kunstwerke waren schon häufig Anstoß für einen sozialen, politischen und kulturellen Dialog. Als Stimme der linksgerichteten politischen Strömung Krytyka Polityczna und Kurator der siebten Biennale in Berlin bezieht er eine ziemlich eigensinnige Position über Kunst und den sozialen Kontext, in dem diese angesiedelt ist. Berek, ein Film von Żmijewski, wurde erst kürzlich aus der Ausstellung Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte entfernt, da er eine Gruppe nackter Menschen zeigt, die in einer Gaskammer Fangen spielen. Wie zu erwarten, löste das natürlich einige Kontroversen innerhalb Deutschlands aus und das Kunstwerk wurde verbannt. Wir haben mit Żmijewski über Moral und Politik und die Rolle des Künstlers dazwischen gesprochen. VICE: Berek ist alles andere als ein leichter Film …
Artur Żmijewski: Ich wollte die dramatische Geschichte der Vernichtung der Juden im Zweiten Weltkrieg erfahrbar machen und näher bringen. Mein Ziel dabei war die Vergangenheit wieder zu erschaffen, jedoch nicht nur an einem Ort, der mit diesen typischen Klageritualen verbunden ist. Ich wollte die Vergangenheit direkt berühren, mit unseren Körpern und Emotionen.
Berek wurde in einer Gaskammer gefilmt, um ein alternatives Ende für diesen Teil der Geschichte zu erschaffen. Nackte Leute in einer Gaskammer—sie sterben aber nicht, sondern rennen und lachen. Oh, was für eine schöne Situation, was für ein schönes Ende—keine Leichen, keine Exkremente auf dem Fußboden, kein Geruch von Tod. Kunst bietet die Möglichkeit, sich Alternativen auszudenken. Leider ist es schon zu spät—das Massaker ist schon passiert. Deswegen müssen wir all der Opfer gedenken—aber auch wir sind Opfer dieser Geschehnisse—wir müssen uns trotz dieser unglaublich brutalen Vergangenheit emanzipieren.

Anzeige

Hast du deinen Darstellern bestimmte Stichwörter gegeben, um bestimmte Gefühle zu provozieren?
Die Leute in meinen Filmen bekommen weder Stichworte noch ein Set-Up. Der Film ist eine authentische, individuelle Interpretation während dieses Moments. Beim Dreh von Berek fuhren wir alle zusammen in ein Konzentrationslager und das Entkleiden dauerte ein bisschen länger als zwei Stunden, danach spielten die Darsteller alles authentisch. Alle Aufnahmen wurden gezeigt und der Effekt davon wird im Film offensichtlich. Wie hast du die Schauspieler für diesen Film gefunden?
Durch ein öffentliches Casting. Alle interessanten Menschen darunter wurden ausgewählt.

Weshalb sind alle Darsteller nackt?
Nacktheit spielt eine wesentliche Rolle in diesem Film—es spiegelt die damalige, tatsächliche Situation wider—dadurch, dass die Schauspieler selbst die Situation mit dem gleichen körperlichen Zustand wieder aufleben lassen können wie diejenigen, die wirklich in den Gaskammern umkamen. Die Schauspieler in Berek betreten die Gaskammer nackt, der Film zeigt jedoch ein anderes Ende. Was denkst du über die Entscheidung vom Martin-Gropius-Bau, Berek von der Ausstellung auszuschließen?
Es gab keine öffentliche Erklärung, warum Berek rausgenommen wurde. Die Macht liegt immer auf Seiten der Organisatoren, die solche Veranstaltungen wie die im Martin-Gropius-Bau schaffen. Sie haben die Erklärung benutzt, sie wollten die Würde der Opfer schützen, um den Akt von Zensur zu verheimlichen und sich selbst als edle Leute darzustellen. Das ist genau dieser schreckliche Stil von verdeckter Politik: Entscheidungsträger treffen heimlich Entscheidungen und zwingen die Medien, das dann zu verkünden. Zensur wird oft als gute Absicht missverstanden. Und diskutiert wird überhaupt nicht. Das ist kein demokratisches Vorgehen—sie treffen nur autoritäre Entscheidungen.
In diesem speziellen Fall ist die Zensur ein Weg, uns vorzuschreiben, wie wir die Vergangenheit verstehen müssen. Ich darf meine Interpretation der Vergangenheit nicht zeigen, es ist verboten und vor allem darf ich sie nicht in Deutschland zeigen—das repräsentiert die Realität dieses liberalen Landes.

Nutzt du die Kunst also dazu, politische Vorgänge aufzuzeigen?
Veränderungen in der Kultur sind gleichbedeutend mit Veränderungen in der Politik. Darüber hinaus bietet Kunst die Möglichkeit der Erschaffung einer neuen Realität, indem man Entscheidungen trifft. Das ist ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil von Reformen in der Politik. Kulturerzeuger sind nicht nur sehr kreative und innovative Leute, sie können auch die politischen Änderungen fordern und verwirklichen. Wo liegt der Unterschied zwischen dem Erschaffen von Kunst und dem Kuratieren von Kunst?
Kunst zu kuratieren spielt eine große Rolle darin, andere dazu anzuregen selbst aktiv zu werden, zu diskutieren und ihren Standpunkt zu hinterfragen. Es ist ein Prozess, bei dem ich persönlich weniger Kontrolle habe, als würde ich selbst Kunst erschaffen. Deshalb bevorzuge ich auch die Bezeichnung Moderator, um die Rolle eines Kurators zu beschreiben. Es ist ein Prozess niemals endender Verhandlungen. Ich suche deshalb auch speziell Künstler, die Veränderung durch ihre Arbeiten erzielen wollen, Menschen, die unsere Realität verändern wollen. Wie hoffst du, dass Krytyka Polityczna Politik durch Kunst beeinflussen kann?
Zuerst durch die Schaffung einer neuen Sprache und neuer Begriffe in der öffentlichen Debatte. Eine Sprache, die den Dialog über Gleichheit, die Rechte von Minderheiten, die Rechte von Frauen und Männern, die politische Emanzipation der Massen, die neoliberale Politik neu anstößt. All diese linken Ideen und Gedanken eben. Die Menschen haben bereits begonnen, diese Sprache zu nutzen und eine neue linke Strömung fasst langsam Fuß, indem sich die Menschen von ihrer Ideologie angesprochen fühlen. Speziell für Polen sind das alles wichtige Schritte. Nach dem Kommunismus war jegliches linke Gedankengut absolut diskreditiert. Die Menschen haben sich in den Kapitalismus und die westliche Demokratie verliebt, dann aber sehr schnell festgestellt, dass dieses neue System nicht ihnen dient, sondern sie wieder dem System. Wenn Krytyka Polityczna und andere linke Strömungen es schaffen würden, daran etwas zu verändern, dann kann ein neues Kapitel der polnischen Politik beginnen.

Glaubst du überhaupt daran, dass so etwas wie ein funktionierendes, rechtschaffenes politisches System überhaupt noch existiert?
Politik an sich hat aufgehört zu existieren, wir leben in einer post-politischen Zeit. Nur die Verwaltung ist noch übrig geblieben, die Verwaltung von Menschen. Es gibt auch keine Konflikte mehr innerhalb der Politik, da wir keine freie Meinung mehr haben. Das ist in der Kunst ebenso, es gibt nicht wirklich einen Unterschied, welches der beiden Systeme nun Spannung und Konflikte erzeugt. Zum Beispiel können wir unsere Meinung über die Wirtschaft nicht zum Ausdruck bringen, da sich Wirtschaft durch konkrete Zahlen der Banken und Experten ausdrückt, die eine Sprache der Rationalität sprechen. Und diese Sprache kann man nicht in einen politischen Konflikt überführen. Wenn das politische System aufhört, zu existieren, hört dann auch die Demokratie auf, zu existieren?
Es hat ganz den Anschein. Demokratie wird exklusiv und es werden andere damit beauftragt—es gibt immer jemanden, der an unserer Stelle Demokratie ausübt: Politiker, Journalisten, Lokalverwaltungen. Politiker hören den Menschen nicht zu. Sie wollen uns nicht darüber informieren, was sie denken. Sie sind so schwer zu fassen und im Grunde sogar leer. Warum? Weil wir für sie keinen gleichwertigen Partner darstellen, Menschen sind für sie keine Partner. Deswegen gründen neue Bewegungen, wie z.B. die Indignados, neue politische Strukturen, neue soziale Verhaltensweisen. Sie warten nicht darauf, dass Politiker Zeit finden, ihnen zuzuhören. Sie führen Demokratie einfach aus.