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Machen uns smarte Drogen wirklich schlauer oder ruinieren sie unser Leben?

Gehirnverbessernde Drogen wie Ritalin, Modafinil und Piracetam liegen im Trend. Aber werden wir dadurch zu intellektuellen Überfliegern oder brechen wir unter zuviel Arbeit zusammen?

Studenten, die Drogen nehmen, sind nicht gerade etwas Neues. Doch in den letzten Jahren häufen sich Berichte aus aller Welt, die andeuten, das Studenten und Schüler immer öfter zu Drogen greifen, um damit ihre Leistung zu steigern und besser arbeiten zu können, anstatt bis zum Tag der Abgabe zu prokrastinieren.

Die Medien richten natürlich den Großteil ihrer Aufmerksamkeit auf den Missbrauch dieser sogenannten „smart drugs“. Einige der beliebtesten Substanzen—wie etwa Ritalin und Modafinil—sind ursprünglich für die Behandlung von spezifischen Krankheiten wie ADHS und Narkolepsie entwickelt worden. Doch abgesehen davon tauchen nun weitere Stoffe auf, die über längere Zeit zur dauerhaften Verbesserung des Denkvermögens gesunder Erwachsener führen sollen, anstatt dem kurzen, aber effizienten Effekt, den man durch verschreibungspflichtige Medikamente bekommt.

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Diese Ergänzungsmittel sind als Nootropika bekannt und erstrecken sich vom alltäglichen (Ginseng) bis zum Unaussprechlichen (Phenylalanin). Genau wie bei rezeptpflichtigen Medikamenten ist wenig über ihre Langzeitnebenwirkungen bekannt.

Es ist schwer, Nootropika von anderen gehirnbeschleunigenden Drogen und Medikamenten zu unterscheiden, aber falls du, wie viele andere, die Ansichten von John Harris—Professor für Bioethik an der Manchester University—teilst, gibt es wenig Grund für eine solche Unterscheidung. „Kognitionssteigernde Drogen interessieren mich“, sagt er. „Wie du Nootropika definierst, interessiert mich nicht.“

Natürlich stimmt dem nicht jeder zu. Corneliu E. Giurgea, ein rumänischer Psychologe und Chemiker, synthetisierte Piracetam—das erste Nootropikum—im Jahre 1964 und etablierte genaue Kriterien dafür. Nach Giurgea müssen Nootropika den Lernererfolg steigern, die Verbindung der Hemisphären des Gehirns erhöhen und  die exekutive Verarbeitung verbessern (dies beinhaltet Aufgaben wie Planung, Aufmerksamkeit und räumliches Bewusstsein). Wichtig ist auch, dass die Medikamente nicht giftig sind oder süchtig machen.

Durch die große Vielfalt an Ergänzungsmitteln, die als Nootropika klassifiziert sind, kann man nicht verallgemeinernd erklären, wie sie wirken. Generell aber erreichen Nootropika ihre Wirkung durch eine Manipulation der Versorgung des Gehirns mit Neurochemikalien, Enzymen und Hormonen. Giurgeas Piracetam beispielsweise verbessert das Erinnerungsvermögen des Konsumenten durch die Veränderung der Werte des Neurotransmitters Acetylcholine, welcher die neuronale Plastizität der Synapsen beeinflusst (also beeinflusst, inwiefern sich die gesamte Hirnstruktur sowie das Hirn selber durch Erfahrungen und Erlebnisse verändern können). Unsere Erinnerungen sind zusammengesetzt aus komplexen Matrizen und Synapsen, und unser Zugriffsvermögen auf sie ist davon abhängig, wie gut sie miteinander verbunden sind. Verbesserte Plastizität erleichtert das Verbinden der Synapsen.

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Vorteile einiger der Substanzen, die für die Herstellung der Ergänzungsmittel benutzt werden, sind schon seit Jahren bekannt. Wir alle kennen die Produktivitätsvorteile von Koffein, und die hirnstärkende Kraft von Fischöl wird seit Ewigkeiten gepredigt. Aus diesem Grund bilden Koffein und Fischöl oftmals die Basis für verschiedene, super-effektive Nootropika-Kombinationen.

Sean Duke ist ein amerikanischer Neuropharmakologe, der sich in der Entwicklung solcher „Stacks“ spezialisiert. Er nennt Nootropika-Konsumenten „Nootnauten“ und behauptet, dass sie „das gedankliche Gegenstück zu Bodybuildern“ sind. Auf dem Nootropika-Subreddit—und in vielen anderen Onlineforen und Message-Boards— kommen Nootnauten aus allen Ecken der Gesellschaft zusammen, um über Medikamente und optimierte Dosierungen zu diskutieren und damit anzugeben, wie viele Bücher sie mental bankdrücken können.

In Deutschland ist Piracetam rezeptpflichtig und unter den Namen Cerepar, Nootrop, Nootropil und Normabrain erhältlich. Das Medikament wird unter anderem zur Behandlung kognitiver Störungen bei älteren Menschen sowie von Dyslexie bei Kindern verwendet. Auch Modafinil ist rezeptpflichtig zu haben, wird hier vor allem bei exzessiver Schläfrigkeit, Narkolepsie, aber auch ADHS oder Depressionen verschrieben.

Duke sagt über die Menschheit an sich: „Wir sind alle Nootnauten, manche von uns strengen sich einfach mehr an.“ Dieser Gedanke hat sich durch die Geschichte hindurch als wahr erwiesen. Große Fortschritte in der menschlichen Evolution gehen mit Veränderungen unserer Essgewohnheiten einher. Unsere Gehirne schwollen an, als wir vor 2,5 Millionen Jahren anfingen, Fleisch zu essen. Dann, eine Million Jahre später, führte die Ernährung zum Homo Erectus, unserem nahestehendsten Vorfahren, der ein kleineres Verdauungssystem und ein größeres Gehirn bekam.

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In den 1950er Jahren experimentierten Großbritannien und die USA mit bewusstseinsverändernder Technologie für militärische Zwecke. Eines der geradezu cartoon-artigen Projekte des CIA, MKULTRA, erforschte die Effekte von psychotropischen Drogen, Schocktherapie und Hypnose an Beteiligten, egal ob freiwillig oder nicht. Wissenschaftler versuchten, ihre Subjekte besser im Ertragen von Folter zu machen. Allerdings schlug das Forschungsprojekt fehl und die Versuche der CIA, das menschliche Gehirn zu kontrollieren, zeigten erstaunlich kontraproduktive Ergebnisse.

Ken Kesey und Robert Hunter waren zwei Freiwillige für das MKULTRA-Experiment im Menlo-Park-Veteranenkrankenhaus, einer Einrichtung für psychische Erkrankungen in Kalifornien. Kesey verbrachte viel Zeit damit, mit den Patienten dort zu reden, und entschied, dass sie eher sozialunverträglich als geistesgestört waren. Seine Erfahrungen inspirierten ihn, das Buch Einer flog über das Kuckucksnest zu schreiben. Hunter würde später der Band The Grateful Dead beitreten, und man sagt, dass er unter dem Einfluss der MKULTRA-Experimente stand, als er die Lyrics zu „China Cat Sunflower“ schrieb.

Beide Männer spielten eine wichtige Rolle in der wahrscheinlich größten kulturellen Bewegung des 20. Jahrhunderts—einer Bewegung, die die Nutzung von Psychedelika zur Erweiterung des eigenen Horizonts befürwortete, um eine neue Gesellschaft zu erschaffen.

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Timothy Leary, ein enger Freund Keseys, nahm den wissenschaftlichen Ansatz zur Bewusstseinserweiterung. Im Jahr 1964 veröffentlichte er The Psychedelic Experience und setzte damit den praktischen Rahmen für Experimente mit halluzinogenen Drogen. Im gleichen Jahr veröffentlichte Giurgea in Rumänien The Fundamentals to the Pharmacology of the Mind, in dem er sagte: „Der Mensch wird nicht Millionen Jahre warten, bis die Evolution ihm ein besseres Gehirn anbietet.“

In den Augen der wissenschaftlichen Gemeinschaft transformierte Learys Leidenschaft für das Thema ihn von einem losgelösten Forscher zu einem Prediger—er bleibt den Menschen als der Typ, der mit Allen Ginsberg und John Lennon Acid genommen hat, in Erinnerung. Allerdings wurde Giurgeas Werk zu einem ernsthaften Feld der Wissenschaft.

Studien zeigten wiederholt die praktischen Vorteile von Nootropika, ihr Einfluss auf die Gesellschaft war allerdings um einiges weniger explosiv als Learys Arbeit. Dies liegt teilweise daran, dass der Wirkungsgrad von Nootropika stark von der Neurochemie des Individuums abhängt, welche sehr an Gewicht, Schlafrhythmus und sogar Launen gebunden ist, wodurch die Ergebnisse der Benutzung von Nootropika stark variieren können.

Als Leary älter wurde, bewegte sich seine Aufmerksamkeit von Drogen auf Technologie. Er verkündete, dass „der PC das LSD der 90er“ ist, und initiierte das, was später als die Cyberpunkbewegung bekannt wurde. Viele Anhänger dieser Subkultur arbeiteten später im Silicon Valley, und von hier aus entfaltete sich das Informationszeitalter.

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2010 sagte Google-CEO Eric Schmidt: „Zwischen den Anfängen der Zivilisation und 2003 wurden fünf Exabytes an Information geschaffen; so viel Informationen entstehen heute alle zwei Tage.“ Die genauen Details dessen, was er sagte, wurden schnell widerlegt, aber es bleibt der Beweis, dass wir in einer Welt voller überwältigender Mengen an Information leben. Von uns wird erwartet, dass wir eine exorbitante Menge an Daten verarbeiten, die endlos aus allen Ecken unseres Lebens auf uns zugeströmt kommen, und unsere natürliche Reaktion ist unangemessen; wir haben keine Zeit, Fiktion zu hinterfragen, wenn sie unserer Weltansicht entspricht— der erste Absatz eines Wikipedia-Artikels ist so viel Wissen, wie wir brauchen, um voranzukommen.

Trotz unserer natürlichen Unfähigkeit, solche Informationsmengen zu verarbeiten, werden wir zunehmend in vielen Aspekten des Lebens als Informationsprozessoren behandelt. Leistungsvorgaben, Leistungsbewertungen und berechnete Fehlerspielräume sind zu den Parametern, in denen wir arbeiten, geworden. In der Bildung sind die abstraktesten und nicht-selbsterklärenden Themen zu Übungen im Lernen und Merken geworden. Und beim Versuch, die Gesellschaft zu planen und zu organisieren, werden wir wie berechenbare Maschinen behandelt. Computer befreien uns nicht, so wie es Learys Vision war, sondern wir werden selbst zu den Computern.

Tragbare Technologie wie Google Glass ist die logische Entwicklung dieses Konzepts, so wie sie die Unterscheidung zwischen uns und unseren Geräten minimiert. Sie garantiert, dass wir immer online sind und mit Informationen gefüttert werden. Aber können wir uns so einer Existenz anpassen? Vielleicht helfen uns Nootropika, den Kreis zu schließen.

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Smarte Drogen können als der Schlüssel zur Entfaltung unseres gesamten Potenzials in den Begrenzungen einer von Technologie abhängigen Gesellschaft sein. John Harris denkt, sie könnten tragend für die Zukunft der Bildung sein: „Sie könnten sogar standardmäßig an alle Schüler verabreicht werden“, sagt er.

Fakt bleibt aber, dass wir keine Informationsprozessoren sind und das Gehirn nicht vollständig auf chemischem Level verstanden werden kann. Duke sagt: „Wären wir nur Chemie, wie kann man dann freien Willen erklären? Freier Wille ignoriert die energiedefinierten Grenzen der Chemie.“ Letztendlich ist freier Wille stärker als unser chemischer Aufbau. Die Plastizität des Gehirns, der Piracetam hilft, ist bewusst geleitet, wann immer wir eine Entscheidung treffen, etwa, eine neue Sprache zu lernen oder ein Instrument zu spielen.

Während „smarte Drogen“ uns einen Vorteil in einer Welt verschaffen können, in der Informationsverarbeitung das Wichtigste ist, sollten sie nicht als universelles Heilmittel gesehen werden, denn diese Ansicht trägt das Risiko der Reduktion der Menschen auf Automaten. Duke sagt: „Die Frage ist, ob diese Medikamente evolutionär und nicht kontra-evolutionär sind. Wie sehr führen wir unser Gehirn dahin, Verbindungen zu machen, die nicht ohne die Hilfe von Nootropika wiederholt werden können? Dies wissen wir momentan nicht, und ich bin nicht sicher, ob wir es jemals wissen werden.” Er sagt damit, dass wir das zukünftige Potential von Kindern beeinträchtigen könnten, falls wir anfangen, ihnen kognitionssteigernde Medikamente und Drogen zu geben, indem wir Funktionalität vor Kreativität und Individualität priorisieren.

William Gibson, ein weiterer bekannter Cyberpunk, sagte einmal: „Technologien sind unmoralisch, bis wir sie anwenden.“ Viele Nootnauten bereichern momentan ihr Leben durch gehirnverbessernde Ergänzungsmittel, aber falls kognitive Leistungssteigerer normalisiert werden würden, was wäre wahrscheinlicher—dass wir zu einer mit intellektuellen Experten gefüllten Gesellschaft werden würden? Oder dass unsere erhöhte Arbeitskapazität zur totalen Überarbeitung führt?

Smartphones bedeuten, dass das Büro immer in unserer Tasche ist. „Smart drugs“ könnten bedeuten, dass das Büro immer in unseren Gedanken ist. Was nach einer verdammt beschissenen Situation klingt.