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Ein Mafioso packt aus

Louis Ferrante war einer der Größten unter den Mafiosi. Bis er verraten wurde und fast zehn Jahre lang im Knast saß. Zurück auf freiem Fuß packt er aus und erzählte uns, warum die Mafia heute nur noch ein „Pack wilder Hunde“ ist.

Wenn Krise, dann richtig: Die Presse vermiest uns die Tiefkühllasagne und wir müssen uns ernsthaft damit auseinandersetzen, ob wir besser selbst kochen oder zumindest einmal den Verpackungsinhalt studieren sollten. Dabei will nicht einmal mehr der Papst päpstlich sein. In einer Welt, in der sich turbulent alles ändert—außer das nordkoreanische Regime—, ist selbst die Mafia nicht mehr das, was sie einmal war. Auch sie ist mit der Zeit gegangen und skrupelloser geworden. War früher wirklich alles besser? Selbst die Mafia?

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Lou Ferrante muss es wissen. Der vermeintlich ehemalige Handlanger von John Gotti, dem Oberhaupt der Gambino-Familie und damit einer der großen fünf New Yorker Mafia-Familien, hat selbst eine Karriere im organisierten Verbrechen vorzuweisen. Einen langjährigen Gefängnisaufenthalt jedoch auch. Seitdem lebt er nach der Devise: „Vergiss die Knarre und nimm dir die Cannelloni!"

Mit 17 klaute Lou im New Yorker Stadtteil Queens sein erstes Auto. Er schärfte sein Mafia-Profil mit weiteren Raubüberfällen und Schutzgelderpressungen, blieb jedoch dem Morden fern und rühmte sich schließlich als Anführer seiner eigenen Crew. 1994 verhaftete ihn das FBI und Lou wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Jemand aus seinen eigenen Reihen hatte ihn verraten. Lou hingegen weigerte sich, Namen zu nennen, und blieb demKodex treu, der Mafia jedoch nicht mehr erhalten. Im Gefängnis hinterfragte er zum ersten Mal das kriminelle Leben. Lou entdeckte Bücher für sich und schrieb letztendlich seine eigene Erfolgsgeschichte, als er sich nach achteinhalb Jahren Haft seine frühzeitige Entlassung mit viel Eigeninitiative und teuren Anwälten erkämpfte. Nicht nur er hatte sich verändert, sondern auch die Welt, für die er einst gelebt hatte. Jetzt, nach zehn Jahren Freiheit und zwei autobiografischen Büchern, reflektiert Lou über sein altes Leben, kritisiert den moralischen Verfall mafiöser Sitten und erklärt unseren Geschäftsmännern, was sie noch alles von der Mafia lernen können … und sollten.

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Lou, vor 20 Jahren warst du einer der Organisatoren des organisierten Verbrechens und hattest noch nie zuvor ein Buch gelesen. Heute bist du Autor und sprichst über deine Erfahrungen vor internationalen Unternehmen. Du hast dich verändert; hat sich die Mafia deines Wissens auch verändert?
Lou Ferrante: Die Mafia hat sich drastisch verändert. Was anders ist und was ich persönlich auch sehr missbillige, ist, dass sie es mit dem Kodex nicht mehr so ernst nimmt. Wir hatten damals einen Kodex, der uns vorgeschrieben hat, wie wir mit gewissen Sachen umzugehen hatten. Ich habe mich streng daran gehalten und war bereit, dafür zu sterben. Ich wurde zu einer lebenslangen Haft verurteilt und hätte mein Leben für die Familie geopfert. Aber ich glaube, heutzutage hat die Mafia nicht mehr den Kodex, den wir damals hatten. Als ich jünger war und Freunde plötzlich verschwanden, habe ich nicht nachgefragt. Die Person war weg und das war’s. Tschüss. Sie haben irgendwie der Familie geschadet. Du hast damit gelebt und keine Fragen gestellt. Hättest du nachgefragt, wärest du der Nächste gewesen. Es ging dich nichts an.

Was hat sich denn daran geändert?
Als ich im Gefängnis war und alle Anklagen für mich einsehbar wurden, habe ich erst verstanden, warum einige Menschen verschwanden. Ich habe herausgefunden, dass sie wegen Geld verschwanden. Zum Beispiel wenn ein Geschäft mit jemandem bestand, der jährlich 20 Millionen Dollar einnahm, statt das Geld zur Hälfte zu teilen, wurde der Partner für den ganzen Betrag umgebracht. Das war nicht das, wofür ich einstehen wollte. Das war nicht der Kodex, an den ich glaubte. Ich entschloss mich, das Richtige zu tun und eine andere Richtung einzuschlagen, in der Hoffnung, dass sie mich lassen. Und ich habe es ihnen klargemacht, als ich im Gefängnis saß: „Hey Jungs, die Dinge haben sich geändert. Die ganzen Verräter schicken uns in den Knast, während die sich einfach eine neue Identität besorgen, in ein schickes Haus ziehen und uns in den Zellen leiden lassen. Das ist es mir nicht mehr wert.“ Da konnten sie nichts mehr einwenden.

Laut deinem Buch Mob Rules können seriöse Geschäftsmänner von der Mafia lernen. Was denn genau?
Wenn ich vor globalen Unternehmen spreche, sage ich ihnen, was ich auf der Straße gelernt habe. Haltet euer Wort! Wenn ich dir meine Hand drauf gebe, brauchen wir keinen Vertrag. Jetzt brauche ich eine Armada von Anwälten, die einen Vertrag für mich ausfechten. So sieht es in der rechtmäßigen Welt aus. Damals war ich umgeben von skrupellosen Menschen. Heute, in der gesetzestreuen Welt, treffe ich jedoch auf mehr skrupellose Menschen als damals. Ich werde jeden Tag von seriösen Menschen angelogen. Die verarschen mich jeden Tag. Auf der Straße konntest du dir das nicht leisten, weil dein Name dein einziger Besitz, deine Visitenkarte, war. Also musstest du deine Versprechen einhalten. Ich versuche, den Unternehmern beizubringen, dass sie eher langfristig an den Ruf ihres Unternehmens denken sollten, auch wenn sie die Möglichkeit haben, in einem Augenblick eine Millionen Dollar zu bekommen, und dafür aber andere Menschen hintergehen.

OK. Zurück zur Verbrecherwelt. Du hast gerade eine Serie abgedreht, in der du internationale Gefängnisse besuchst und dich vor Ort mit den Gangs des organisierten Verbrechens auseinandersetzt. Wie war es nach all dieser Zeit, die Dinge von der anderen Seite zu erleben?
Ich habe bereits in Großbritannien in vielen Gefängnissen über die Bedeutung von Bildung gesprochen. Beim Dreh war ich allerdings das erste Mal wieder eingesperrt. Das war in El Salvador. Es war interessant. Jedes Mal wenn ich ins Gefängnis gehe, denkt ein Teil von mir: „Scheiße, ich bin zurück!“ Und dann muss ich mir selbst einreden, dass ich wieder gehe. Ich habe fast ein Jahrzehnt meines Lebens da drin verbracht und es ist zu einem Teil meines Wesens geworden, dieses Haftleben. Ich kann es aber auch zu meinem Vorteil nutzen. Ich verstehe die Häftlinge besser als jeder andere. Ich habe selbst lange Zeit im Hochsicherheitstrakt verbracht, also verstehe ich sie besser als ein typischer Journalist, weil ich zu gewissen Fragen die Antworten schon kenne. Das macht es mir auch einfacher, den Kontakt zu ihnen herzustellen.

Ihr habt in mehreren Ländern mit unterschiedlichen Gangs gedreht. Was hat dich persönlich am meisten getroffen?
Die Camorra in Italien hat mich bewegt. Das ist eine Truppe von Jungs, die einmal streng an einen bestimmten Kodex geglaubt haben, und jetzt … Wie der Boss am Ende der Sendung sagt: „Nun sind sie ein Pack wilder Hunde.“ Und genau das habe ich auch so gesehen. Laut einer Statistik wurden in den letzten 30 Jahren 130 oder 160 unschuldige Menschen ermordet, die der Camorra im Weg standen. Das waren unbeteiligte Passanten. Das ist eine erschütternde Statistik. Vor Jahren war die Mafia stets bemüht, keine Zivilen zu verletzen, als sie gewalttätig werden musste. Jetzt ist es ihr egal. Wenn die jemanden umlegen müssen und ein Typ im Weg steht, wird der einfach auch umgelegt. Ich habe einen Vater interviewt, dessen vierzehnjährige Tochter kaltblütig von der Camorra genau aus diesem Grund ermordet wurde. Das hat mich auf jeden Fall mitgenommen. Ich hätte nie gedacht, dass die so rücksichtslos werden.