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Mein Filmteam wurde in der Ukraine brutal attackiert

Als das Tränengas in den Wagen drang, hatte ich mein Gesicht bereits mit meiner Kapuze bedeckt. In meinem Mund spürte ich kleine Glasscherben. Das Fenster war zertrümmert. Meine Freunde schrien. Ich fragte mich, ob ich sterben würde.

Videomaterial des Zwischenfalls von einem ukrainischen Augenzeugen

Als das Tränengas in den Wagen drang, hatte ich mein Gesicht bereits mit meiner Kapuze bedeckt. In meinem Mund spürte ich kleine Glasscherben. Das Fenster war zertrümmert. Meine Freunde schrien. Ich fragte mich, ob ich sterben würde. So naiv es sich auch anhört, ich glaubte nicht, dass uns in der Ukraine irgendetwas Schlimmes zustoßen würde. Unsere Crew war bereits zweimal zuvor in der Ukraine gewesen, um eine Dokumentation über ein Waisenhaus in Mariupol, einer Stadt, die weitab der chaotischen Situation in Kiew und der Krim liegt, zu drehen. Die Menschen vor Ort berichteten uns, dass die Lage friedlich war—und wenn es zu Gewalttätigkeiten kam, dann nur vereinzelt—und sie in den Medien übertrieben dargestellt wurde.

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Ich musste die Dokumentation fertigstellen, bevor ein möglicher Krieg mir einen Strich durch die Rechnung machen würde. Ich schätzte das Risiko also eher gering ein und vor allem würden wir Demonstrationen und Menschenansammlungen meiden. Wir waren nicht dort, um Ärger zu suchen. Der Vorfall ereignete sich vergangenen Samstag, einen Tag vor dem Referendum auf der Krim. Die Stadt Mariupol im Südosten der Ukraine mit knapp 500.000 Einwohnern ist geprägt von Armut, hoher Arbeitslosigkeit. Infolge dessen sind viele Menschen alkohol- oder drogenabhängig. Gennadiy Mochnenko und seine Gemeinde haben inzwischen mehrere Rehazentren für Alkohol- und Drogenabhängigen eingerichtet, sowie einige Waisenheime für Kinder, die auf der Straße lebten und größtenteils ebenfalls drogenabhängig waren.

Gennadiy Mokhnenko, der Hauptprotagonist unserer Dokumentation, saß mit uns im Van, als wir an den Resten einer pro-russischen Demonstration vorbeifuhren, die etwas früher am Tag stattfand. Wir waren gerade damit fertig geworden, eine entscheidende Szene in einem Gefängnis zu drehen und dachten, dass wir dort vielleicht etwas zusätzliches Material drehen könnten, aber unser Fokus lag darauf, wie dieses politische Kräftemessen die Arbeit von Gennadiy in seinem Waisenhaus beeinflusst. Von einer Menge konnte man schon nicht mehr sprechen, es waren nur noch vereinzelte Leute vor Ort, aber wir bewegten uns dennoch mit gebührender Vorsicht. Ich drehte einige Einstellungen der Polizei, eine Frau, die ein Akkordeon spielte, und einige Bilder von Flaggen. Ich war zufrieden und wollte schon wieder aufbrechen. Als ich auf dem Rückweg war und das restliche Team treffen wollte, stieß ich auf Gennadiy, der sich in einer hitzigen Diskussion befand. Das Thema dieser waren wir. Als Amerikaner wurden wir persönlich für die Ereignisse rund um den Euromaidan in Kiew verantwortlich gemacht. Unser Freund Filipp, der für uns übersetze, sagte, dass es Zeit wäre zu gehen. Wir entfernten uns so ruhig es nur ging. Die Beschimpfungen nahmen an Intensität zu. Irgendjemand hatte meinen Namen aufgeschnappt und rannte nun neben mir her, während er ständig „Steve, Steve, Steve“ sagte. Gennadiy lief nochmal zurück, um unseren Freund John zu holen, der noch immer am Drehen war.

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Einer der Männer, die uns beschimpften, griff sich plötzlich Filipp und zerrte an seinem Hemd. Filipp schaffte es, sich loszureißen und rief nur: „Rennt!“ Von einer Sekunde zur anderen kippte die gesamte Situation. Die Leute, die zuvor nur herumgestanden und gelangweilt gegafft hatten, verwandelten sich plötzlich in einen Mob, der uns verfolgte. Sie waren bewaffnet mit Baseballschlägern, Tränengas und selbstgefertigten Knüppeln. Diesen Anblick werde ich wohl niemals vergessen. Wir rannten in Richtung des Vans und wichen dabei fahrenden Autos auf der Straße aus. Zu sechst quetschten wir uns hinein. Als ich hineinsprang, trat mir ein Demonstrant von hinten in den Rücken. Ich sah Vitalik, der zu Gennadiy gehörte, mit einigen Männern kämpfen. Er teilte Schläge aus und stecke auch welche ein. Die Lautstärke im Van war ohrenbetäubend. Ständig schlug jemand auf das Auto ein. Wieder und immer wieder. Natalya, die für uns arbeitete, wurde aus dem Wagen gezerrt, und wir konnten sie nur wieder hineinziehen, nachdem Filip auf Russisch rief: „Sie ist eine Frau! Sie ist eine Frau!“ Vitalik versperrte mit seinen breiten Schultern die Tür des Vans und versuchte alles, um den Mob von uns fernzuhalten. Er steckte Schlag auf Schlag ein. Sein Hemd war zerrissen und sein Gesicht und Körper bereits knallrot von den Schlägen. Die Fenster des Vans zersplitterten. Ich hatte keine Ahnung, wo John und Gennadiy waren oder was mit ihnen passiert war.

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Das splitternde Glas ließ mir keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Ich entschuldigte mich bei unserem Tontechniker George und sagte, dass es mir leid tut, dass ich ihn zu diesem Trip überredet habe und er dafür seine schwangere Frau und seinen Sohn verlassen hat.

Gerade als unser Fahrer dabei war den Van in Bewegung zu setzen, griff jemand nach seinen Armen, so dass er das Lenkrad verriss und den Wagen in einen parkenden Truck steuerte. Eine weitere Hand sprühte Tränengas in unser Auto während immer mehr Dinge gegen die Karre geworfen wurden. Der Van war total zerstört. Die Reifen zerstochen und die Menge schaukelte das Auto hin und her und versuchte es umzustürzen.

Irgendwie schaffte es unser Fahrer doch noch, sich zu befreien und den Wagen ein paar Meter zu bewegen, bevor der Mob uns wieder einholte. Als ich aus dem Fenster blickte, sah ich plötzlich ein kleines rotes Auto, in dem ein paar Männer saßen. Filipp brüllte, dass wir uns klein machen sollten. Sie zerschossen einen weiteren Reifen mit einer kleinen, selbstgebauten Pistole. Unser Fahrer gab Gas und wir entkamen, indem wir auf den bloßen Felgen fuhren.

Wir landeten auf einer Polizeiwache, wo wir auch John, Gennadiy und Vitalik wiedertrafen. Wie durch ein Wunder konnten sie alle entkommen. Wir wurden daraufhin zum Flughafen eskortiert und warteten dort 15 Stunden auf unseren Flug.

Ich werde diesen Tag niemals vergessen. Ich werde wohl nie verstehen, weshalb Wildfremde versuchten, uns zu verletzen. Und wie Vitalik und Gennadiy, die im Grunde Fremde für uns waren, uns mit ihrem Leben verteidigt haben, als wir zu schwach und verängstigt waren, werde ich auch nie vergessen.