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Mein verdrogtes Studentenleben

Die Schule hat mich sicher nicht auf den Drogenkonsum an der Uni vorbereitet oder mir erklärt, wie ich mit den Kommilitonen umgehe, die es übertreiben. Ich schätze mal, dass sich zwei Drittel der Studenten an meiner Uni regelmäßig etwas reinpfeifen. 

Früher dachte ich immer, dass Universitäten etwas Magisches an sich hätten, der Schlüssel zu einem glücklichen und erfüllten Leben sind, oder so ein Scheiß. Immer wenn ich Studenten begegnete, fühlte ich mich minderwertig, weil sie so viel zu wissen schienen und sich eloquent auszudrücken wussten. Zudem dachte ich, sie könnten ständig ausschlafen, den ganzen Tag kiffen, chillen, Latte in angesagten Cafés trinken und sich so lange, wie es nur geht, vor ehrlicher Arbeit drücken.

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Was den Schlüssel für ein glückliches und erfülltes Leben angeht, habe ich mich getäuscht. Den trägt man in sich. Man muss nur irgendwie an ihn rankommen. Natürlich, Unis können einem dabei helfen, aber das können attraktive und intelligente Freunde/Freundinnen, die richtigen Kontakte oder Transen mindestens genauso gut.

Foto von Manuel Vicente

Was den Teil mit dem Kiffen, Chillen usw. angeht, hatte ich Recht. Ich studiere jetzt im 5. Semester Kommunikation an einer Privatuni in Berlin. Das bedeutet nicht, dass ich den ganzen Tag Bücher wälze oder mich irgendwelchen Lerngruppen anschließe, um für wichtige Klausuren zu lernen. Nein. Das bedeutet, ich stehe gegen elf Uhr auf, rolle mir meine erste Tüte, lasse mich zu einem ausgiebigen Schiss nieder und nehme anschließend ein kurzes Bad.

Dann, so gegen Mittag, begebe ich mich für gewöhnlich auf die Uni. Ich bin mit diesem Uni-Lebenswandel nicht der Einzige, falls ihr das jetzt denkt. Am gegenüber von der Uni liegenden Supermarkt warten meist schon ein paar meiner Homies und trinken das erste Bier des Tages. Spätestens dann wird es Zeit für die zweite und dritte Tüte, bevor es schließlich in die Vorlesung geht—in der Kommilitone Markus auf Alprazolam hockt, das er seiner Mutter aus dem Nachtschränkchen klaut. Oder die zwei schwedischen Austauschstudenten, die die lockeren deutschen Drogengesetze feiern und sich bereits zum Frühstück mit Amphe pushen.

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Ich schätze, dass sich zwei Drittel der Studenten an den Unis regelmäßig etwas reinpfeifen. So wie auf der letzten Weihnachtsparty zum Beispiel. Da bot sich mir ein Bild, wie ich es eigentlich nur aus irgendwelchen Clubs kenne—schniefende Kids, Kokaretten und Joints, wohin man schaut.

Und sie sind weder Penner noch Kriminelle: Sie sind Akademiker und die scheinbare Zukunft dieses großartigen Landes. Sie werden bald Chefs, Professoren, Innen- oder Außenminister werden.

Da wäre zum Beispiel meine bezaubernde Kommilitonin und beste Freundin Anna. Zusammen finden wir uns nicht selten Sonntagnacht im Berghain wieder, wo wir uns gerne von den Uni-Strapazen erholen. Ich muss an dieser Stelle eigentlich nicht erwähnen, was wir uns dort reinziehen, aber ich tue es einfach mal. Anna fährt momentan total auf Ketamin ab. Ich bin eher für die Klassiker—eine schnelle Line, um wach zu bleiben, und ein Ding, um dem ganzen einen wohligen Touch zu verleihen. Und wenn sie dann Montagmorgen irgendwann die Musik abschalten, heißt es für uns: Ab in die Uni!

Einige von euch werden das Gefühl vielleicht kennen, wenn man dem einfachen Arbeitervolk in der Bahn verstrahlt gegenüber sitzt und einen Schuldgefühle oder Ähnliches plagen.

Die Zeiten haben Anna und ich längst hinter uns. Es macht uns nichts aus, verballert Bahn zu fahren, den Leuten in die Augen zu sehen oder in der Vorlesung zu hocken und den Profs unangenehme Fragen zu stellen. Im Gegenteil. Es macht uns sogar Spaß und wir versuchen so oft wie möglich, dicht zu den Vorlesungen zu kommen. Dass das irgendwann zum Problem werden könnte, ist uns dabei aber durchaus bewusst.

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Foto: Universität Erfurt

Manchmal heult Anna den ganzen Tag und ist deprimiert, und ich muss sie daran erinnern, dass es an den Drogen liegt, die ihr Leben so grau und trist erscheinen lassen, und nicht am Leben selbst. Dann legt sie für zwei bis drei Wochen eine Pause ein. Denn wenn sie es nicht tut, neigt sie dazu, alles in Frage zu stellen. Sogar das Studium. Und auch damit ist sie nicht allein. Seit Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge steigt die Wahrscheinlichkeit bei Studenten, eine psychische Erkrankung zu entwickeln, immer weiter an. Über 20 Prozent der Studenten neigen zu Depressionen, Essstörungen oder anderen psychischen Anfälligkeiten, was sicher nicht selten im Zusammenhang mit Drogenkonsum stehen dürfte.

Das Ding ist, und vielleicht liegt es an Berlin, dass es so selbstverständlich ist. Es gibt kein „langsam an die Sachen herangeführt werden" oder ähnliches. Viele meiner Kommilitonen sind nur studieren gegangen, damit sie feiern können. Oder weil sie feiern, erst auf die Idee gekommen zu studieren. Gleich am ersten Tag fanden sich die Leute zusammen, die gerne was ballern, und nach und nach kamen immer mehr dazu.

Das waren dann vor allem die, die aus kleineren Städten kommen und vorher nicht so viele Erfahrungen hatten. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass ich schon älter war, als ich an die Uni gekommen bin und dementsprechend eine andere, entspanntere Sicht auf Drogen hatte.

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Trotzdem ziehen wir unser Studium fast alle durch und rasseln nur selten durch Prüfungen. Ich habe einen Notendurchschnitt von 1,6 und musste noch nie zu einer Nachprüfung antreten. Bei vielen meiner Kommilitonen verhält sich das ähnlich.

Foto: Manchester's The Warehouse Project

Trotz Drogen wie Kokain, Speed, MDMA, Marihuana, Alkohol, Nikotin und dank einer gelegentlichen Ladung Ritalin haben wir unser Unileben relativ gut im Griff.

Meine Eltern und die Eltern von vielen meiner Freunde haben immer gesagt, dass Drogen zu Armut, Verzweiflung und Entwicklungsstörungen führen. Nur labile Penner und Kriminelle würden Drogen nehmen, sagten sie.

Ganz Unrecht hatten sie vielleicht nicht, aber ihre sehr konservative Einstellung zu Drogen ließ sie nicht über den eigenen Tellerrand schauen und sehen, wie es sich mit den Drogen in unserer Gesellschaft mittlerweile verhält.

Zwar liegen mir keine genauen und verlässlichen Statistiken zum Drogenkonsum von Studenten vor, aber laut einem Bericht der Welt trinkt jeder dritte angehende Akademiker zu viel Alkohol und schluckt zudem häufiger Psychopharmaka als seine Altersgenossen. Und auch der Spiegel berichtete schon vor zehn Jahren, dass fast alle Erstsemester an deutschen Unis schon einmal mit Drogen in Berührung gekommen sind. Mich wundert das nicht.

Es wird mir immer bewusster, dass das Studium eine wirklich tolle Zeit sein kann, wenn man es richtig angeht—sogar die beste Zeit meines Lebens. Man kann neue Freundschaften schließen, sich ausprobieren, ficken und feiern und tut ganz nebenbei etwas für seine Zukunft. Aber für viele kann die Uni auch zum Problem werden, denn so manche Uni produziert nicht nur verantwortungsbewusste Akademiker, sie produziert eben auch drogensüchtige Zivilversager. Solche wie meinen alten Freund Felix, der sein Studium nach dem zweiten Semester abbrechen musste und jetzt einer von diesen nervigen Versagern ist, die in der Fußgängerzone Abos verkaufen, nur um sich am Wochenende was reinzuziehen.