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Sex

"Ich bin halt einfach vom alten Schlag": So nutzt meine Mama Tinder

Seit der Trennung von ihrem langjährigen Partner verwendet meine Mutter Tinder. Spoiler: Dating wird mit zunehmendem Alter nur noch schlimmer.
Foto: DariuszSankowski | CC0 Public Domain

Ich selbst bin seit ein paar wenigen Jahren auf Tinder. Wirklich ernst habe ich dieses Business nie genommen—meine Tinder-Dates kann ich an einer Hand abzählen und aus keinem hat sich wirklich mehr ergeben. Irgendwie führt mir Tinder immer wieder das vor Augen, was mittlerweile zum Grundprinzip unseres Datinglebens geworden ist: Es gibt immer noch was Besseres, alle sind austauschbar, noch drei Mal swipen, dann kommt bestimmt der nächste schöne Typ.

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Aber es gibt natürlich auch Nutzer, die über die Kernzielgruppe der App (Männer und Frauen zwischen 18 und 35 Jahren) hinausgehen—zum Beispiel meine Mutter. Sie ist über 50, hat jahrelang in einer Partnerschaft gelebt und plötzlich war sie Single. Eine Frau, die mitten im Leben stand und sich dachte, dass dieses Leben jetzt so lange so weiter geht, bis sie stirbt, musste sich plötzlich wieder damit beschäftigen, wie man einen Menschen findet, mit dem man gerne Zeit verbringt, der einen liebt und umgekehrt. Es hat ein bisschen gedauert, aber als der erste Liebeskummer nach ihrer Trennung vorbei war, begann meine Mutter von vorne und hat sich auf verschiedenen Dating-Plattformen angemeldet—unter anderem auf Tinder. Eine traurige Erkenntnis vorweg: Von meiner Mutter weiß ich, dass es im Dating-Leben mit steigendem Alter bergab geht, obwohl ich das aus meiner Sicht nicht für möglich gehalten hätte.

Als ich meine Mutter frage, warum sie Tinder eigentlich nutzt, sagt sie: "Ich hab mich da eigentlich eher zum Spaß angemeldet. Natürlich habe ich den Hintergedanken, dass ich einen Mann suche, aber solchen Apps stehe ich schon eher skeptisch gegenüber. Ich bin halt einfach vom alten Schlag und wenn ich nur ein Foto von einem Mann sehe, weiß ich ja eigentlich nichts über den. Und ich weiß ja auch nicht, ob die Infos stimmen, die die Männer da über sich rein schreiben."

Sie schaut fast jeden Tag, was auf Tinder so los ist: "Wenn mir einer gefällt, schau ich mir sein Profil genauer an und wenn er mir dann immer noch gefällt, geb ich ihm ein Herz. Wenn aber in seiner Beschreibung zum Beispiel steht, dass er nur nach einem Abenteuer sucht, dann drück ihn ihn gleich weg." Die Kontaktaufnahme ist auch in unserer Elterngeneration ein großes Thema: "Wenn ich mal mit einem ein Match habe, dann schreibe ich eigentlich nie als erste. Ich bin da eher zurückhaltend. Mit einem hab ich mal länger geschrieben, der war mir schon sympathisch, aber das wurde mir schnell zu viel und zu dubios. Der hat mir dann irgendwelche esoterischen Texte geschrieben, dass er mein Engel ist und so. Auch wenn mir einer nach zwei Mal schreiben gleich jeden Tag schreibt, dass er so viel an mich denken muss, bin ich skeptisch. Das kommt mir einfach nicht normal vor."

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Generell findet sie auch die Auswahl der Männer auf Tinder nicht sonderlich berauschend. Ihren Radius hat sie auf 50 Kilometer, das Alter auf 45 bis 60 eingestellt. Sie erzählt: "Tut mir leid, aber viele Männer auf Tinder schauen echt nicht gut aus. Mir fällt aber auf, dass alle Männer in dem Alter absurd viel Sport treiben. Vielleicht einfach, damit sie sich ein bisschen jünger fühlen und ihre Halbglatzen vergessen können. Viele kommen mir vor, als kämen sie direkt aus den 'Liebesg'schichten & Heiratssachen'—gruselige Gestalten, die in ihre Beschreibung schreiben, dass sie schlanke, blonde, zierliche Frauen suchen. Die wollen sich halt selbst aufpolieren und aufwerten, weil sie nicht als alt wahrgenommen werden wollen—was sie nun mal einfach sind."

Wer ein Tier als Profilbild hat oder mit seiner Frau oder den Kindern auf dem Foto ist, den klickt meine Mutter sofort weiter. Sie findet, sich Menschen auf Tinder anzuschauen, ist ein bisschen wie in einem Katalog zu blättern—aber nicht mehr.

Insgesamt hatte sie zwei Tinder-Dates: "Der erste war ein bisschen irre. Erstens war er total geizig und hat im Lokal die Rechnung aufteilen lassen, obwohl ich nur ein Cola getrunken habe. Und küssen hat er auch überhaupt nicht können. Als ich ihm dann nett gesagt habe, dass der Funke bei mir einfach nicht übergesprungen ist, ist er durchgedreht—und das, obwohl ich ihn nur zwei Mal getroffen habe und nicht mehr als ein Kuss passiert ist. Jedenfalls war der dann total angepisst und hat mir mitten in der Nacht wütende Nachrichten geschrieben."

"Der zweite war am Anfang total lieb und ein echter Gentleman. Küssen konnte der aber auch nicht. Warum kann das eigentlich keiner? Wie machen die Kinder, wenn sie nicht einmal küssen können? Jedenfalls wollte der sehr schnell mehr und dann gleich einmal ein ganzes Wochenende bei mir verbringen. Dann hat er mir mal geschrieben 'Wir sollten uns treffen und übereinander herfallen' und wollte im Endeffekt einfach gelegentliche, lockere Treffen. Da kann man sich eh schon denken, worauf der aus ist. Sowas interessiert mich nicht."

Wenn ich mir das Datingleben meiner Mutter ansehe, muss ich feststellen dass die Partnersuche im Alter der reine Albtraum ist. Die gleichaltrigen Männer wollen jüngere Frauen oder lediglich lockere Geschichten, niemand will mehr aus der Comfort Zone, die er sich ein ganzes Leben lang aufgebaut hat. Das stimmt einen nicht gerade zuversichtlich für die Zukunft. Aber was mich sehr wohl zuversichtlich stimmt, ist, dass meine Mutter trotz der von der Midlife Crisis geprägten Cabrio-Fahrer optimistisch bleibt: "Tindern ist für mich einfach total interessant. Und es hat was Gutes: Es gibt dem Selbstbewusstsein Auftrieb, wenn die jemand was Nettes schreibt. Auch, wenn es nur Geschwafel ist."


Foto: DariuszSankowski | CC0 Public Domain