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Migranten erzählen, was sie über Deutschland denken

Sieben Menschen aus sieben Ländern berichten, warum sie gekommen sind, wie ihr Leben in Deutschland ist und wie sie sich die Zukunft vorstellen.

Jeder, der nach Deutschland kommt, und noch nicht die deutsche Sprache spricht, muss einen Sprach- und Integrationskurs belegen, um nachweisen zu können, dass er oder sie sich verständigen kann. Viele Sprachschüler werden dazu von der Ausländerbehörde oder vom Jobcenter verpflichtet, andere kommen aus eigenem Antrieb.

Die Sprachschule ist also für viele Migranten, egal welcher Herkunft, eine der ersten Anlaufstellen, um sich in einem neuen Land, einer neuen Stadt und einem neuen Kulturkreis zurechtzufinden. Das Lernen der neuen Sprache ist der Schlüssel für ihren weiteren Aufenthalt im neuen Land. Oft sind die Sprachlehrer auch die ersten Ansprechpartner, was ganz praktische Hilfe im Alltagsleben angeht—seien es Schwierigkeiten mit Formularen und Behörden, bei der Wohnungssuche, aber auch bei privaten Problemen.

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Die folgenden Fotos sind Teil einer Serie von Joanna Scheffel, für die sie 21 Schülerinnen und Schüler und drei Lehrerinnen einer Sprachschule fotografiert und interviewt hat. Alle Schüler bekamen in einem Kurzinterview die gleichen Fragen gestellt: nach Name, Herkunft und Alter; wie lange sie bereits in Deutschland leben und wie lange sie schon Deutsch lernen; was ihnen am Leben in Deutschland gefällt, und was nicht. Text und Fotos von Joanna Scheffel, Mehr von ihren Fotos findet ihr hier.

Denis ist seit einem halben Jahr in Deutschland und lernt seit vier Monaten Deutsch. Seine Mutter und seine Cousins waren schon vor ihm da. Ihm gefällt alles in Deutschland, er geht gerne in Clubs oder zum Fitnessstudio und fährt gern U-Bahn. Denis möchte nach bestandenem Sprachkurs entweder eine Polizei-Ausbildung machen oder zur Bundeswehr gehen.

Rezeda lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern seit vier Monaten in Deutschland. Seit zwei Monaten besucht sie einen Deutschkurs, davor lernte sie Deutsch im Selbststudium. Rezedas Mann fand eine gute Stelle in Berlin und arbeitet hier als Programmierer mit einer Blue Card. Sobald sie den Sprachkurs abgeschlossen hat, will Rezeda arbeiten—in Russland war sie Mathematiklehrerin und Buchhalterin. Am Leben in Deutschland und Berlin gefällt ihr, dass sie in einer Demokratie lebt und gute Menschen kennengelernt hat. Berlin bietet viele interessante Orte. Sie freut sich darüber, neue Erfahrungen machen zu können. Anfangs waren das Leben und die Umstellung noch schwer und stressig, jetzt ist alles einfacher.

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Solange hat in Rio als Friseurin gearbeitet. Sie lebt seit etwa drei Jahren in Deutschland und hat damals nach einem Monat mit dem Sprachkurs angefangen. Wegen bürokratischer Verzögerungen musste sie den Kurs unterbrechen und lernt jetzt seit circa einem Jahr Deutsch. Das erste Mal kam Solange nach Deutschland, um ihre Tochter zu besuchen, die einen Deutschen geheiratet hatte. Bald darauf lernte sie selbst jemanden kennen; die Beziehung ging jedoch nach fünf Jahren in die Brüche. Kurz darauf lernte sie einen neuen Mann kennen, den sie zwei Jahre später heiratete. Solange mag Berlin. Hier gibt es viele verschiedene Kulturen, es ist sicherer als Rio, sie kann als Frau alleine auf die Straße gehen und sie lebt hier freier: Die Menschen ziehen an, was sie wollen. LGBT*-Menschen können sich zum Beispiel in Brasilien nicht auf der Straße küssen, in Berlin dagegen schon. In Rio würde mehr Wert auf Äußerlichkeiten gelegt, Leute tratschten und seien konservativer. Solange kennt noch nicht so viele Deutsche, das will sie aber ändern. Sie kritisiert Aggressionen gegen Ausländer und die Ausländerfeindlichkeit besonders von jungen Neonazis; oft wären es Ausländer, die in Jobs arbeiteten, die Deutsche selbst nicht übernehmen wollten. Sie sagt, in Brasilien gibt es keinen Ausländerhass—im Gegenteil, Ausländer würden als positiv fürs Land wahrgenommen, und alle Brasilianer waren irgendwann einmal Ausländer. Eine brasilianische Bekannte von ihr mit japanischen Eltern wird in Brasilien als Brasilianerin wahrgenommen; in Deutschland dagegen als Japanerin. Solange vermisst zwar ihre Freunde und ihre Familie sehr (sie ist inzwischen zweifache Großmutter), aber sie möchte auch nicht zurück—die wirtschaftliche Situation und die soziale Infrastruktur seien einfach zu schlecht. Momentan ist sie auf Jobsuche in Berlin.

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Mwajuma kommt ursprünglich aus Arusha in Tansania. In Berlin arbeitet sie an der tansanischen Botschaft. Sie lebt (mit Unterbrechung) seit zwei Jahren in Deutschland und ist mit einem Berliner verheiratet, dessen Vater auch aus Tansania kommt. Ihre deutsche Schwiegermutter hilft ihr ab und zu mit ihrer kleinen Tochter. Ihre Familie in Tansania vermisst sie sehr, aber ihre Tochter muss erst noch ein bisschen größer werden, bevor sie ihre Familie in Tansania besuchen kann.

Chandra war 30, als sie vor 28 Jahren nach Deutschland kam. Seit drei Monaten nimmt sie an ihrem zweiten Deutschkurs teil, vor vier Jahre besuchte sie zum ersten Mal überhaupt einen Deutschkurs. Chandra floh damals vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka—ihre Eltern verheirateten sie nach Deutschland. Ihre Geschwister leben in London, Paris und Dänemark, alle drei Monate besuchen sie sich gegenseitig. Chandras drei Kinder sind in Berlin geboren; zu Hause werden Tamil, Deutsch und Englisch gesprochen. Schwierig sind für Chandra Arztbesuche und auch an die Kälte konnte sie sich nie gewöhnen.

Yazans Heimatstadt ist Homs in Syrien. Er ist seit elf Monaten in Deutschland und nimmt seit eineinhalb Monaten am Deutschkurs teil. Bevor er nach Deutschland kam, studierte Yazan in Algerien und blieb dort, als sein Visum ablief. Zurück nach Syrien konnte er nicht, da er sonst in die Armee eingezogen worden wäre. Sein Fluchtweg führte über Libyen zunächst nach Sizilien. In Pozzallo wurden ihm sowohl seine Papiere als auch sein Handy abgenommen, so dass er zunächst festsaß und keine Möglichkeit hatte, seine Familie zu kontaktieren. Er und weitere Flüchtlinge wurden unter Nummern, nicht unter Namen registriert. Um gegen die unmenschlichen Umstände zu protestieren, trat Yazan in einen 25-tägigen Hungerstreik ein. Erst dann ließen ihn die Behörden gehen. Über Mailand, Nizza und Frankfurt gelang er nach Göttingen, wo er Asyl beantragte. Er wurde erst in ein Heim in Hamburg geschickt, wo er sich unwohl fühlte—es war dreckig, ständig wurde getrunken und geraucht, und das Leben fühlte sich unwirklich an, sagt er. Er beschloss, nach Berlin zu gehen, wo ein Onkel von ihm wohnt, der selbst drei Kinder hat. Hier kann er erst einmal wohnen, doch sucht er auch eine eigene Wohnung.

Narin lebt seit zwei Monaten in Deutschland und lernt seit sechs Monaten Deutsch. Vorher lebte sie in Warschau und ist nach Deutschland gekommen, um Klavier zu studieren. Sie liebt Berlin und ist froh, hier zu sein—das Leben ist hier zwar teurer als in Polen, dafür hat sie Freunde. Südkorea ist im Bereich der klassischen Musik sehr kompetitiv, dort möchte sie nicht leben, sondern lange in Deutschland bleiben; auch wenn Deutsche unflexibel sein können, denn „Regeln sind schließlich Regeln".