FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Minderheit in der Minderheit: Ich bin lesbisch und war mit 15 schwanger

In einem Jahr kam alles: Kind, Coming-Out, Mutter weg. Auf einmal war Julia eine alleinerziehende lesbische Teenage-Mutter.

Die Frauen, die Andrea Sömmer fotografiert und interviewt, müssen nicht nur dafür kämpfen, von der Gesellschaft akzeptiert zu werden—sie kämpfen auch gegen die Diskriminierung in der eigenen Szene. Mit ihrer Serie "Randgruppe" geht die Regisseurin und Fotografin der Frage nach, wie es ist, in der Minderheit eine Minderheit zu sein. Sie hat Frauen porträtiert, die sich am Rand der lesbischen Szene bewegen—und es deshalb häufig nicht einfach haben. In den letzten Wochen haben wir Trish vorgestellt, die als Domina arbeitet, Laila, die einen Bart hat und Flora, die es als Femme in der Lesbenszene nicht einfach hat.

Anzeige

Trailer zu 'Randgruppe'

Julia, 24 Jahre alt, Altenpflegerin und Romina, 9

VICE: Siehst du dich selbst als Randgruppe in der Randgruppe?
Julia: Ja. Ich bin lesbisch und mit 15 Mama geworden. Da war ich bei vielen Lesben unten durch.

Wie kam es zu deiner Tochter?
Ich wusste zwar damals schon, dass ich auf Frauen stehe. Meine damals beste Freundin fand ich total toll. Ich habe bei ihr immer das Kribbeln im Bauch gehabt. Aber ich habe ein strenges Elternhaus und hatte total Schiss zu sagen: Ich finde Mädchen auch ganz interessant. Dann habe ich einen Mann kennengelernt, den ich aber eher als guten Kumpel gesehen habe.

Er wollte irgendwann mehr, aber ich hatte höllische Angst. Hab das ein, zwei Mal zugelassen und mir dann schnell Ausreden einfallen lassen, warum ich nicht mit ihm schlafen will. Ein paar Wochen später war mir permanent schlecht. Meine Mutter schleppte mich zum Frauenarzt um einen Schwangerschaftstest zu machen. Die ersten drei habe ich manipuliert, weil ich es nicht wahrhaben wollte. Der Arzt sagte: sechste Woche. Meine Mutter hat ihm 100 Euro geboten, damit er es gleich wegmacht. Aber da bin ich aufgestanden und gegangen.

Auf den Fotos sind Julia und Romina jeweils 22 und 7 | Alle Fotos: Andrea Sömmer

Woher nahmst du den Mut?
Ich war schon immer sehr rebellisch. Daraufhin ist meine Mutter für ein Jahr abgehauen und hat mich bei meinem Vater zurückgelassen. Gleich nach der Geburt habe ich meinem Vater gesagt, dass ich auf Frauen stehe. Mit ihm konnte ich schon immer reden.

Anzeige

Mit fünfzehn warst du also eine frischgebackene alleinerziehende Lesbe.
Ja, in die Rolle musste ich mich auch erstmal reinfinden. Ich wusste ja gar nichts, nicht einmal wo ich die Frauen finde. Ich war dann viel auf der lesbischen Datingplattform "Lesarion" unterwegs und dachte zuerst: Die sehen ja alle aus wie Männer. Das wollte ich nicht. Aber dann habe ich da doch meine Ex kennengelernt. Sie war aber kein guter Einfluss: Sie trank viel und später habe ich rausgefunden, dass sie auch Drogen nahm. Meine jetzige Freundin hat mich da rausgeholt, aber damals war sie mir zu jung. Sie war 16, ich 18. Ich machte Schluss, habe viel ausprobiert und viele Frauen gehabt. Letztendlich bin ich dann doch zu ihr zurück. Das funktioniert bis jetzt super. Außer mit meiner Familie.

Deine Mutter ist immer noch gegen eine Beziehung mit einer Frau?
Total. Meine Mutter hasst meine Freundin dafür, dass ich lesbisch bin. Sie hat Hausverbot in meinem Elternhaus. Ich komme aus einem kleinen Dorf. Meine Mutter hat immer wieder Treffen mit mir vereinbart, wo plötzlich ein Mann stand, den ich kennenlernen sollte. Sie waren alle älter und konnten die Finger von mir nicht lassen. Ich dachte mir, das kann doch wohl nicht wahr sein. Meine Mutter hat aber trotzdem immer weiter gemacht. Sie sagte, ich solle nicht so prüde sein. Schließlich haben die Geld.

Wie lebst du jetzt?
Ich wohne jetzt wieder in meinem Heimatdorf, aber auch das ist schwer: Ich bin jung. Habe eine kleine Tochter, eine sehr junge Freundin, die im Kopf noch ein Kind ist. Die abwertenden Blicke tun schon weh. Oder wenn die Leute plötzlich nicht grüßen, oder die Straßenseite wechseln. Meine beste Freundin, die immer mit mir im selben Bett geschlafen hat, wollte plötzlich eine einzelne Matratze haben, nachdem sie erfahren hat, dass ich lesbisch bin. Aber unsere Nachbarn stehen hinter uns und helfen uns viel.

Anzeige

Wie sind die die Reaktionen in der Szene, wenn sie erfahren, dass du schon eine Tochter hast?
Als ich nach einer Partnerin in meinem Alter gesucht habe, wollten viele die Verantwortung nicht tragen—und haben einen Rückzieher gemacht. Sie wollen lieber feiern. Auf Partys ist es unglaublich schwierig mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Ich habe auch viele Freunde verloren. Sogar meine beste Freundin. Ich wünschte, die Szene wäre offener. Ich bin, nur weil ich Mutter bin, nicht anders. Man kann mit mir auch lachen und Spaß haben. Wir sitzen dann nur nicht in der Kneipe, sondern auf dem Spielplatz.

Was unterscheidet dich von Lesben in deinem Alter?
Ich finde es nicht mehr cool, in der Bar zu saufen, sondern gehe in den Zoo oder zelten. Ich muss nicht weit reisen und trinke keinen Alkohol. An Silvester stoßen wir mit Kindersekt an. Mode ist bei mir auch zweitrangig. Das ist auch eine Frage des Geldes. Ich denke auch vorausschauender als die anderen Lesben in meinem Alter. Meine Gleichaltrigen geben all ihr Geld sofort am Monatsanfang aus. Das kann ich nicht. An erster Stelle steht mein Kind.

Bereust du manchmal in deinem Alter ein Kind zu haben?
Ganz ehrlich, manchmal vermisse ich es, einfach verschwinden zu können. Es kommt selten vor, aber ich habe auch Tage, an denen ich denke: Scheiße, jetzt packe ich meine Sachen und weg hier. Ich wollte immer Au-pair werden. Das ist immer noch ein Traum von mir. Oder mal ein Wochenende nach London fliegen. Shoppen gehen. Das fände ich toll.

Hat deine Tochter ein Problem damit, dass sie eine lesbische Mutter hat?
Klar fragt sie manchmal, wenn sie vom der Schule kommt: "Die Alicia wurde vom Papa abgeholt, wo ist eigentlich meiner?" Und ich kann einer Neunjährigen auch nicht sagen: Dein Papa hat sich nie für dich interessiert. Aber generell kommt sie gut damit klar. Ich bin Mama, meine Freundin ist Mutti. Als eine Mitschülerin sie drauf angesprochen hat, sagte sie ganz stolz: "Tja, ich habe halt zwei Mamas und du nur eine."

Was wünscht du dir für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass es mit mir und meiner Freundin hält. Ich bin halt ihre erste Frau. Da sind die Bedenken groß, dass sie nicht bleibt. Ich würde gern heiraten und ein weiteres Kind kriegen. Und beruflich will ich auch ankommen und mehr erreichen. Außerdem wünsche ich mir, endlich von meiner Mutter akzeptiert zu werden. Momentan hasse ich sie. Zwar besucht meine Kleine die Großeltern, aber das Verhältnis ist schrecklich. Ich wünsche mir, dass sie mich einfach mal in den Arm nimmt und sagt, hey Große, ich hab dich lieb.