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Türkische Medien drucken Merkel als Adolf Hitler auf ihre Titelseiten

"Hitlers Enkel beschuldigen die Türkei des Genozids. Schämen Sie sich!"

Man wird es nicht los, das alte Stigma | imago | Florian Schuh

"Hitlers Enkel beschuldigen die Türkei des Genozids. Schämen Sie sich!" Seit kurzem herrscht wieder vermehrt böses Blut zwischen der Türkei und Deutschland. Die türkische Zeitung Sabah schreibt "Unser Waffenbruder ist uns in den Rücken gefallen" und auf diplomatischer Ebene müssen die Regierungsangestellten ordentlich Meter machen: Die türkische Regierung zog ihren Botschafter aus Berlin ab und im Gegenzug wurde in Ankara der Geschäftsträger der deutschen diplomatischen Vertretung ins Außenministerium zitiert.

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Dem politischen Säbelrasseln liegt die Annahme der Völkermord-Resolution zu den Massakern an den Armeniern zugrunde, auf die sich der Bundestag gestern einigte. Bis zu 1,5 Millionen Angehörige der christlichen Minderheit sollen im Osmanischen Reich ums Leben gekommen sein, alles Armenier, alles in den Jahren 1915/1916—die historisch-informativen Berichte zum Völkermord sind seit Tagen in der deutschen Presse sehr präsent.

In den türkischen Medien dagegen ist es Angela Merkel in ihrer Rolle als Photoshop-Hitler und Obernazi, nachdem die Annahme der Völkermord-Resolution gestern beschlossene Sache wurde. Den Vogel abgeschossen hat bislang die regierungskritische Zeitung Sözcü:

Merkel'i Hitler yapmışlar sdcbbb — Katli Vacip (@kedikara)3. Juni 2016

Der Text zur Illustrationen lautet sinngemäß: "Deutschland, das im Zweiten Weltkrieg Völkermord begangen hat, indem es sechs Millionen Juden massakrierte, und das mit Waffenlieferungen an die PKK den Weg dafür bereitet hat, dass unsere Kinder zu Märtyrern werden, hat den sogenannten armenischen Genozid ratifiziert…WIR SIND WÜTEND". Und weiter dann die Anklage: "Hitlers Enkel beschuldigen die Türkei des Genozids. Schämen Sie sich!" Gut, Hitler war zwar Österreicher, wodurch die mit historischer Referentialität beladene Ohrfeige hier etwas in Leere läuft, aber wir wissen ja, wie es gemeint ist. Trotzdem hätte man etwas mehr Erdkunde- und Geschichtskenntnisse von den Redakteuren der nach Auflagen viertstärksten Tageszeitung in der Türkei erwarten können. Wenn schon beleidigen, dann bitte mit etwas mehr Liebe. Wie schreiben immerhin Gedichte. Ein Fun Fact am Rande: Sözcü wird von Axel Springer vertrieben.

Doch es sind nicht nur Tageszeitungen, auf denen Deutschlands Staatsoberhaupt mit einem schnittigen Bärtchen zu glänzen weiß—auch auf Magazinen findet Merkdolf ihren Einsatz:

Star durur mu? — Katli Vacip (@kedikara)3. Juni 2016

Diese oder zumindest ähnliche Reaktionen waren aber zu erwarten und das Letzte, was wir machen sollten, ist, uns über den türkischen Medienfuror überproportional zu echauffieren, allein vor dem Hintergrund des Böhmermännischen Schmähgedichts. Wer selbst austeilt und mit harten Bandagen kämpft, sollte zumindest Sportsmann/-land genug sein, um auch humorvoll einstecken zu können.

Und was die diplomatischen Beziehung beider Länder anbetrifft, scheint die Lage auch nicht derart hochgekocht zu sein, wie man annehmen könnte—gegenüber der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu erklärte Premierminister Binali Yildirim: "Ungeachtet der Umstände werden wir unsere Beziehungen zu unseren Freunden und Verbündeten fortsetzen."Und: "Deutschland und die Türkei sind zwei sehr wichtige Verbündete." Das klingt doch versöhnlich und macht Hoffnung auf Frieden jenseits des über Druckerpressen und Computerbildschirme geführten Schlagabtauschs.