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​Monsanto, Krebs und Bier: Worum geht es bei der Glyphosat-Debatte?

Trinkst du gerne Muttermilch und willst trotzdem keinen Krebs? Dann lies dir das hier besser genau durch.
Foto: imago | Steinach

Hast du Lust, an Krebs zu sterben? Nein? Dann solltest du jetzt dringend weiterlesen! Und zwar auch, wenn gleich so sperrige Wörter wie "Chemikalie" oder "Experten der EU-Kommission" auftauchen. Bist du bereit? OK, dann los:

Heute entscheidet eine Expertenrunde der EU-Kommission darüber, ob die Chemikalie Glyphosat weiterhin eine EU-weite Zulassung bekommt oder nicht. Je nachdem, wen man fragt, ist das eine sehr wichtige Entscheidung für uns alle—oder komplett egal. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo in der Mitte, weil die Wahrheit grundsätzlich am liebsten arschfaul irgendwo in der Mitte herumliegt und nach Bier quengelt.

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Darum geht es in der Debatte: Ackerflächen werden in glyphosat-haltigen Unkrautvernichtern getränkt, was zur Folge hat, dass man Spuren davon nicht nur im Bier findet, sondern auch in der Milch, im Getreide, im Wasser und im Urin von Tieren und Menschen. Darum ist nun eine heftige Debatte entbrannt, weil viele Glyphosat-Gegner glauben, dass das Mittel krebserregend ist.

Dabei stützen sie sich vor allem auf eine 2015 von der Internationalen Behörde für Krebsforschung (IARC) veröffentlichten Studie, laut der Glyphosat "wahrscheinlich krebserzeugend" ist. Das ist natürlich erstmal besorgniserregend. Nur erwähnen die Gegner dabei eher selten, dass das dieselbe Kategorie ist, in die die IARC vor Kurzem auch rotes Fleisch, heißen Mate-Tee und Schichtarbeit einsortiert hatte.

Tatsächlich hat die Mutterorganisation der IARC, die WHO, vor genau drei Tagen eine neue Studie veröffentlicht, laut der es "unwahrscheinlich" sei, "dass Glyphosat bei der Nahrungsaufnahme für Menschen ein Krebsrisiko darstelle". Das klingt erstmal nach deutlicher Entwarnung und wurde von der EU-Kommission dankbar aufgenommen, immerhin hatte die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit schon im November 2015 so ziemlich dasselbe festgestellt.

Ist die Sache damit also geklärt? Weit gefehlt: Am Dienstag meldete der englische Guardiannämlich, dass sowohl der Vorsitzende als auch der stellvertretende Vorsitzende der WHO-Diskussionsrunde, die Glyphosat für nicht so gefährlich erklärt hatte, nicht ganz unbefangen sind: Beide Wissenschaftler sitzen nämlich schon seit Jahren im Vorsitz des International Life Science Institute (ILSI), das 2012 jeweils eine halbe Million Dollar angenommen hat—einmal von der Firma Monsanto, und einmal von einer Industrie-Gruppe, der Monsanto auch angehört.

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Das ist insofern etwas problematisch, weil Monsanto einer der Hauptlieferanten des auf Glyphosat basierenden Pestizids "Roundup" ist. Und weil Monsanto sowieso einen denkbar schlechten Ruf hat—sowohl bei ernsthaften Umweltschützern als auch bei Verschwörungstheoretikern, die den Konzern für eine jüdische Weltunterjochungsmaschine halten—, kocht die Debatte gerade wieder so richtig hoch.

Finger weg vom Alkohol! Foto: imago | fossiphoto

Eine nachweisbare Auswirkung hat Glyphosat auf jeden Fall: Je mehr man sich mit dem Thema beschäftigt hat, desto ratloser wird man. "Niemand blickt mehr durch", beschließt deshalb auch dieser Text auf Zeit Online, der aber trotzdem empfiehlt, das Zeug erstmal vorsichtshalber zu verbieten. Nicht, weil es einen echten Grund dafür gibt, sondern einfach, weil "die Bevölkerung wegen der Chemikalie in Sorge ist". Der Text endet dann mit einem Musterbeispiel an entschlossener Unentschlossenheit:

"Europa braucht eine Entscheidung. Für oder gegen Glyphosat, die Diskussion sollte ein Ende finden. Ganz gleich, wie die Kommission votiert: Die Menschheit wird nicht an Glyphosat zugrunde gehen."

Was so viel bedeutet wie: Keine Ahnung, ich will nicht mehr drüber nachdenken. Blöderweise heißt das, dass wir immer noch nicht wissen, ob Glyphosat jetzt krebserregend ist oder nicht. Andererseits ist das vielleicht auch nicht ganz so wichtig: Immerhin enthält Bier eine Milliarde mal mehr Alkohol als Glyphosat—und Alkohol ist auf jeden Fall krebserregend. Und auch wer sich mit einer Zigarette auf eine Anti-Glyphosat-Demo stellt, muss sich auch auf den Vorwurf akuter Stammhirnverkrebsung gefasst machen.

Aber vielleicht geht es bei dem Protest auch gar nicht so sehr um die Gesundheit. Vielleicht geht es eher um den freien Willen: Wenn wir uns mit Bier und Zigaretten in ein karzinogenes Koma saufen und rauchen, dann ist das immerhin noch unsere Entscheidung. Aber das Letzte, was wir dann noch brauchen, ist so Mikrokrebs, den uns irgendein undurchsichtiger amerikanischer Konzern über Jahrhunderte langsam einträufelt. Wo mein Krebs herkommt, bestimme immer noch ich!