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Wirres Deutschland

Die Montagsdemo hat mich vor Langeweile fast sterben lassen

Die Leute von der Montagsdemo sind uns auf die Schliche gekommen. Sie haben gemerkt, dass auch wir Teil der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung sind und dass wir die Regierung in der Ukraine gestürzt haben.

In den letzten Wochen kursierten Facebook-Posts eines deutschen Anonymous-Kollektivs, in denen gezielt dazu aufgerufen wurde, Shitstorms auf Social-Media-Seiten von Medienunternehmen auszulösen, die sich der Aktivistenmeinung nach nicht oder nicht korrekt mit der Situation in der Ukraine und der deutschen und/oder amerikanischen Außenpolitik beschäftigen. Man regt sich auch über die angeblich unfaire Berichterstattung über die AfD auf und einer der Hauptkritikpunkte ist das Totschweigen der Montagsdemos. Diese neuen Montagsdemos haben sich in den letzte Wochen entwickelt und sind zu einem Sammelpunkt einer tendenziell ziemlich rechten Bewegung geworden, die sich anti-amerikanisch, sehr EU-kritisch und extrem pro-russisch positioniert. Nun fühlt man sich allerdings nicht richtig wahrgenommen. Niemand berichtet jemals über diese wackeren Demonstranten und wenn dann nur negativ.

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Und wo kommen wir denn da hin, wenn die Medien nicht berichten, was und wie man es gerne hätte? Und nur weil auf diesen Veranstaltungen regelmäßig NPD-Funktionäre auftauchen, muss man doch nicht ständig rumheulen. Der Konsens der Demonstranten scheint zu sein, dass das Konzept von links und rechts veraltet ist und es gegen demokratische Prinzipien verstoßen würde, die Rechten nicht teilnehmen zu lassen. Eine interessante Argumentation, die allerdings immer nur dazu benutzt zu werden scheint, rechte Teilnehmer zu legitimieren. Jetzt hatten wir Medienschaffende in den letzten Wochen viel zu tun, wir haben die Maidan-Proteste ausgelöst, die ukrainische Regierung zu Fall gebracht, wie immer an der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung gearbeitet und uns im Allgemeinen von der CIA gleichschalten lassen. Und natürlich hassen wir Russland und unterdrücken alle gegenteiligen Meinungen in der Öffentlichkeit. Allerdings mussten wir dann bei der großen gemeinsamen Redaktionskonferenz aller deutschen Medien, in der wöchentlich festgelegt wird, welches Thema wir gerade totschweigen, feststellen, dass man uns auf die Schliche gekommen ist! Wir werden jetzt jedenfalls unser von der CIA verordnetes Schweigen brechen und haben deswegen die Demo, die gestern Mahnwache hieß, am Brandenburger Tor besucht. Was wir erwarteten, war die Revolution der Neuen Rechten, was wir erlebt haben, waren drei Stunden quälender Langeweile und Absurdität. Tatsächlich waren geschätzte 1600 Demonstranten vor Ort, eine relativ bunte Mischung, die von außen aussah wie der Betriebsausflug einer Versicherungsgesellschaft. Zum größten Teil relativ junge deutsche Wutbürger, die ihr Heil in obskuren Verschwörungstheorien zu suchen scheinen, weil die Realität vielleicht zu komplex oder zu langweilig ist. Die Redebeiträge waren, gestern zumindest, nicht so sehr politisch als eher esoterisch angehaucht.

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Ein veganer Buchautor sinnierte darüber, wie schön er es findet, ein Mensch zu sein, wenn er unter singenden Vögeln in einem Park spaziert, Herman Barges, Florist und Landschaftsgärtner, sprach über Selbstversorgung nach dem Zusammenbruch der Gesellschaft und davon, wie es den Menschen vor dem Kapitalismus viel besser ging. Außerdem scheint es seinen Worten nach heute einem Ritterschlag gleichzukommen, als Neurechter bezeichnet zu werden. Ansonsten mehr Esoterik über den Ursprung von Krankheiten aus den kapitalistischen Umständen. Danach hielt Bilbo Calvez eine unendliche Rede, die aus der Perspektive einer Geschichtslehrerin aus der Zukunft von die große Revolution von 2014 sprach.

Unterbrochen wurden die Beiträge von wirklich grässlichem HipHop von einem Wiener „Künstler“, der über die furchtbaren Medien rappte und sich selbstverständlich von allen rechten Tendenzen distanzierte (ebenfalls etwas, das aus irgendeinem Grund nur diejenigen tun, die es nötig zu haben scheinen) und es schaffte, die versammelten Versicherungsvertreter zum Wippen zu bringen.

Auf der anderen Seite des Brandenburger Tores zeigte sich dann allerdings auch die richtig hässliche Seite der Montagsdemos. Hier hatte Rüdiger Klasen seine Transparente aufgebaut. Der ehemalige NPD-Kader glaubt, dass es niemals einen Friedensvertrag mit Deutschland gegeben habe, die BRD kein Land sondern eine Firma sei, und er erklärte den Umstehenden per Megafon, wie ihr Personalausweis von der CIA dazu benutzt wird, sie auszuspionieren. Alles in allem müssen sich weder die CIA noch die jüdische Weltverschwörung zur Zeit große Gedanken machen. Alles ist im Lot. Das einzige, was diese Montagsdemo konnte, war, uns zu Tode zu langweilen.

Fotos: Grey Hutton

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