FYI.

This story is over 5 years old.

Popkultur

Machos in Öl und Blut

In Moritz Bleibtreus neuem Film gibt es ordentlich aufs Maul, er selbst hat dabei jedoch nichts abbekommen und ist darüber auch ganz froh.

Foto: Stephan Rabold / © Wild Bunch Germany 2014

Zugegeben, das Kinoplakat von Stereo ist schon ziemlich dick aufgetragen. Da werden die finster dreiblickenden Gesichter von Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu zusammenmontiert wie einst Travolta und Cage in Face/Off. Die starke Visualität und der düstere Elektro-Soundtrack von Max Erlenweins Film erinnern dafür glücklicherweise eher an die Videos von Chris Cunningham.

Anzeige

Stereo erzählt die Geschichte des stets ölverschmierten Motorradschraubers Eric (Jürgen Vogel), der sich auf der Flucht vor seiner Vergangenheit ins brandenburgische Landidyll inklusive blonder Freundin, blonder Stieftochter und Dorfbullenschwiegervater verzogen hat. Doch bald holt ihn die Vergangenheit in Form des imaginären Kapuzenmannes Henry (Moritz Bleibtreu) ein, der den lieben Eric mit Machosprüchen traktiert und ihn dazu antreibt, sich mit einem fiesen österreichischen Gangsterboss und anderen dunklen Gestalten anzulegen und dabei ordentlich auszuteilen. Und zwar so, bis das Blut spritzt.

Moritz Bleibtreu darf zwar selbst nicht zuschlagen, hat mit Henry aber trotzdem die coolere Rolle erwischt und ist von dem Film selbst so begeistert, dass er unbedingt mit uns darüber reden wollte.

VICE: In Stereo werden für einen deutschen Film ungewöhnlich harte Geschütze aufgefahren. Es gibt jede Menge Gewalt, fiese Gangster im Kellerpuff und in der Sexszene sogar ein brennendes Bett. Ich habe gelesen, dass das Skript von Stereo ein Drehbuch war, das dich seit langer Zeit einmal wieder richtig begeistern konnte. Was genau hat dich an dem Film gereizt?
Moritz Bleibtreu: Im Grunde waren es genau diese Extreme. Und zwar nicht weil man da Extreme erzählt, um der Provokation willen oder um extrem sein zu wollen, sondern weil es ein Film ist, der in sehr schillernden Farben trotzdem eine sehr emotionale und ganz dichte Geschichte über Menschen erzählt. Diese Kombination, dieser Genremix ist was ganz, ganz Seltenes. Sowas findet man nicht oft in Deutschland, weil der Thriller generell und besonders hier ein Problemgenre ist. Und weil es hier bisher einfach auch zu wenige Beispiele gab, die am Box Office funktioniert haben.

Anzeige

Foto: Stephan Rabold / © Wild Bunch Germany 2014

Wünscht du dir im deutschen Kino mehr Mut zur Action ohne Angst, dabei auch mal ein bisschen trashig zu sein?
Ich weiß nicht, ob Mut in dem Zusammenhang das richtige Wort ist. Das sagt man gerne und wahrscheinlich bezeichnet es auch das Richtige, aber eigentlich hat das mit Mut gar nichts zu tun. Wir sind ziemliche Kontrollfreaks in Deutschland, im Positiven wie im Negativen. Und Film und eine bestimmte Art von Wahnsinn in der Kunst lebt natürlich auch vom Kontrollverlust, vom kontrollierten Kontrollverlust, und in Deutschland driften dann viele Inhalte in Richtung Erklärung ab. Man versucht immer, eine Antwort zu haben, immer eine Lösung zu haben, man versucht, das für sich greifbar zu machen, und dann läuft man ganz schnell in eine Richtung, wo man sich nicht mehr traut, wild zu sein.

Wildheit ist, glaube ich, die bessere Bezeichnung als Mut. Ich wünsche mir mehr Wildheit, ich wünsche mir mehr Ungestüm, mehr Naivität. Ich wünsche mir mehr von allem, was nicht reflektiert ist, alles, was aus dem Bauch kommt. Alles, was hingerotzt wird, von mir aus. Man muss der Wildheit eine größere Chance geben, denn das ist ja das, was Kino überhaupt ausmacht, und das ist auch, was uns im Moment im deutschen Kino fehlt. Das ist alles ein bisschen brav, das ist alles ein bisschen nett, wie ein gut geschriebener Aufsatz. Das funktioniert alles, das ist cool, aber mir fehlt dabei hier und da die gewisse Spur Wahnsinn, die immer ein Teil vom Film und vom Filmemachen sein muss.

Anzeige

Konntest du diese Wildheit denn am Set ausleben oder ging es eher kontrolliert zu?
Am Ende des Tages ist das wie Paninibilder einkleben, wenn du ein Drehbuch hast, wo du dir keine Sorgen machen musst, dass die Figur nicht richtig gezeichnet oder der Dialog an einer Stelle scheiße ist —was auch der Fall sein kann, und dann versuchst du am Set noch zu retten, was zu retten ist—aber wenn du so ein Buch hast, das von A bis Z durchmarschiert, dann ergibt sich vieles von ganz allein. Wenn man dann genug Wildheit hat, Leute ihren Job machen zu lassen und alles, was an kreativer Energie aus den Menschen raussprudelt, in dem jeweiligen Moment fördernd zu unterstützen, dann kommt auch was dabei raus.

Foto: Stephan Rabold / © Wild Bunch Germany 2014

Jürgen Vogel und du seid in Stereo das erste Mal als gleichberechtigte Hauptdarsteller zu sehen. Gab es da auch eine gewisse Konkurrenz?
Jürgen und ich sind seit langer Zeit befreundet und haben immer darauf gewartet, dass wir mal was miteinander machen können. Für uns war das ein riesengroßes Fest.

In Deutschland gibt es ja diese Art von Hollywood-Competition nicht. Ich glaube, dort sind solche Freundschaften wie zwischen Jürgen und mir sowieso ziemlich selten. In Deutschland ist das alles viel demokratischer, und ich glaube auch nicht, dass es in Deutschland diese Art von Konkurrenzkampf, der zum Problem werden könnte, überhaupt gibt.

Warst du ein bisschen traurig, dass du bei den Prügelszenen außer einmal kurz am Anfang nicht mitmachen durftest?
(lacht) Nee, ich war ganz froh. Im Gegensatz zu Jürgen, der da noch mittendrin steckt, mache ich ja auch seit Langem keinen aktiven Kampfsport mehr. Kampfszenen sind eigentlich ein bisschen wie Liebesszenen: Da bringt es nichts, ein guter Schläger zu sein oder wahnsinnig gut küssen zu können, wenn das auf der Kamera nicht funktioniert. Das ist ein technischer Ablauf, der dann möglichst auch klappt. Manchmal geht es aber auch daneben, gerade wenn man versucht, Schlägereien besonders realistisch darzustellen—so dass es nicht so Terrence-Hill-mäßig aussieht, sondern so, dass es richtig weh tut. Da ist es dann schwer zu vermeiden, dass man auch mal einen blauen Fleck davonträgt, und davon hat Jürgen schon ein par abbekommen, aber die anderen auch.

Anzeige

Foto: Stephan Rabold / © Wild Bunch Germany 2014

Der Film hat eine sehr maskuline Ästhetik und obwohl Henry nicht selbst zuschlägt, verhält er sich schon ziemlich machomäßig. Ich hatte den Eindruck, dass es ihm auch darum geht, aus Eric, dem treu sorgenden Freund und Stiefpapi, wieder einen richtigen Kerl zu machen.
Es wird eine Geschichte von Männern erzählt, die durch ihre Umwelt zum Mann gemacht wurden und die sich auch genau über diese Umwelt definiert haben. Gleichzeitig gibt es eine sehr strake Frauenfigur in der Mitte, die mit einer großen Ruhe und einer großen Weitsicht versucht, sich diesen Typen zu erklären. Aber die Kerle, um die es geht, das sind natürlich böse Jungs, und der böse Junge, der schlummert auch die ganze Zeit in Eric vor sich hin.

Es geht dabei vor allem darum, dass man vor Dingen, die einem irgendwie innewohnen, nicht wegrennen kann. Du kannst noch so sehr versuchen, dich zu verstecken oder dich in was anderes zu flüchten, oder deine Verhaltensweisen ändern oder vegan leben oder ich weiß nicht was, aber du kannst nicht vor den Dämonen, die dir auf der Schulter sitzen, wegrennen. Deswegen macht es mehr Sinn, sich ihnen zu stellen und zu sagen: Die sind ein Teil von mir, und zu kucken, wie man mit denen umgeht. Der Film macht dabei aber nicht den Fehler, dass er dahin geht und sagt: Ich erklär das jetzt alles, und der hat eine schlimme Kindheit gehabt und so weiter. Das wird, wenn überhaupt, nur anskizziert, und nicht auserzählt. Das ist mir sehr wichtig, denn das ist der Fehler, den viele Filme machen, das ist Angst vor der eigenen Courage, dann haut man ganz doll auf die Kacke und traut sich in so einem Film auch echt abzustylen und abzuflashen und dann fängt man an, so ein Betroffenheitsding zu fahren und [alles zu erklären]. Das macht der Film nicht, sondern der behauptet die Figuren, und das finde ich auch sehr gut.

Stereo läuft seit dem 16.5. in den österreichischen Kinos.