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Popkultur

Nach dem Bahnstreik: Alternative Feindbilder für den deutschen Wutbürger

Ihr seid hauptberufliche Internet-Trolle und wisst nicht, auf wen ihr euren grundlosen Hass jetzt richten sollt? Wir haben da mal was vorbereitet.
Foto: Christian Mang | imago

Was dem einen Freud, ist dem anderen Leid. Während die Tatsache, dass sich die Deutsche Bahn und die Gewerkschaft der Lokführer endlich auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt haben, für jeden da draußen, der in irgendeiner Art und Weise auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist, eine immense Erleichterung ist, dürfte die Nachricht eine Spezies Mensch da draußen ziemlich hart treffen: den deutschen Internet-Wutbürger.

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Während streikende Lokführer in den vergangenen Monaten ein dankbares Ziel für ebenso unkanalisierte wie unreflektierte Wuttiraden waren (was im Fall von Holocaust-Witz-Fan Juliens Blog vollkommen zu Recht zu öffentlicher Empörung führte), muss sich der ausrufezeichenaffine Facebook-Kommentator nun neue Opfer suchen. Weil wir uns als journalistisches Service-Angebot der etwas anderen Art für absolut nichts zu schade sind, haben wir euch da mal ein paar Menschengruppen rausgesucht, die ihr jetzt, nach dem offiziellen Ende des Bahnstreiks, ebenso grundlos hassen könnt:

Postboten

Ein ziemlich naheliegender Punkt, schließlich hat sicherlich jeder Zweite von uns schon mal einen halben Tag auf ein echt wichtiges Paket gewartet, weil er sich sicher war, keine weitere Minute ohne sein neues Smartphone leben zu können, um dann irgendwann frustriert die heimischen vier Wände zu verlassen und in seinem Briefkasten die Benachrichtigung des Todes vorzufinden: „Wir konnten sie leider nicht persönlich antreffen." Oder, mit anderen Worten: „Wir hatten keine Lust, Treppen zu steigen und zwingen Sie jetzt dazu, sich Ihr wichtiges Paket irgendwo anders abzuholen." Entweder bei irgendeiner abstrus weit entfernten Filiale oder einem Nachbarn, der nie da ist.

Klar, (Sub-)Angestellte der Post stehen unter immensem Druck, sehen sich mit unerreichbaren Zielen konfrontiert und haben deswegen rein theoretisch gar keine Zeit, jedem Adressaten seine Post persönlich zuzustellen—deswegen streiken sie ja auch gerade. Aber wie schon bei der Bahn sollte uns das auch hier nicht davon abhalten, unseren Hass auf die kleinen Arbeiter am unteren Ende der Nahrungskette zu konzentrieren, anstatt den Konzern, der überhaupt erst für Zulieferungsengpässe sorgt, verantwortlich zu machen. Vielleicht gibts dazu ja auch noch einen schönen Facebook-Post von Jan Leyk.

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Genderismus

Ganz heißes Eisen! Geschlechterkampf! Feminismus! Was macht das alles mit unseren Kindern, wenn sie plötzlich wissen, dass es nicht OK ist, wenn Mami die heimische Küche nur verlassen darf, um im Flur feucht durchzuwischen, oder sie als Jungen angegriffen und stigmatisiert werden, wenn sie sich in ihren besten Kumpel verlieben? Niemand weiß so richtig, was gegen Gleichberechtigung und das Recht auf Ehe für alle spricht, aber das hat hier in Deutschland sowieso noch niemanden jemals davon abgehalten, gegen ganze Volksgruppen zu hetzen.

Werdet zum engagierten Facebook-Aktivisten und kommentiert alles negativ, was die Worte „Gleichstellung", „Emanzipation", „Toleranz" oder „Quote" enthält. Denn wenn erst einmal die heteronormative Deutungshoheit des weißen Mannes gefallen ist, dann … passiert irgendwas ganz, ganz Schlimmes. Bestimmt. Alle sind plötzlich schwul oder lesbisch, es werden keine Kinder mehr gezeugt und die deutsche Rasse stirbt aus, oder so. Denkt euch was aus.

Die Lügenpresse

Fremdgesteuerte Content-Zombies, die auf der Gehaltsliste von Wirtschaft und Regierung stehen und trotzdem billige Clickbait-Überschriften produzieren müssen, weil Traffic trotz Fremdfinanzierung doch noch irgendwie wichtig ist, sind der natürliche Feind des aufgeklärten Wutbürgers. Auch wenn ihr euch sowieso nur auf Seiten wie Netzplanet oder Russia Today (da weiß man zumindest, wo die Gelder herkommen) über das aktuelle Weltgeschehen informiert, solltet ihr auch in Zukunft nicht davon ablassen, die einzig wahre Wahrheit auf den Facebook-Seiten von Spiegel Online und Co. zu verbreiten. So viel Verantwortungsbewusstsein habt ihr nämlich: Auch die dummen, blinden Sheeple da draußen sollen die Möglichkeit haben, auf den Pfad der Erleuchtung einzuschwenken.

UFO-Nazis, „kriminelle Ausländer" und BRD GmbH: Was schreibt die „Wahrheitspresse"?

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Pro-Tipp: Zweifelt alles an. Wurden diese dumpfen rassistischen Spruchbänder wirklich von Pegida-Demonstranten getragen oder handelt es sich dabei um eine besonders raffinierte Photoshop-Montage? Der Stern hatte damals schließlich auch behauptet, die echten Hitler-Tagebücher zu besitzen. Und wieso macht unsere Bundeskanzlerin die ganze Zeit diese Dreiecks-Handgeste? Bilderberger? Illuminaten? Jay-Z? Denkt immer daran: Das Leben ist eine einzige große Frage, auf die nur ihr die Antwort kennt.

Jugendliche, die ihre Füße auf Sitzplätzen abstellen

Wer kennt sie nicht, diese liderlichen jungen Menschen ohne jeden Respekt, die sich im öffentlichen Raum ausbreiten wie ein Schimmelpilz. Wenn sie nicht gerade aus Spaß in Swimming-Pools kacken, machen sie ständig und überall Fotos von sich, drücken ihre Pickel auf YouTube aus oder drängeln sich an einem vorbei in den Bus. Das Unentschuldbarste bleibt allerdings nach wie vor, wie sich in öffentlichen Verkehrsmitteln breit machen. Beine so weit wie möglich auseinander, die Tasche auf dem Sitz neben sich und—der Gipfel!—ihre dreckigen Füße auf dem Sitzplatz gegenüber.

Hier ist es auch erstmals wichtig, seiner Wut nicht nur auf Facebook, Twitter und im Kommentarbereich einschlägiger News-Seiten Luft zu machen. Auch ist es vollkommen unerheblich, ob der Rest des Abteils gähnend leer ist: Beansprucht den Sitzplatz unter lautem Herumgetue für euch. Menschen, die derart frech mit öffentlichem Gut umgehen, das von deutschen Steuerzahlern finanziert wurde, haben kein Recht auf Entspannung. Konfrontiert diese Gesellschaftsterroristen! Schon eine halb-liegende Sitzposition ist eine Provokation! Wehret den Anfängen!

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Flüchtlinge

Ein Evergreen unter den Dingen, über die sich Lutz und Gabi von nebenan immer wieder aufs Neue echauffieren können—und somit auch ihr. Die wollen doch nur einer unhaltbaren Lebenssituation entfliehen, behaupten Gutmenschen und Vertreter der Lügenpresse unisono, aber ist das wirklich so? Warum fehlen den ach so gebeutelten Menschen dann keine Gliedmaßen oder zumindest ein Auge? Und ist es nicht eine Frechheit, dass diese Leute sich nicht bei jedem einzelnen Deutschen auf der Straße dafür bedanken, dass sie Essen und Unterkunft bekommen, anstatt wie so viele ihrer Leidenskollegen auf offener See zu ertrinken?

Ja, gut, sie haben keine Arbeitserlaubnis und dürfen sich somit auch gar nicht in die Gemeinschaft einbringen—selbst wenn sie wollten. Aber Ronny von nebenan hat auch keinen Job und für den geht niemand auf die Straße! Wach auf, Deutschland!

Eltern, deren Kinder Geräusche machen

Da pflanzen sich sowieso immer weniger Leute fort, weil sie von der Gender-Mafia in geschlechtsneutrale, politisch korrekte Hybriden verwandelt werden, und wenn es dann doch mal Nachwuchs für unser armes Deutschland gibt, dann nervt er! Wie soll man in Ruhe seine wohlverdiente Feierabendmolle zischen, wenn das Balg auf dem U-Bahn-Sitz nebenan gerade einen hysterischen Wutanfall kriegt? Früher wurde in solchen Fällen noch richtig durchgegriffen, heute flötet die superemanzipierte Öko-Mutti nur „Ach, lass das doch, Konstantin", bevor sie mit selbstvergessenem, seligen Lächeln weiter strickt. Ein weiterer Grund dafür, sich offen dafür einzusetzen, dass die Rolle der Hausfrau, die den ganzen Tag mit den schreienden Kindern zu Hause bleibt, gestärkt wird.

Noisey: Kay Ones Facebookseite ist ein Paradies für Social-Media-Berater.

Wer den Rückgang der Geburten in Deutschland beklagt, darf sich nicht über Kindergeplärre, schamlose Stillpausen und den Geruch voller Windeln im öffentlichen Raum beschweren? Unfug! Habt keine Angst davor, bigott zu wirken oder euch in eurer Argumentation ständig selbst zu widersprechen. Ihr seid echte Wutbürger, ihr müsst euch vor nichts und niemandem rechtfertigen.

Hatet Lisa auf Twitter.