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Popkultur

#NetzFragtMerkel, LeFloid und die Existenzangst der etablierten Presse

Ja, ein YouTube-Star hat mit der Bundeskanzlerin gesprochen—können wir uns jetzt wieder beruhigen?

Screenshot: YouTube

Es muss ziemlich hart sein für einen gestandenen Polit-Redakteur sein, wenn jemand, der zweimal die Woche im heimischen Wohnzimmer in einen Camcorder spricht, plötzlich eine halbstündige Audienz mit der deutschen Kanzlerin bekommt. Für ein YouTube-Video. Ich verstehe das. Ich zum Beispiel habe die letzten Jahre sehr intensiv damit verbracht, das Leben der Kardashians zu verfolgen (Instagram, Reality-TV, amerikanische Klatsch-Seiten) und wäre am Boden zerstört, wenn jetzt aus dem Nichts irgendeine unbedarfte Beauty-Bloggerin in Kims Villa zum netten Champagner-Plausch eingeladen würde. Hörst du mich, Kim?! ICH habe es verdient! Ausschließlich ich!

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Nun ja. Jeder ist sich selbst der Nächste, nicht wahr, deswegen war abzusehen, dass das groß angekündigte Video-Interview zwischen LeFloid und Angela Merkel vom ein oder anderen schmallippigen Schreiber da draußen ordentlich auseinandergenommen werden würde. Wie negativ #NetzFragtMerkel aber tatsächlich insbesondere von den etablierten Medien aufgenommen wurde, war dann doch überraschend—und das wohl nicht nur für Florian Mundt selbst, der zuvor noch vom Feuilleton als Vorzeige-YouTube-Star mit höherem Anspruch hofiert wurde.

Der 27-Jährige ist mit rund 3 Millionen Abonnenten einer der erfolgreichsten YouTuber Deutschlands. Auch wenn sein Ansatz sicherlich als journalistischer gesehen werden kann als der von Dagi Bee oder Sami Slimani—es gibt einen Unterschied zwischen richtigen, echten Journalisten, deren Job es ist, umfassend informiert zu sein und investigativ zu arbeiten, und einem Webvideo-Produzenten, der für ein Mini-News-Format krude und/oder polarisierende Nachrichtenmeldungen zusammensucht und für seine Zuschauerschaft grob einordnet.

YouTube braucht mehr Ehrlichkeit.

Wenn die FAZ Florian Mundt also vorwirft, dass er es „kaum fassen konnte, in dieses Kanzleramt vorgelassen worden zu sein", dann stellt sich doch sofort die Gegenfrage: Ja, warum denn auch nicht? Eben weil die Konstellation so unverhofft ist, war es den meisten Medien im Vorfeld ja überhaupt eine Meldung wert. Immerhin spricht hier ein YouTube-Star mit der verdammten Bundeskanzlerin, dem motherfucking Teflon Don der deutschen Politlandschaft, die ganz genau weiß, wie man die Unsicherheit eines Gesprächspartners ausnutzt und Fragen umgeht, die man nicht beantworten will. An ihrem großmütterlichen Lächeln und den schwurbeligen Nicht-Antworten ist auch schon manch anderer gescheitert—egal ob etablierter Journalist oder DIY-Filmemacher Ende 20.

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Natürlich war das Ganze eine ziemlich clever kalkulierte PR-Aktion der Bundesregierung. Man wollte den Dialog mit dem Bürger stärken (die Internetcommunity konnte unter dem vorgegebenen Hashtag Fragen stellen, die LeFloid wiederum weitergab), sich als aufgeschlossen und nahbar inszenieren—und womöglich auch noch ein paar neue Social-Media-Follower gewinnen, die das Instagram-Profil der Kanzlerin nicht mit russischer Propaganda überfluten. Das kann man durchaus kritisieren und in Frage stellen, wie es beispielsweise überraschend reflektiert in vielen YouTube-Kommentaren geschehen ist.

„Wenn ich eine Frau wäre, wäre ich Beauty-Blogger"—LeFloid im Interview.

Dieses hysterische Gebelle seitens etablierter Journalisten hingegen ist nicht nur unnötig, es entlarvt vor allem auch, wie viel Angst um das eigene Standing mittlerweile in deutschen Redaktionen vorherrscht. LeFloid ist kein Investigativ-Journalist und will das auch gar nicht sein. Also hört auf, so zu tun, als würde euch jemand die Butter vom Mittagspausenbrot stehlen wollen, der sich nicht mal in derselben Kantine befindet.

Wenn ihr Fragen an Lisa habt, schreibt ihr doch bei Twitter. Auch ohne Hashtag.