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Fotos

Neue Menschen

Rico Scagliolas und Michael Meiers Coming-of-Age-Archiv.

Isabelle, 2009, aus dem Buch Neue Menschen

Rico Scagliola und Michael Meier waren ungefähr 1999—als das Internet noch nicht unser aller Leben dominierte—in der zarten Blüte ihrer Jugend. Vielleicht hat es deswegen ein paar Jahre länger gedauert, bis sie einander an Zürcher Hochschule der Künste begegnet und zu einem symbiotischen Fotografieduo verschmolzen sind. Sie haben sich die letzten zweieinhalb Jahre in der deutschen Schweiz damit beschäftigt, mit Jugendlichen abzuhängen und Fotos und Videos von ihnen zu machen. In ihrem ersten Buch Neue Menschen geht es also um diejenigen, die im Gegensatz zu uns alten Säcken, die immer noch nicht mit zehn Fingern tippen können, das Internet schon mit der Muttermilch aufgesogen haben. Vor dem eigentlichen Interview, haben die beiden aber darauf bestanden, sich selbst vorzustellen. Auf Englisch. In Gedichtform.

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Ciao. My name is Michael.

I grew up in the mountains with the wolves.

I got fast legs and a kinda numb tongue but my eyes are green and eagle-eye sharp.

I can see the world in 3D and everything looks like a fantasy.

My sign of the zodiac is fish.

I felt like a dolphine when I was younger.

Now I am transforming into my ascendent lion which is as an animal closer to the wolves than the seaworld animals.

Closing the circle of life.

My hobbies are shopping, industrial dance, cross-country skiing, Amon Amarth, fashion, www, fitness, nudes, Rico, Sexuality, spirituality.

The inside of my body contains artistic veines, dark abysses, cold blood and remains of ancient souls.

The outside is slick and oily.   Hi! I am known by the name of Rico.

I grew up in a suburban town near Zurich.

It was hell dressed up as paradise.

I lived the life of a 50 year old man then, living now the one of a 19 year old.

What makes me mostly a sentimental fool.

I’m also a nihilistic hedonist, often sharp in mind.

I love all the things Michael loves except for cross-country skiing, plus: Michael, Films and cleaning my lovely single room city studio.

I’m sharing it with lots of people that actually pay no rent and make a mess out of it, but I love them.

My life changed dramatically when big M(ichael) entered it.

He is my soulmate that made me believe in soulmates.

My inside consists of a caring mother, several savage demons, a penniless dandy and a smoker’s lung.

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My outside is the one of a roman emperor

Alain, 2009, aus dem Buch Neue Menschen

Vice: Hi ihr beiden, erzählt mal, was ist das Beste und das Nervigste daran, wenn man so eng wie ihr zusammen kreativ arbeitet?
Rico und Michael: Das Beste: Man steht sich so nahe, dass die Gehirne beider zu einem Riesengehirn zusammenwachsen und das ist dann natürlich um einiges zuverlässiger. Außerdem können wir uns blind vertrauen und uns beim gemeinsamen Fitness gegenseitig anspornen. Nervig ist höchstens die Vorstellung, dass wir (wahrscheinlich) nicht mehr ohne einander können. Ihr fotografiert euch auch ständig gegenseitig, war es am Anfang nicht irgendwie merkwürdig, für den anderen zu posen?
Überhaupt nicht, Spaß war von Anfang an da. Wir sind beide eher exhibitionistisch veranlagt. Das hat sicher auch damit zu tun, dass wir unsere Zusammenarbeit mit dem Projekt über Jugendliche gestartet haben, deren hemmungsloser, selbstbewusster Umgang mit Bildern uns von Anfang an total begeisterte. Auch der Wechsel vom Fotografieren zum Posieren ist fließend. Es ist eigentlich oft dasselbe: Wenn der eine von uns zum Beispiel vor der Kamera posiert, weiß er gleichzeitig, wie der andere sich das Bild vorstellt und umgekehrt. Posieren und Fotografieren ist eins. Apropos Jugendliche, wie seid ihr auf die Idee gekommen, das Buch zu machen?
Am Anfang war das persönliche Interesse (vielleicht auch aus dem Gefühl heraus, die eigene Jugend verpasst zu haben), das gegenwärtige jugendliche Zeitgefühl festzuhalten. Uns fiel auch auf, dass das schon ziemlich lange nicht mehr gemacht wurde. Ist euch an den Jugendlichen irgendwas besonders aufgefallen?
Die Jugendlichen machen keine Unterschiede zwischen trashigen Handybildern, einer Studiofotografie oder einem coolen Video, alles wird gleich gewertet, mit dem gemeinsamen Nenner, auf den Bildern gut auszusehen und einen bestimmten Style zu erreichen. Woher dieser Style kommt, ist völlig beliebig, alle Quellen werden geplündert. Natürlich wird da viel mit Zitaten gespielt, aber eben nur fürs Bild, um ihm einen bestimmten Look zu verleihen, der dem Porträtierten nahe steht. Das Buch ist eher die Dokumentation einer Inszenierung. Ihr habt für das Projekt die Jugendlichen zweieinhalb Jahre begleitet, was für ein Verhältnis ist über die Zeit so entstanden?
Ein sehr enges Verhältnis. Wir hatten auch Glück, dass wir es altersmäßig gerade noch geschafft haben, ein solches Verhältnis aufzubauen, ohne in ein etwas schmuddliges Anbiedern zu verfallen. Alle haben uns behandelt, als wären wir ebenfalls 16, wir waren halt einfach die, die immer die Kamera dabei hatten. Es sind tolle Freundschaften entstanden. Und dann gibt es einige Stars wie Lark, Whip, Elin, Josh, die Plastics, Oli. Stars?
Wegen ihrer Schönheit und ihrer allgemeinen Coolness. Selfportrait en noir, 2010

Und was war die lustigste Situation im Zusammenhang mit der Entstehung des Buches?
Es gab da ein Shooting mit vier Mädchen, bei einem der vier zu Hause. Alle waren minderjährig, so um die zwölf Jahre jünger als wir. Wir machten gerade ein paar Fotos von ihnen im Bett der Mutter, als diese plötzlich im Türrahmen stand, früher von ihren Einkäufen zurückgekehrt als erwartet. Wir mussten ihr dann irgendwie klarmachen, wir seien keine Pädos. Haha. Was denkt ihr eigentlich jetzt über das Internet, nachdem ihr so viel Zeit mit den neuen Menschen verbracht habt?
Im Alltag nimmt es zwar einen wichtigen Teil ein, wird aus den Jugendlichen aber sicher keine digitalen Zombies machen. Die sind alle viel zu schlau für solche angeblichen Gefahren. Die Jugendlichen, die wir fotografierten, sind damit aufgewachsen und haben von klein auf gelernt, wie sie damit spielen müssen. Sie können sehr wohl unterscheiden zwischen virtueller und realer Welt, obwohl sich die beiden Welten natürlich beeinflussen. Es gibt nicht mehr bloß das eine Ich, sondern ein zweites, virtuelles. Wir sehen das Internet als weiteren Kanal zum Ausleben eigener Sehnsüchte. Solche Kanäle hat es immer schon gegeben, vielleicht unschuldiger, weniger erbarmungslos als das Internet … Glaubt ihr, dass es den Jugendlichen heute an Dingen mangelt, gegen die sie noch rebellieren könnten?
Man kann ihr Arbeiten am Selbstbild als Rebellion ansehen. Dass jeder machen kann, was er will, scheint für die ältere Generation eine unbequeme Vorstellung zu sein. HISTORY REPEATING! Und weil die heutige Elterngeneration dann denselben uralten Fehler macht und das Leben ihrer Kinder mit der eigenen Jugendzeit vergleicht, werfen sie ihnen vor, mau zu sein und sich nicht zur Gründung einer neuen Subkultur aufraffen zu können. Das ist bescheuert! Wenn sich heute eine Subkultur bildet, wird sie von der nächsten H&M-Kollektion verarbeitet und somit sofort ad absurdum geführt. Und da sind die Jugendlichen wieder schlauer und lassen sich gar nicht erst von Ideologien (denn so sieht man eine Subkultur ja gerne) vereinnahmen. Sie merken, dass sie ein gewaltiges Lager an kulturellen Versatzstücken vor sich haben, dass sie sich spielerisch aneignen können, ganz egal welche Bedeutungen dahintersteckten. Es ist eine positive Oberflächlichkeit. Lady Gaga macht das alles wunderbar vor. Das war auch einer der Gründe, wieso wir das Projekt starten wollten: Uns hat das negative Bild genervt, dass man heute von Jugendlichen hat, und, dass ihnen ihre ganz eigene, „zeitgemäße“ Identität abgesprochen wird. Ein alter Irrtum, der sich ständig wiederholt. Irgendwie auch beruhigend. Stimmt. Hattet ihr früher genauso viel Spaß wie die Jugendlichen heute?
Natürlich haben Teenies heute genauso viel/mehr/weniger Spaß, seit man die Jugend/Pubertät als eigenständigen Lebensabschnitt ansieht. Trotzdem wären wir lieber heute 16 als damals 1999. Wir denken, heute hat man mehr Möglichkeiten sich auszuleben. Und was meint ihr, machen die neuen Menschen mit dieser Freiheit?
Sie checken, dass ihr Abbild oder der Traum von sich selbst ebenso wichtig ist, wie ihr reales Ich. Sie sind auf eine positive Art schizophren. NEUE MENSCHEN von Michael Meier & Rico Scagliola (ricoandmichael.com) erscheint Ende April 2011 bei Edition Patrick Frey (editionpatrickfrey.ch)