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Gute Stimmen kriegen Kohle, schlechte Stimmen kriegen Haft

Russland hat die schönsten und willigsten Mädchen dieser Erde. Olga wurde von ihrem Arbeitgeber in Moskau dazu aufgefordert, zu inszenierten Pro-Putin-Demonstrationen zu gehen.

Ja, Russland kann ein bisschen schräg wirken, aber trotz allem darf man die Hoffnung nicht aufgeben, dass es eine breite Schicht junger Leute gibt, die die sozialistischen Lasten abgelegt hat und mit dem Begriff Meinungsfreiheit etwas mehr anfangen kann, als einen darauf zu trinken. So wie das Frauen-Punk-Kollektiv Pussy Riot, deren Mitglieder nach ihrem Mini-Rock- und Masken-Auftritt in einer russisch-orthodoxen Kirche verhaftet wurden und sich nun wegen Hooliganismus bzw. Blasphemie und vor allem Kritik an Wladimir Putin in Untersuchungshaft befinden.

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Im Dezember gingen die ersten Proteste los, nachdem die Duma-Wahlen in manchen Bezirken mit über 100% für die Partei Einiges Russland ausgegangen waren. „Da stimmt doch was nicht …“, dachten sich erstmals nach zwölf Jahren einige und 100.000 Demonstranten gingen auf die Straße, um sich friedlich ihre Stimmen zurück zu erkämpfen. Diese Vorwürfe wurden von der Duma weitestgehend ignoriert und die Aufrührer in den Provinzen kamen ins Gefängnis. Die Demonstranten Moskaus wurden dankenswerterweise verschont, um kein schlechtes Licht auf das glorreiche Zentrum der Macht zu lenken.
 
Aber wie grotesk die Wahlfälschung abgelaufen ist, das erzählte mir eine Jura-Studentin aus Moskau. Olga (20) und ihre Arbeitskollegen wurden in Moskau von ihrem Arbeitgeber aufgefordert, zu inszenierten Pro-Putin-Demonstrationen zu gehen und die, die es taten, wurden dafür fürstlich entlohnt. Bei dem Gespräch mit ihr erfuhr ich einmal mehr, aus was für einem abgefuckten Land die schönsten und willigsten Mädchen dieser Erde kommen. VICE: Also, was genau ist vor den Präsidentschaftswahlen 2012 passiert?
Olga: Als die Wahlkampfkampagnen losgingen, hat Putin zuerst Kundgebungen verboten. Er hat gesagt, dass er keine veranstaltet und an keiner teilnimmt. Aber falls jemand zu seinen Gunsten eine veranstalten würde, dann hätte er nichts dagegen. Am Ende hat er die ganzen Kundgebungen doch selbst organisiert. Es gab wohl eine riesige Summe Geld von der Partei, das dafür zur Verfügung gestellt wurde. Dann wurde mit großen Firmen und Organisationen die Kooperation ausgehandelt.
 
Die Kundgebungen der Opposition wurden aber verboten …
Putin hat gesagt „Sollen Schirinowski und so doch durchdrehen.“ Bei meiner Arbeit haben sie gesagt, es sei obligatorisch, an den Pro-Putin-Kundgebungen teilzunehmen. Ich als Juristin hab dann gleich gesagt: „Das schränkt mein politisches Recht ein. Ich will nicht, ich bin nicht für ihn.“ Sie haben mich dafür zwar nicht bestraft, aber auch nicht das Geld bekommen.
 
Welches Geld?
Allen, die auf diesen Kundgebungen waren, wurde jeweils 5.000 Rubel (ca. 130 Euro) gezahlt.
 
Es gab zwei von diesen Kundgebungen und du bist zu keiner gegangen, trotz der Kohle?
Na, weil es kalt war und die vielen Leute. Oder, weiß man ja nicht, irgendein Terroranschlag.
 
Haben die Anderen ihr Geld ausgezahlt bekommen?
Ja, alle, die dort waren, haben es persönlich ausbezahlt bekommen. Nicht offiziell wie ein Gehaltsextra, sondern bar auf die Hand. Die Leute kamen der Liste nach und haben das Geld bekommen.
 
Woher wussten die Leute, was sie dort erwartet?
Es wurde ja erst am Montag gesagt, dass wir am Samstag fahren. Wer nicht mit wollte, sollte einen Antrag schreiben. Und dann wurden andauernd Ort und Zeit geändert. Schlussendlich wurde am Freitag gesagt: „Wir gehen für Putin demonstrieren und treffen uns morgen (wo auch immer).“ Man traf sich früh, es war kalt, -16 Grad, beim zweiten Mal -30 Grad. Februar. Ich war noch ein bisschen krank und na ja … Es war auch ärgerlich, ich wollte nicht dorthin, wo die mich hin zwingen.
 
Waren deine Freunde denn bei den Kundgebungen? Was haben sie erzählt?
Dort waren Leute jeden Alters. Auch Männer mit Kindern auf den Schultern. Ich weiß gar nicht, warum sie so Kleine mitgenommen haben. Dann gab es viele Jugendliche und die Presse hat einige gefragt, was sie denn da machen: „Keine Ahnung, wir wollen nur ein bisschen rumhängen, das Konzert anschauen.“ Gleichzeitig hatten sie Plakate und Fähnchen von Putin und Einiges Russland in den Händen.
 
Vorher hörte man im Fernsehen: „Es werden 5.000 Menschen erwartet.“ Im Nachhinein kamen aber fast 120.000 zusammen. Und dann ist Putin aufgetreten: „Danke, danke. Wir lieben euch. Wie schön und überraschend es ist, euch zu sehen.“ Zur zweiten Kundgebung gab es dann Konzerte. Man hat alle möglichen Stars hingebracht, die besonders parteinah sind. Welche Stars waren das?
Vor allem die Leute aus dem Comedy Club, das die beliebteste Show überhaupt ist, aber auch alle möglichen Sängerinnen und andere Stars. Der Regisseur Sergei Bondartschuk. Statt Politiker hatte man dann die Berühmtheiten dort sitzen, Leute aus dem Showbiz, Sportler …
 
Meinst du, das sich darin die tatsächliche politische Einstellung wiederspiegelt?
Die meisten Leute sind einfach seit zwölf Jahren daran gewöhnt. Selbst als sich bei uns in den Nachrichten die Leute ständig geirrt haben: „Jetzt begrüßen wir unseren Präsidenten W. Putin … ääähm, nein, unseren Premierminister …“ Aber die Leute haben sich gewöhnt und denken sich, das Land fällt ja nicht auseinander und auch in internationalen Ratings sind wir ja besser geworden.
 
Kannst du vielleicht einige dieser Firmen nennen, die das veranlasst haben?
Nein, Namen kann ich nicht nennen. Ich hab das mit meinen Freunden besprochen. Alle möglichen staatlichen Organisationen, die mit Handel zu tun haben, waren beteiligt. Alle administrativen Institutionen haben für das Erscheinen bei Wahlen gezahlt. Die Tante einer Freundin arbeitet in einer Behörde. Die haben vor den Wahlen 300 Rubel (ca. 8 Euro) dafür bezahlt, dass die Leute kommen und zumindest irgendetwas auf den Zettel schreiben, also nur für die Wahlquote. Ihrem Sohn hat sie gleich 500 gegeben, damit er kommt.
 
Und dein Arbeitgeber?
Ich arbeite ja noch da, er hat auch Verbindungen nach Deutschland. (Lacht) Das ist doch etwas gefährlich, die beim Namen zu nennen. Scheint mir einfach nicht korrekt, es ist eine große Organisation.

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