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Herzlich willkommen Tätervolk!

Hass, Zorn und gute Laune auf dem größten Neonazi-Festival Deutschlands.

„Herzlich willkommen Tätervolk!“, verkündet Gordon Richter, NPD-Stadtrat der Stadt Gera bei seiner Eröffnungsansprache des 10. Rock für Deutschland, dem größten Neonazi-Festival Deutschlands.
Über 750 Rechte waren angereist, um einen Tag voller Hass, Zorn und guter Laune mit Nazi-Bands wie Exzess, Oidoxie, Words of Anger, Tätervolk und den großen Namen aus der rechten Szene zu feiern.

„Es dürfen keine rassistischen, ausländerfeindlichen Sprüche von sich gegeben werden, oder Sprüche, die auf das Dritte Reich zurückzuführen sind. Außerdem keine Symbole, die gegen die Paragraphen 130 und 186a verstoßen. Des Weiteren gibt es ein Alkoholverbot“, muss Richter noch anmerken, während Regentropfen von den zumeist kahlrasierten Schädeln um mich herum perlen. Nicht wenigen der Besucher wurden am Einlass Arme, Beine oder Teile des Gesichts aufgrund der von Richter erwähnten Paragraphen mit Gaffer Tape abgeklebt, um ihre verfassungsfeindlichen und strafbaren Tattoos zu verdecken.

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Die rund 2000 Gegendemonstranten vor dem abgezäunten Areal übertönen beinahe den nächsten Redner, Patrick Wieschke, den Landesvorsitzenden der NPD in Thüringen. „Wir sind die Retter, wir sind die Bewahrer Deutschlands!“, bellt er vor einem Banner des Thüringer Heimatschutzes, der Organistation, aus deren Umfeld auch die NSU-Terroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kamen, ins Mikro. Es ist klar, dass die Nazis hier unter ihresgleichen sind, und ich war als Fremdkörper mitten zwischen ihnen. „Wir haben heute Vertreter der Presse vor Ort. Es ist eine Selbstverständlichkeit für jeden Nationalisten, auch diesen Menschen mit Respekt zu begegnen. Interviews werden nur vom Vorstand und den Veranstaltern gegeben“, dröhnt es aus den Lautsprechern, bevor der Nazi-Rock-Klassiker „Die Presse lügt“ eingespielt wird. Die Ansage ist klar, sie ist angekommen.

Vor der ersten Band finde ich etwas Zeit, um über das Gelände zu flanieren, während mich für meinen Geschmack viel zu viele Augenpaare taxieren. Es gibt Kuchen, alkoholfreies Bier, Würstchen, eine Menge Polizisten in Kampfmontur, Richtmikrofone und Kameras des Verfassungsschutzes und natürlich eine Menge Besucher, die ihre Ansichten mit Slogans auf ihren T-Shirts umhertragen oder an diversen Merchandise-Ständen die Möglichkeit haben, sich das passende Outfit gleich vor Ort zuzulegen. „Schwarz ist die Nacht, in der wir euch kriegen. Weiß sind die Männer, die für Deutschland siegen. Rot ist das Blut, auf dem Asphalt“, ist dort zu lesen, oder auch schlicht und einfach „Freiheit für Wolle“, womit der ehemalige stellvertretende Landesvorsitzende der NPD-Thüringen und wegen Beihilfe zu zehnfachem Mord angeklagte, mutmaßliche Unterstützer der Zwickauer Zelle Ralf Wohlleben gemeint ist.

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Als erste Band betreten Words of Anger, deren Debüt-Album durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert wurde, die Bühne und bringen den Pulk zum ersten mal zum Mitgröhlen. Die Demonstranten auf der anderen Seite des Zauns ziehen als Antwort darauf die Regler des Lautsprecherwagens hoch und lassen dröhnenden Techno über den gesamten Bahnhofsvorplatz schallen, während kleine Kinder und greise Frauen den Nazis den Mittelfinger entgegenstrecken.

Auf dem Gelände tut es der Stimmung aber keinen Abbruch, stattdessen wird fröhlich zurückgebrüllt und am trennenden Zaun militant auf und ab marschiert, während ich feststelle, dass ich plötzlich einen neuen Begleiter habe. Der NPD-Stadtrat von Nordhausen, Roy Elbert, hat seine Kamera und sein Stativ aufgebaut und filmt mich ganz unverhohlen. Stunden an Videomaterial sind wohl so den Tag hindurch von mir zustande gekommen.

„Das sind solche Untermenschen. Hätte ich Ordnerbefugnisse, hätte ich die schon längst entfernt“, raunt es neben mir. Unsicher, wer damit gemeint ist, stelle ich mich lieber ein wenig näher zu den auf dem ganzen Gelände positionierten Polizisten und merke, dass die Anzahl der Gegendemonstranten merklich abgenommen hat.

„In Gera ist rechtes Gedankengut bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen und vollkommen akzeptiert", erzählte mir Melanie Siebelist, eine der Organisatorinnen der Gegendemonstration von der örtlichen SPD. „Die Demokratie hat hier im Osten nie wirklich Fuß gefasst und die Bedeutung von Meinungsfreiheit wird von den Rechten vollkommen verdreht. Wenn sich nicht bald etwas ändert, dann ist der Osten verloren.“

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Ähnliches erzählte auch Max von der örtlichen Antifa: „Die Stadt ist mit Rechten verpestet. Wirklich erreicht haben wir nichts. Die herbste Schlappe für die Stadt war vor drei Jahren, als knapp 5000 Nazis hier waren und nur 1000 Gegendemonstranten.“ Max, der selber schwarz ist, will deshalb auch weitergehen als bislang. „Die NPD sitzt im Stadtrat und dann geht man Einkaufen und muss Nazis im Supermarkt sein Geld geben. Ich will viel viel radikaler etwas dagegen machen. Mein Gedankengut hat sich dahingehend verändert, dass ich auch bereit bin, „Straftaten“ zu begehen, um solche Konzerte zu verhindern.“

Das Festival hingegen steht unterdessen ganz offen unter dem Motto „Demokratie? Nicht mit uns.“ und folgt man den Redebeiträgen, ohne ununterbrochen die Augen zu verdrehen, wird einem klar, was für ein seltsames Selbstbild die Nazis von sich haben. Vor Selbstmitleid vergehend, sehen sie sich als die Unterdrückten und Verfolgten in Deutschland. Das wurde schließlich in der Rede von Udo Voigt, dem ehemaligen Vorsitzenden der NPD, überdeutlich. „Amnesty International setzt sich auf der ganzen Welt für politische Gefangene ein. Dass es in Deutschland nationale politische Gefangene gibt, das wird verschwiegen. Wir fordern die Freiheit für Horst Mahler, Erich Priebke, wir wollen Freiheit für Wolle!“ Weiterhin orakelte er in einem Tonfall, der einen an Aufnahmen aus der dunkelsten Ecke unserer Vergangenheit erinnerte: „Auch wenn sie uns einsperren, werden wir dafür sorgen, dass die Gefängnisse die Universitäten eines neuen Deutschlands werden.“

Die Stimmung war mittlerweile gereizter geworden. Man wurde häufiger angerempelt, auch mal bespuckt und als schließlich der Sänger des Headliners Tätervolk mit den Worten „Ich bin Rassist“ ein Lied mit dem Titel „Ich bin gerne weiß“ anstimmte, verabschiedete ich mich mit einer grässlichen inneren Leere aus dem Herzen der Finsternis in Gera.

Felix Nicklas auf Twitter

Fotos: Grey Hutton