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Mali ist nicht Afghanistan

Donnerstagabend starteten zwei Transall-Maschinen der Bundeswehr in Richtung Westafrika. Der malische Konsul in Deutschland erklärte uns heute beim Frühstück, warum wir alle in Europa ein großes Problem bekommen, sollte Mali vollends ins Chaos...

Yassoungo Kone, Konsul der Republik Mali.

Bentley, Cartier und Rolex sind die Nachbarn der Botschaft der Republik Mali am Kurfürstendamm in Berlin. Man vermutet in dieser Nachbarschaft nicht unbedingt die ständige Vertretung eines Landes, dessen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bei 691 US-Dollar im Jahr liegt und das sich seit einem Staatsstreich vor knapp einem Jahr in einem existenziellen und blutigen Konflikt mit islamistischen Milizen befindet. 350.000 Menschen sind in Mali auf der Flucht vor den Islamisten aus dem Norden, die seit April die Region kontrollieren und dort die brutalste Form der Sharia etabliert haben. Nach der bereits seit einigen Tagen andauernden Intervention durch Frankreich starteten gestern Abend zwei von der Bundesregierung zugesagte Transall-Transportmaschinen mit Hilfsgütern in Richtung des westafrikanischen Staates. Ich besuchte heute Vormittag deshalb die malische Botschaft, um mit Konsul Yassoungo Kone über den Konflikt, die deutsche Beteiligung und die von den Islamisten ausgehende Gefahr für Afrika und auch Europa zu sprechen, und warum die Vorwürfe, Frankreich würde in Mali geopolitische Interesse verfolgen, angesichts der akuten und schweren Menschenrechtsverletzungen im Norden einfach nur scheißegal sind.

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Bevor Yassoungo Kone malischer Konsul in Deutschland wurde, war er in Washington ung Teheran tätig.

VICE: Gestern Abend starteten zwei Transall-Maschinen der Bundeswehr in Richtung Mali. Wie schätzen Sie den Umfang der Unterstützung der Bundesrepublik im Moment ein?
Konsul Yassoungo Kone: Die Unterstützung aus Deutschland ist mehr als nur willkommen in meinem Land. Deutschland war eines der ersten Länder, die die Unabhängigkeit Malis anerkannt haben, weshalb wir auch gerade jetzt in diesen schwierigen Zeiten die Unterstützung Deutschlands benötigen und darauf hoffen, dass sie auch weiterhin gewährt wird. Aber angesichts der Situation brauchen wir noch mehr Hilfe, denn wenn jetzt nicht gehandelt wird, dann wird sich das Problem wie eine Krankheit verbreiten und nicht nur Mali betreffen sondern die gesamte Region. Deutschland tut sich geschichtlich bedingt schwer mit bewaffneten Konflikten. Wie sollte diese Hilfe also aussehen? Medizinisch, logistisch oder sogar militärisch?
Im Moment spielt sich alles in Mali ab, doch im Grunde ist es eine Krise der gesamten Region, und wenn wir jetzt nicht gemeinsam handeln und das Problem zusammen eliminieren, wird es irgendwann alle, auch Europa, betreffen. Deutschland kann natürlich mehr humanitäre Hilfe leisten, aber wenn es die Situation erfordern sollte, dann sollte Deutschland auch mit Truppen aushelfen, um diese Situation zu einem guten Ende zu führen. Mali war und galt lange Zeit als eine Vorzeigedemokratie in Afrika, wie konnte es dazu kommen, dass das Land innerhalb weniger Jahre ins Chaos driftete?
Ich versuche, es mal zu erklären. Ja, wir hatten eine Demokratie, doch die notwendigen Grundlagen und Werkzeuge einer Demokratie waren noch nicht ausgereift. Wir hatten einen Präsidenten, der keiner Partei zugehörig war, obwohl es in Mali über 100 verschiedene politische Parteien gibt. Wie kann also ein einziger Mann ohne Partei Präsident sein? In meinem Verständnis braucht man für eine Demokratie Reibung. Eine starke Regierung und auch eine starke Opposition. Der Präsident war ein Individuum ohne politische Partei, aber mit einer Menge Opposition, und deshalb kollabierte meiner Ansicht nach alles.

Der Staatsstreich im vergangen Jahr ging aber von der Armee aus, die frustriert war, nicht die nötigen Mittel für den Konflikt im Norden des Landes zu bekommen.
Der Staatsstreich war keine schöne Sache. Man muss aber sehen, dass die Region im Norden lange Zeit keinerlei Kontrolle unterlag. Es gab dort keine Polizei, keine Armee, keinerlei Sicherheitskräfte. Das gab den Djihadisten, Extremisten, oder wie auch immer man sie nennen mag, die Chance, sich frei zu bewegen und zu entwickeln. Als die Armee schließlich realisierte, dass die Kräfte dort zu stark geworden waren, um sie zu bekämpfen, weil das Problem von der Regierung für zu lange Zeit ignoriert wurde, führte dies schließlich zum Staatsstreich.

Viele der knapp 1000 Malier in Deutschland sind untereinander vernetzt und organisieren in diesen Tagen Spendensammlungen.

Der Konflikt beschränkt sich ja nicht nur auf den Norden Malis, sondern auf die gesamte Sahel-Region und Nachbarländer wie Mauretanien und Algerien, und auch auf Libyen. Fürchten Sie nicht, dass sich die Extremisten dorthin zurückziehen und abwarten, bis die ausländischen Truppen wieder abgezogen sind?
Nein. Wenn alle Länder nun zusammenarbeiten und den Extremisten in all diesen Ländern entgegentreten und ihnen so die Grundlage entziehen, sich festzusetzen und zu wachsen, hat man jetzt die Chance, dieses Problem auf lange Sicht zu lösen. Die Befürchtung ist jedoch, dass sich die Sahel-Region zu einem zweiten Afghanistan entwickeln könnte.
Die Sahel-Region wird kein zweites Afghanistan. Es gibt ein paar Unterschiede. Zum einen sehen diese Leute nicht aus wie wir. In Afghanistan können sich die Taliban in der Zivilbevölkerung verstecken und untertauchen. Das können sie in der Sahel-Zone nicht. Es ist einfach, sie zu erkennen und loszuwerden. Die zweite Sache ist die Geografie. In der Wüste gibt es keine Berge, wo man sich verstecken kann. Wer wegrennt, wird gesehen. Mali hat einige Bodenschätze, vor allem Gold und neuentdeckte Uranvorkommen. Frankreich, und Präsident Hollande, wird unter vorgehaltener Hand vorgeworfen, dass es mit seiner Intervention geopolitische und wirtschaftliche Interessen verfolgt.
Das sehe ich nicht so, denn lassen Sie mich ganz offen sagen, dass sich die ganze politische Lage in Westafrika verändert hätte, wenn Frankreich nicht rechtzeitig interveniert hätte. Was wäre Ihrer Ansicht nach das Worst-Case-Szenario für die Region?
Wenn diese Terroristen die Kontrolle über Mali erlangen, dann kann sie kein Land mehr zurückdrängen. Mali ist ein strategisch wichtiges Land in Westafrika, von Mali aus kann man sehr einfach Niger, Senegal, Burkina Faso und Mauretanien erobern. Es war also eine sehr weise Entscheidung von Präsident Hollande, denn sollten die Extremisten die Macht in diesen Ländern erobern, dann ist es vorbei. Dann hat auch ganz Europa ein sehr großes Problem.