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Notizblöcke, Waffen und Kokain: Das einsame Leben eines paraguayischen Journalisten

2003 fand Cándido Figueredo Ruíz heraus, dass Drogenschmuggler Bestattungsunternehmen aufkauften, um Kokain in Leichen verstecken und transportieren zu können. Seit Jahrzehnten lebt er unter Polizeischutz.

Cándido Figueredo Ruíz in der Nähe des Sitzes der NGO Committee to Protect Journalists | Foto: bereitgestellt vom Autoren

Fenster zerbersten, Glas splittert und automatische Schusswaffen feuern unentwegt auf das Haus des Journalisten Cándido Figueredo Ruíz. Der wacht panisch auf, während die Wände seines Schlafzimmers von Blei durchlöchert werden. Ein Schuss trifft dabei auch das Bett und verfehlt den Paraguayer, der vor wenigen Momenten noch friedlich geschlafen hatte, nur um Zentimeter.

„Ich warf mich unter mein Bett und betete zu allen Heiligen", erzählte der routinierte Journalist während eines kürzlich erfolgten New-York-Aufenthalts in einem Interview mit VICE. „Mir kam es so vor, als würde der Kugelhagel niemals aufhören. Ich hatte Todesangst."

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Als der Angriff schließlich doch irgendwann endete, war Figueredo durch den Maschinengewehr-Drive-By wie durch ein Wunder nicht verletzt worden, obwohl sein Zuhause von 35 Kugeln getroffen wurde. Das Ganze ereignete sich Mitte der 90er Jahre und war das erste Mal, dass die Drogenbosse von Paraguay versucht haben, Figueredo wegen seiner Artikel ermorden zu lassen. Die Arbeit des Journalisten liefert uns ein erschreckendes Bild von dem organisierten Verbrechen und der politischen Korruption in dem südamerikanischen Land und ermöglicht einen Einblick in die Gefahren und die Konsequenzen der Berichterstattung über die dortigen Drogenbosse.

Figueredo wurde in der paraguayischen Kleinstadt Pedro Juan Caballero geboren und wuchs dort auch auf. Der Ort befindet sich nahe der brasilianischen Grenze und ist auch heute noch das Zuhause des Journalisten. 2003 fand Figueredo heraus, dass Drogenschmuggler Bestattungsunternehmen aufkauften, um Kokain in Leichen verstecken und transportieren zu können. Seine Nachforschungen ließen auch die Polizei aufhorchen und so machten die Schmuggler Zehntausende—wenn nicht sogar Millionen—Dollar Verlust.

Infolgedessen geriet Figueredo auch wieder unter Beschuss.

Seit 1992 sind dem Committee to Protect Journalists zufolge fünf Journalisten in Paraguay ermordet worden. Einige dieser Morde wurden laut Berichten auch von Politikern in die Wege geleitet. Im World Press Freedom Index steht Paraguay bei insgesamt 180 Ländern an 109. Stelle. Diese Sachlage führt dazu, dass sich viele Journalisten dort dazu genötigt sehen, sich selbst zu zensieren, um am Leben zu bleiben.

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„Wie in vielen anderen mittel- und südamerikanischen Ländern sind Journalisten auch in Paraguay ernstzunehmenden Risiken ausgesetzt", meinte José Miguel Vivanco, der Vorsitzende der Amerika-Abteilung von Human Rights Watch. „Bei ihrer Arbeit decken sie Probleme in Bezug auf Machtmissbrauch, Menschenrechtsverletzungen und Korruption auf. In diesen Gegenden lebt jeder Journalist somit gefährlich. Die meisten Leute, die dort solche Probleme untersuchen, sehen sich Morddrohungen ausgesetzt."

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Die ständige Bedrohung reicht jedoch nicht aus, um Figueredo von seinem Schaffen abzuhalten.

„Ich wollte schon immer im Journalismus arbeiten", erzählte mir der Paraguayer, der sich in den USA aufhielt, um eine Auszeichnung des Committee to Protect Journalists entgegenzunehmen. „Ich hab das Ganze jedoch nie studiert. Diese Möglichkeit wurde mir immer verwehrt, weil meine Familie nicht reich war. Die Begeisterung für diesen Beruf lag mir jedoch einfach im Blut."

Dabei handelt es sich jedoch auch um eine Art Last—eine Last, die Figueredo gerne auf sich nimmt, denn er hofft, so eines Tages für Veränderung in Paraguay sorgen zu können.

„In meiner Heimatstadt hatte die Mafia schon immer das Sagen", erzählte er mir. „Wenn wir als Kinder ganz früh in die Schule gingen, sind wir manchmal auch auf Leichen gestoßen. Zwar wusste jeder, wer hinter diesen Verbrechen steckte, aber niemand traute sich, Namen zu nennen. Die Angst war einfach zu groß. Jeder war ein potenzielles Opfer. Ich wollte diese Leute jedoch unbedingt entlarven."

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Figueredos Haus mutet dank der 16 Überwachungskameras und sieben von der Polizei ausgebildeten und mit Maschinenpistolen ausgerüsteten Bodyguards wie eine Art Militärbunker an. Diese Bodyguards bewachen das Haus rund um die Uhr.

Foto: Luz Patricia Bellenzier, bereitgestellt von Committee to Protect Jounalists

Wenn es nicht gerade um irgendeinen Artikel geht, verlässt Figueredo das Haus nur selten. Gleiches gilt für seine Frau Luz Patricia Bellenzier, eine Psychologin, die ihren Beruf so kaum ausüben kann. Da er insgesamt wohl Hunderte Morddrohungen erhalten hat, lebt der Journalist nun schon seit Jahrzehnten unter Polizeischutz.

„Mein Haus ist die regionale Nachrichtenredaktion", meinte er. „Allerdings schaut es eher aus wie eine Polizeiwache. Polizisten soweit das Auge reicht. Ich fühle mich total isoliert. Außer in unserem Schlafzimmer sind wir niemals allein."

Wo andere Journalisten Notizblöcke dabeihaben, trägt Figueredo aus Sicherheitsgründen immer eine Waffe bei sich. Wenn man mal von seinen Bodyguards absieht, ist der Paraguayer zu einer abgeschotteten und paranoiden Existenz gezwungen.

„Manchmal habe ich zu Hause Lust auf ein Glas Wein und ein Stück Käse. Allerdings sind immer Polizisten da und deshalb kann ich nie nur in Unterwäsche rumlaufen", scherzte er. „Und dazu ist es noch eine ziemlich teure Angelegenheit, sie alle mit Essen zu versorgen."

Figueredo gab Preis, durch seine Tätigkeit als Korrespondent bei ABC Color (eine von Paraguays größten Tageszeitungen) jeden Monat ungefähr 1200 Dollar zu verdienen.

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„Er lebt wie ein Gefängnisinsasse—ein normales Sozialleben ist für ihn einfach nicht möglich", meinte Carlos Lauria, der leitende Programmdirektor von CPJ für Amerika.

Figueredos Heimatort Pedro Juan Caballero ist zu einem Rauschmittel-Korridor mutiert, wo sich viele Kokainschmuggler aufhalten, die die Droge aus Kolumbien und Bolivien importieren. Die ruhige Kulisse macht die Gegend zu einem idealen Ein- und Ausstieg. Bei Paraguay handelt es sich außerdem noch um einen der weltweit größten Hersteller von Marihuana. Für Drogenschmuggler auf beiden Seiten der Grenze stellt Pedro Juan Caballero so etwas wie die Drogenautobahn und den ultimativen Zugang zu Südamerika da.

„In Paraguay gelten keine Gesetze. Dort herrscht nur Gewalt", erklärte mir Lauria. „Alles wird geschmuggelt, die Drogen bestimmen das Geschehen und die Politiker sprechen sich mit dem organisierten Verbrechen ab. Nur wenige Journalisten berichten von diesen Problemen. Es ist quasi unmöglich, dort im Nachrichtenbereich tätig zu sein, ohne Risiken einzugehen."

Im November lieferte Brasilien Vilmar Acosta Marques, den ehemaligen Bürgermeister von Ypejhú, an Paraguay aus. Marques ist letztes Jahr von dort geflohen, weil man ihn für die Planung des Mordes am Journalisten Pablo Medina Velázquez belangen wollte. Am Steuer seines Fahrzeugs wurde dem Opfer von zwei maskierten Männern auf Motorrädern vier Mal in den Kopf und in die Brust geschossen. Medina berichtete über die florierende Cannabis-Industrie des Landes.

2012 erfuhr die brasilianische Polizei durch das Mithören eines Anrufs von einem grenzüberschreitenden Plan zur Ermordung Figueredos. Dem Journalisten ist zwar bewusst, dass er jeden Moment getötet werden könnte, aber er hat sich damit abgefunden. Und so wird er auch weiterhin über die kriminelle Unterwelt von Paraguay berichten und die Zahnräder des organisierten Drogenverbrechens Schicht für Schicht aufdecken—selbst wenn es ihn das Leben kosten sollte.

„Ich leben von Tag zu Tag", sagte Figueredo mit ruhiger Stimme. „Natürlich habe ich Angst, dass sie mich eines Tages erwischen. Es wäre eine Lüge, wenn ich das verneinen würde. Ich bin mir voll und ganz im Klaren darüber, dass sie mich jederzeit ermorden können. Ich hoffe einfach, dass sie das nicht tun."